Mittwoch, 29. Februar 2012

IRAN: „Eine Farce, aber eine wichtige“

Die Parlamentswahlen im Iran gleichen einer Schlacht zwischen Konservativen und werden deren Machtgleichgewicht in der Islamischen Republik definieren

von Birgit Cerha

Eindringlich wie nie zuvor appellieren Irans „Geistlicher Führer“ Khamenei und sein Team an die Iraner, am 2. März ihre Stimme für ein neues Parlament abzugeben. „Episch“ solle die Wahlbeteiligung ausfallen, um die Einheit des Landes gegen äußere Bedrohung zu demonstrieren. Es soll die „enthusiastischste aller Wahlen“ werden, sie sollten „die Größe der iranischen Nation“ dokumentieren, gemahnt ein Wahlplakat in Teheran das Volk und Khamenei stellte gar in einer Fetwa (islamisches Rechtsgutachten) klar, dass „alle, die für die Wahl qualifiziert sind und wählen können, wählen müssen“.
Die Nervosität ist hoch unter Irans Führern, denn alle Anzeichen sprechen dafür, dass sich viel zu wenige der 48 Millionen Wahlberechtigten aus ihrer Lethargie reißen lassen, um unter den 3.444 vom „Wächterrat“ zugelassenen Kandidaten das 290-köpfige neunte Parlament der "Islamischen Republik“ zu wählen. Für Khamenei steht seine seit den monatelangen Massenprotesten gegen die von ihm und seinem erzkonservativen Establishment manipulierten Präsidentschaftswahlen 2009 schwer angeschlagene Legitimität auf dem Spiel. Nur durch eine hohe Wahlbeteiligung kann er den Iranern und dem feindlichen Ausland demonstrieren, dass er und sein System immer noch das Volk in der Überzeugung zu motivieren vermögen, dass seine Stimme tatsächlich zählt. Zugleich würde eine hohe Wahlbeteiligung die totale Bedeutungslosigkeit der oppositionellen „Grünen Bewegung“ und anderer Reformer dokumentieren, die zum Boykott aufgerufen haben. Zutiefst beunruhigt, er könnte dieses Ziel verfehlen, sandte Khamenei sogar seinen zunehmend einflussreichen zweiten Sohn Mojtaba zu dem seit einem Jahr in striktem Hausarrest von seinen Anhängern total isolierten Führer der „Grünen Bewegung“, Mussawi, in der Hoffnung er werde seine Wahlposition ändern.
Boykottaufrufe sind nichts Ungewöhnliches in der Geschichte der „Islamischen Republik“, doch noch nie zuvor hatten fast alle oppositionellen Fraktionen das Volk aufgefordert, am Wahltag daheim zu bleiben. Der „Koordinationsrat des grünen Wegs der Hoffnung“, der sich nach der Festnahme Mussawis und Karrubis im Vorjahr gebildet hatte, begründet seine Position mit den Worten: „Wir dachten, Berichte über die Ermordung von Menschen, die ihre demokratischen Rechte eingefordert hatten, fänden sich nur in Geschichtsbüchern. Doch wir wurden selbst Teil dieser Geschichte. Wie können wir uns wieder an Wahlen beteiligen, wenn unsere Jugend nach den Wahlen 2009 nur deshalb getötet wurden, weil sie nach ihrer Stimme fragten?“
