Montag, 27. März 2017

Ankara setzt in Syrien die Waffe Wasser ein

Streit um Rolle der Kurden im Kampf gegen den „IS“ droht zu eine offenen Konflik zwischen Ankara und Washington auszuarten, in dem Russland kräftig mitmischt
 
In Syrien zeigen sich beängstigende Vorboten neuer Konflikte, die den Krieg gefährlich auszuweiten drohen. So setzt nun, von der Weltöffentlichkeit wenig beachtet, die Türkei unter krassen Bruch internationalen Rechts die Wasserwaffe ein. Ankara stoppte den Zufluss des Euphrat, der in Südostanatolien entspringt und über Syrien in den Irak fließt. Er ist Syriens weitaus wichtigster Lebensquell. Im Norden des Landes aufgestaut, versorgt er eine Region, in der vor Kriegsbeginn rund sechs Millionen Menschen lebten, mit Wasser und Strom und bewässert ein landwirtschaftliches Gebiet von 640.000 km2. Schon ist der Wasserstand des Tischrin-Stausees so stark gesunken, dass die Turbinen im Kraftwerk abgestellt werden mussten. Tausende Menschen sind betroffen und viele mehr werden es bald in Syrien und im Irak sein, wenn die Türkei an der Blockade festhält.
 Schon in der Vergangenheit hatte Ankara mit der Wasserwaffe politische Ziele verfolgt. Nun geht es offenbar darum, die Kurden massiv unter Druck zu setzen, um Ankaras strategische Interessen in Nord-Syrien durchzusetzen. Unter Führung der „Partei der demokratischen Union“ (PYD)  hatten Syriens Kurden vor einem Jahr ihre drei autonomen Kantone Jezira, Kobani und Afrin im Grenzgebiet zur Türkei  zu einer föderalen Region erklärt, in der sie sich autonom verwalten wollen. Ein Alptraum für die Türkei, die befürchtet, solche Entwicklung würde ihre massiv unterdrückte kurdische Minderheit zu ähnlichen Zielen aufstacheln. De facto praktiziert PYD Selbstverwaltung in den drei Kantonen mit eindrucksvollem Erfolg bereits seit Jahren. Es ist eine der stabilsten Regionen Syriens und genau dies dürfte die Türkei  u.a.mit Hilfe der Wasserwaffe zu untergaben wollen.
Hauptbetroffen vom Wasser- und Stromengpass ist die Zivilbevölkerung in Mambidsch, der strategisch wichtigen Stadt, die PYDs militärischer Arm, die „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG), im August 2016 von der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) befreit hatte. Seit Monaten versuchen die Türken vergeblich, die Kurden aus der Stadt und deren Umgebung zu verjagen. Nun, da syrische Rebellen mit türkischer Militärhilfe die Stadt Bab, nahe der Grenze zur Türkei, eroberten, drohte  Präsident Erdogan eine Militäroffensive gegen die Kurden in Mambidsch an. Um einen offenen Krieg zwischen der Türkei und den Kurden zu verhindern, vermittelte Russland ein Abkommen zwischen Syriens Präsidenten Assad und der PYD, nach dem die Kurden die Kontrolle über Mambidsch und umliegende Gebiete an Regierungstruppen übergaben, um so den kurdischen Kämpfern den Rücken für eine Offensive gegen die „Hauptstadt“ des IS, Rakka, freizuhalten. Doch vorerst toben in desem Gebiet Kämpfe zwischen Türken und Kurden.
Kontrolle über Mambidsch ist entscheidend für den Erfolg der türkischen Operation „Schutzschild Euphrat“, offiziell im Oktober 2016 gestartet, um das nordsyrische Grenzgebiet von IS-Aktivisten zu befreien, in Wahrheit aber, um zu verhindern, dass die Kurden eine Verbindung zwischen den beiden Kantonen Jezira und Kobane mit der entfernter gelegenen Enklave Afrin herstellen und sich im gesamten Grenzgebiet zur Türkei autonom verwalten. Mindestens 8.000 türkische Soldaten kontrollieren derzeit mit Panzern und schwerer Artillerie, von der türkischen Luftwaffe unterstützt, laut offiziellem Ankara ein 1.900 km2 großes Gebiet. Und Erdogan zeigt sich zum weiteren Vormarsch mit dem Ziel entschlossen, eine 5000 km2 große „Schutzzone“ zu erobern, die auch das tief in Syrien gelegene Rakka miteinschließen soll. Dort will er die mehr als zwei Millionen syrischen Flüchtlinge aus der Türkei unterbringen und zugleich den Traum der Kurden von Selbstverwaltung endgültig zerstören. Erdogan legt damit hochexplosiven Sprengstoff  für neue blutige Konflikte. Assad und seine Verbündeten Russland, wie der Iran wollen einen weiteren Vormarsch der türkischen Armee nicht hinnehmen. Syriens Minister für Nationale Versöhnung, Ali Haidar, kritisiert die türkische Invasion scharf und kündigte eine Entscheidung der höchsten militärischen und politischen Führung in Damaskus an, die „aggressive Präsenz“ der türkischen Armee in Nord-Syrien zu bekämpfen. Eine direkte Konfrontation zwischen der syrischen Armee und vor allem den schlagkräftigen, mit Assad verbündeten schiitischen Milizen aus dem Iran, Irak und Libanon mit der türkischen Armee würde dem sechsjährigen Krieg eine neue gefährliche Dimension verleihen.
Vorerst sehen Ankaras NATO-Verbündete USA dem bedrohlichen Treiben tatenlos zu. US-Militärs lehnten bisher die Forderung Erdogans ab, PYD, die weitaus schlagkräftigsten Bodentruppe in Syrien, aus der Offensive gegen Rakka auszuschließen. Wird US-Präsident Trump durch Beharren auf dieser Position eine Verschärfung der bereits angespannten Beziehungen hinnehmen? Oder wird er die Türken in die Offensive mit einschließen und damit nicht nur die langjährigen kurdischen Verbündeten verraten, sondern auch neue Konflikte mit den Russen riskieren? Schon stellte Präsident Putin klar, dass er die Schaffung einer türkischen Pufferzone verhindern wolle. Erdogans Truppen sind in Nord-Syrien isoliert. Der ehrgeizige Türke sucht nun Hilfe bei den Golfstaaten, um seine regionalpolitischen Pläne zu verwirklichen: arabische Truppen sollen, wie es offiziell heißt, den IS besiegen, in Wahrheit aber, die Kurden an den Rand zu drängen. Schon lässt Erdogan in der von ihm kontrollierten nordsyrischen Provinz Idlib Jihadis durch Katar neu aufrüsten. Die Zeichen stehen auf Sturm.

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