Immer noch schmachten seit vielen Monaten zahlreiche Intellektuelle, Anwälte, Studenten, darunter mehr als 40 Journalisten und Blogger u.a. wegen Protesten gegen die Wahlen von 2009 in Irans Gefängnissen. Allein im Vorjahr wurden 60 Journalisten ins Exil gezwungen. 40 Publikationen wurden seit 2009 geschlossen. In panischer Angst vor erneuten Protesten haben die Behörden im Vorfeld der Wahlen die Repressionen massiv verstärkt, Dutzende Menschen festgenommen und die sozialen Netzwerke weitgehend blockiert, während 8.500 paramilitärische Bassidsch bereit stehen, um Proteste am Wahltag zu verhindern.
De facto sind diese Wahlen nur die Fortsetzung des Machtkampfes zwischen den untereinander tief zerstrittenen, nur von einer kleinen Bevölkerungsschicht unterstützten Konservativen. „Sie sind eine Farce“, drückt der iranische Intellektuelle Muhammed Sahimi eine weitverbreitete Stimmung aus, „doch eine wichtige“.
Die Hauptfronten sind klar gezogen: Ahmadinedschad auf der einen, Khamenei, der seinem einstigen Schützling 2009 ungeachtet des Widerstandes von Millionen Iranern seine zweite Amtsperiode sicherte, auf der anderen Seite. Der Präsident war im Vorjahr in spektakulärer Weise bei vielen Hardlinern in Ungnade gefallen, als er bei der Wahl seiner Regierungsmitglieder offen Khameneis Autorität herausforderte und sich zunehmend unter dem Einfluß seines heftig umstrittenen Kabinettschefs Esfandiar Rahim Mashaie für eine Eindämmung der Macht des Führers, wie der Geistlichen insgesamt und einen stärkeren nationalen auf Kosten des islamischen Kurses der „islamischen Republik“ einsetzte. Mashaei und seine Anhänger werden seither von dem Khamenei-treuen Lager als „Irregleitete“ verdammt, deren Einzug ins Parlament es unter allen Umständen zu verhindern gelte. So hat auch der „Wächterrat“ die Kandidatur vieler Anhänger Ahmadinedschads blockiert.
Dennoch ist eine empfindliche Niederlage des Präsident keineswegs sicher. Ahmadinedschad stützt sich auf eine Hausmacht unter den sozial niedrigen Schichten und vor allem der Landbevölkerung, die die verwirrenden Machtkämpfe in Teheran kaum mitverfolgen können und wollen und sich sehr empfänglich für großzügige Wahlgeschenke des Präsidenten zeigen. Zudem sind auch Ahmadinedschads Gegner untereinander zerstritten.
Ein Erfolg Ahmadinedschads bei dieser Wahl würde ihn in der Hoffnung bestärken, bei den – weit wichtigeren – Präsidentschaftswahlen im Juni 2013 (bei denen er laut Verfassung nicht wieder kandidieren darf) nach Vorbild des Russen Putin einen engen Verbündeten zur Macht zu verhelfen, um sich weiterhin seinen Einfluß und vielleicht sogar 2017 eine erneute Wahl zum Präsidenten zu sichern. Eine Niederlage Ahmadinedschads würde Khamenei die Möglichkeit eröffnen, seine autokratische Kontrolle über das Land wesentlich zu stärken.
Viele Iraner sind angesichts der enormen Gefahren eines israelischen oder amerikanischen Militärschlags und der zunehmend schmerzlichen Sanktionen konsterniert über dieses Machtgerangel ihrer Führer.

Weiterlesen ...

Dienstag, 28. Februar 2012

Jemens geraubte Revolution

Kann der neue Präsident den immer noch dominierenden Einfluss seines von der Macht gejagten Vorgängers abschütteln?

von Birgit Cerha

Im Jemen beginnt – so scheint es – eine neue Ära. Das Armenhaus der arabischen Welt schaffte es als viertes Land des „arabischen Frühlings“, seinen jahrzehntelangen Herrscher von der Macht zu jagen – und das mit vergleichsweise geringen Todesopfern. Doch der Schein trügt. Das beweist auch die anhaltende Präsenz junger Demokratie-Aktivisten, die sich auf dem „Platz der Veränderung“, auf dem sie im Herzen der Hauptstadt Sanaa mehr als ein Jahr lang gewaltlose Massenproteste zum Sturz von Diktator Ali Abdallah Saleh organisiert hatten, auf neue Sitzstreiks eingerichtet haben. Denn die jungen, freiheitshungrigen Aktivisten fühlen sich um ihre Revolution beraubt. „Man hat dieser Revolution den Dolch in den Rücken gestoßen“, klagt Khaled al-Anesi, einer der führenden. Ähnlich wie in Ägypten oder in Tunesien, ringen auch im Jemen die jungen Demokratie-Aktivisten um ihre Rolle in der von der Diktatur befreiten Gesellschaft, die ihnen auch im Jemen islamistische Kräfte streitig machen, während sie selbst, politisch unerfahren, zerstritten, uneinig und schlecht organisiert, zunehmend ihre Stimme zu verlieren drohen.
Ihr erstes Ziel haben die Aktivisten erreicht: den Sturz Salehs. Doch vorerst hat selbst diese mühselig erreichte Entwicklung nur formalen Charakter. Saleh, im Volksmund seit langem der „Schlangenbeschwörer“ genannt, ist ein Meister der Manipulation und Überlebenskunst. Wiewohl die Jemeniten vor einer Woche – in einem demokratisch zweifelhaften Urnengang – ohne Gegenkandidat einen neuen Präsidenten wählten, sind sie de facto bisher ihren Diktator immer noch nicht los geworden. Nach wochenlangem Krankenhausaufenthalt in Saudi-Arabien, wo er schwere ihm in einem Anschlag zugefügte Wunden behandeln ließ, kehrte Saleh ebenso wieder heim, wie Ende der Vorwoche nach medizinischer Behandlung in den USA. Demonstrativ stand er Samstag an der Seite Abd Rabbu Mansour Hadi, als dieser, Salehs langjähriger Stellvertreter und Verteidigungsminister, als neugewählter Präsident seinen Amtseid ablegte. Kann sich der farblose, selbst vielen Jemeniten unbekannte neue Herrscher aus dem Schatten seines langjährigen Bosses lösen und damit den Jemen aus Bürgerkrieg, Chaos und Korruption retten?
Hadis größte Stärke in den Augen vieler Jemeniten, ist die Tatsache, dass er nicht Saleh, der wegen gigantischer Korruption, Nepotismus und Machtgier weithin verhasste Herrscher seit 33 Jahren ist. Doch die Zentren der Macht und der Wirtschaft des Landes werden unverändert von der Familie des gestürzten Diktators kontrolliert. Der von den Golfstaaten unter US-Druck ausgearbeitete und mit der legalen, parlamentarischen Opposition vereinbarte Übergangspakt, der Saleh nach seinem Abtritt Immunität insbesondere wegen des gewaltsamen Todes unzähliger friedlicher Demonstranten zusichert, sieht nicht ausdrücklich vor, dass der Ex-Präsident das Land verlassen muss. Bleibt er im Land, so könnte das Land von erneuten Unruhen gequält werden, während er durch das mächtige Netzwerk seiner Verbündeten und Familienmitglieder weiterhin de facto herrschen könnte.
Massiv unter Druck von innen und außen erklärte Saleh Montag, er werde nach Äthiopien ins Exil gehen nachdem ihn arabische Länder der Region offenbar nicht Unterschlupf gewähren wollen. Doch ob er dieses Versprechen wahrmacht, ist angesichts seines Verhaltens des vergangenen Jahres noch keineswegs sicher.
Laut Übergangsabkommen wird Hadi zwei Jahre an der Macht bleiben und in dieser Zeit dem Land eine neue Verfassung bescheren. Er muss sich vor allem aber dramatischen Herausforderungen stellen: bittere Armut, gravierende Unterernährung, Sezessionsbestrebungen des Südens, Rebellion der schiitischen Zaiditen-Minderheit im Norden und der von den USA unterstützteKampf gegen die sich ausbreitenden Al-Kaida-Zentren im Land. Eine zentrale Voraussetzung für die Herstellung der Stabilität in diesem am Rand des Abgrunds dahinvegetierenden Land ist Einheit und Solidarität der Streitkräfte. Die Armee ist heute aber tief gespalten, Kommandanten besitzen weit größere Macht als der neue Präsident, da sich jede Division wie eine unabhängige Miliz verhält, nur ihrem Kommandanten gegenüber loyal. Zudem kontrollieren Salehs Sohn, Neffe und Halbbruder Eliteeinheiten, Sicherheitskräfte, Luftwaffe und die von den USA finanzierte Anti-Terror-Einheit. Die jugendlichen Aktivisten auf Sanaas „Platz der Veränderung“ sind davon überzeugt, dass die Demokratie im Jemen nur dann eine Chance hat, wenn die Streitkräfte von Salehs Einfluß gesäubert und zu neuer Einheit geführt werden. Sie wollen auf dem Platz ausharren, bis dieses Ziel erreicht ist.

Weiterlesen ...

Montag, 20. Februar 2012

Die Militarisierung der Welt: Der Fall Iran





Weiterlesen ...

Sonntag, 19. Februar 2012

Iran und der Arabische Frühling

Ein Jahr nach Beginn der Aufstände in der Region bleibt die politische Landschaft in der "Islamischen Republik" in gespenstischer Weise unberührt
(Bild: Karrubi, Mussawi und Rahnavard)

von Birgit Cerha

Bei meiner Lektüre iranischer Quellen stach mir vor wenigen Tagen ein Zitat des in Toronto lebenden iranischen Philosophen Ramin Jahanbegloo ins Auge: „Demokratie“, meint Jahanbegloo , „lässt sich (im Iran) nicht durch Krieg erreichen, denn eine durch Gewalt erzwungene Demokratie ist mit Niederlage gleichzusetzen. Je mehr wir in Gewaltlosigkeit schwitzen, desto weniger bluten wir in Gewalt.“
Ein Blick auf den Zustand der arabischen Welt ein Jahr nach Ausbruch des „Frühlings“ gibt Jahanbegloo in tragischer Weise recht. Die schockierende Schändung der Leiche des libyschen Diktators durch die freiheits- und angeblich so demokratiehungrigen Rebellen, die ihren Sieg über Gadafi dem Einsatz von Gewalt verdanken, erwies sich als düsteres Omen für die ersehnte Zukunft in Würde und Freiheit, die mit brutaler Folter der neuen Führer an ihren Gegnern begann. Der Weg der Gewalt in Libyen ist vorgezeichnet.
In Syrien schaffen es die Demokratie-Aktivisten angesichts des seit Monaten andauernden skrupellosen Mordens durch Assads Sicherheitskräfte nicht mehr, das Prinzip der Gewaltlosigkeit, das ihnen so wichtig erschien, aufrecht zu erhalten. Die Folge ist eine Katastrophe für ein Land, das sich selbst damit der Chance auf eine friedliche Zukunft für Jahre beraubt.

Der „arabische Frühling“ rückt immer weiter von seinem europäischen Vorbild ab, dem „Frühling der Völker“ nämlich, der 1848/49 als Folge der Französischen Revolution die Völker Mitteleuropas in seinen Bann gezogen hatte. Ganz ohne zentrale Koordination erhoben sich damals bürgerlich-revolutionäre Bevölkerungsschichten gegen die herrschenden Mächte und deren politische und soziale Strukturen. Der Weg zu demokratischen Systemen war damit geöffnet, wiewohl es bis zum Ziel noch viele Hürden zu überwinden galt. Der „Arabische Frühling“ begann in ähnlicher Weise. Ohne zentrale Koordination erhoben sich die Menschen in mehreren Ländern der Region gegen ihre absoluten und zutiefst korrupten Herrscher. Ihre zentralen Forderungen waren und sind überall dieselben: An erster Stelle steht die so lange mit Füßen getretene Würde. Sie inkludiert die Achtung des Individuums, Menschenrechte, Mitbestimmung, soziale Gerechtigkeit – Sehnsüchte, die auch die Iraner mit ihren arabischen Leidensgenossen teilen. Freilich ist das politische Umfeld von Land zu Land verschieden. Ob die von Demokratie-Aktivisten initiierten Rebellionen aber ihre Ziele erreichen können, wird unterdessen immer fraglicher.
Gebannt blickt der Iran seit einem Jahr auf dieses Erdbeben, das so völlig unerwartet Diktator nach Diktator in die Hölle schickte. Die Macht der unbewaffneten Völker hat das Gesicht der gesamten Region verändert. Prognosen über den Ausgang dieser Turbulenzen lassen sich nicht stellen, da die Rebellionen Spannungen und Konflikte gerade in einem Augenblick an die Oberfläche gespült haben, da sich die Menschen von den – so verhassten - traditionellen Methoden und Instrumenten befreit haben oder noch zu befreien suchen, Instrumente, die diese Spannungen seit Jahrzehnten – gewaltsam – unter Kontrolle hielten. Noch ist unklar, ob der „Arabische Frühling“ neue politische Systeme gebiert, die der Legitimität des Volkes jene zentrale Bedeutung einräumen, die die bisherigen Systeme den Menschen verwehrt haben.
Was bedeuten diese Entwicklungen für den Iran?
Führer und Anhänger der oppositionellen „Grünen Bewegung“ rühmen sich zweifellos mit Recht, durch ihre todesmutige Kampagne gegen die Manipulationen der Präsidentschaftswahl von 2009 den freiheitshungrigen Aktivisten in der arabischen Welt ein Beispiel gesetzt zu haben. Viele Iraner hofften wohl, die zunächst so erfolgreichen Rebellionen – nämlich in Tunesien und Ägypten – würden die brutal niedergedrückte „Grüne Bewegung“ zu neuem Leben erwecken. Genau diese Angst trieb Irans geistliche Herrscher zu dem Versuch, die Früchte des „arabischen Frühlings“ selbst zu ernten. Die „Urkraft“ aller Aufstände in der islamischen Welt, so doziert der „Geistliche Führer“ Khamenei, sei Khomeinis islamische Revolution von 1979. Ein „islamisches Erwachen“, das die Region nun erlebe, sei den epochalen Umwälzungen vor 33 Jahren im Iran zu danken. Von 700 Vertretern aus islamischen Ländern ließ sich Khamenei jüngst an der ersten „Internationalen islamischen Erweckungs-Konferenz“ in Teheran in dieser prophetischen Rolle als Vorkämpfer für Unabhängigkeit und Freiheit, wie er selbst betonte, feiern. Vertreter der syrischen Rebellen waren nicht geladen.

Der langfristige Einfluss der Revolution von 1979 lässt sich freilich nicht einfach leugnen. Zwar hatte die iranische Protestbewegung, dieses breite Spektrum von allen Schichten der Gesellschaft, keineswegs nach einem „islamischen Erwachen“ gerufen. Dennoch ist nach dem von Khomeini angeführten Sieg über den mächtigsten Militärherrscher des Orients der politische Islam in der überwiegend von nationalen und sozialistischen Idealen durchtränkten arabischen Welt der 70er Jahre weitgehend wieder salonfähig geworden.

Doch die islamischen Herrscher haben durch die daraufhin errichtete mit demokratischen Elementen garnierte theokratische Despotie und vor allem zuletzt durch die ungeheuerlichen Brutalitäten gegen gewaltlos protestierende Demonstranten nach den Wahlen 2009 Sympathie in der arabischen Welt vollends verspielt. Dies illustrieren deutlich Reaktionen aus Tunesien und Ägypten auf Khameneis Versuche, den „arabischen Frühling“ für sich zu vereinnahmen. So stellte Tunesiens Islamistenführer Rachid Ghannouchi bei seiner Heimkehr nach 20-jährigem Exil in Anspielung auf die triumphale Ankunft Khomeinis aus Paris 1979 in Teheran klar: „Ich bin weder Khomeini, noch Bin Laden.“ Auch die ägyptischen Moslembrüder, die nun stärkste politische Kraft am Nil, halten nichts vom Vorbild der islamischen Republik. Ägypten, so stellen Sprecher der Bewegung klar, erlebe eine demokratische und nicht eine islamische Revolution. Und sogar Al Azhar, das höchstes Zentrum sunnitischer Theologie, weist energisch Khameinis „Einmischung“ zurück und verurteilt scharf den Missbrauch des Islams und des Korans durch Irans geistliche Führer.
Auch an anderen Orten der Region blieb die Heuchelei der iranischen Herrscher nicht verborgen, so etwa, als Khamenei genau zu dem Zeitpunkt im Februar 2011 das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte in Bahrain gegen schiitische Demonstranten scharf verurteilte, als er zugleich seine eigenen Schergen auf friedlich protestierende Iraner schießen ließ

Wiewohl sich die islamischen Bewegungen der arabischen Welt im Laufe der Jahre gemäßigt haben, stehen sie nun vor ihrem entscheidenden Glaubwürdigkeitstest. Werden sie im Rausch der endlich errungenen Macht ihrem Demokratiebekenntnis treu bleiben? An dieser Frage wird sich entscheiden, ob der „Arabische Frühling“ nicht in eine Ära neuer Diktaturen, diesmal unter islamistischen Vorzeichen, mündet.
Ein Jahr nach dem Sturz Ben Alis und Mubaraks erscheint Irans politische Landschaft in schier gespenstischer Weise vom „Arabischen Frühling“ unberührt. Zur welcher Perfektion das islamische Regime seine Repression entwickelt hat, bewies der Jahrestag der brutalen Niederschlagung einer Solidaritätskundgebung Tausender Iraner mit Ägypten und Tunesien am 14. Februar. Es sollte ein Großkampagne iranischer Massen für die Freilassung aller politischen Gefangenem werden und ein Ende des einjährigen Hausarrests für die Führer der „Grünen Bewegung“, Mussawi, dessen Frau Zahra Rahnavard und Karrubi. Das Regime schickte ein gigantisches Aufgebot an Sicherheitskräften in die Straßen, bedrohte Anhänger der „Grünen Bewegung“ durch eine neue Phase sog. „kreativer Repression“ über das Internet und nahm „vorbeugend“ zahlreiche Aktivisten fest. Dass sich einige dennoch nicht einschüchtern ließen zeigt, dass es dem Regime bis heute nicht gelungen ist, die Kraft der reformorientierten Opposition vollends zu brechen. Vor allem Studenten, die die Schläge der Bassidsch 2009 und 10 in voller Wucht ertragen mußten, zeigen immer noch Widerstandsgeist und Mut. Nur eine Szene sei erwähnt.
(Bild: Majid Tavakoli)
Als Hossein Shariat-Madari, der prominente Herausgeber der regimetreuen Tageszeitung „Kayhan“ und enger Vertrauter Khameneis, am 11. Dezember in einer Teheraner Universität mit Studenten zusammentraf, begrüßte ihn eine feindselige Menge mit Plakaten mit der Aufschrift „Kayhan, faschistisches Medium“ und hielt ihm Fotos von Majid Tavakoli entgegen, dem bekanntesten seit 2009 im Gefängnis sitzenden Symbol der schwer angeschlagenen Studentenbewegung.

Ungeachtet solcher Zwischenfälle erscheint die politische Landschaft im Iran aber eingefroren. Die dynamischsten Diskussionen heute führen nicht Anhänger der Opposition und des Regimes, sondern islamistische Hardliner, gemäßigtere und radikalere Konservative, d.h. das herrschende erzkonservative Lager miteinander. Reformen, politische Öffnung, Liberalisierung, ein Ende der Repressionen – das ist nicht das Thema im heutigen Iran. Ganz im Gegenteil. Khamenei setzt alles daran, seine Macht als theokratischer Despot zu stärken und dabei versucht er zunehmend seinem ehemaligen Schützling Präsident Ahmadinedschad , der das Unglaubliche wagte, nämlich die Autorität des „Geistlichen Führers“ herauszufordern, den Boden abzugraben. Die für 2. März geplanten Parlamentswahlen sollen nach den Vorstellungen Khameneis und den ihm ergebenen erzkonservativen „Prinzipalisten“ ein Abgeordnetenhaus ohne der Ahmadinedschad-Fraktion aber auch ohne oppositionellen Reformern hervorbringen. Die entsprechenden Manipulationen im Vorfeld der Wahlen bewogen die Grüne Bewegung und deren Sympathisanten, diese ersten Wahlen seit 2009, zu boykottieren. Sie könnten Aufschluss über die Lebenskraft der Reform-Opposition geben, je nachdem wie viele Menschen in Protest gegen das Regime nicht zu den Wahlurnen schreiten, sondern durch die Straßen ziehen und damit dem Aufruf Grüner Führer folgen und versuchen, die Wahlen in einen „Kampf der Bürger gegen die Tyrannei“ zu verwandeln. Doch aus der Grünen Bewegung kommen keine Anleitungen zur Organisation einer solchen Kampagne. Khameneis Furcht vor solchen Demonstrationen aber, vorgeringer Wahlbeteiligung, die seine angeschlagene Legitimität, wie jene des Systems noch mehr untergraben würde, ist offensichtlich. Durch Appelle an die Bevölkerung, zu wählen und Drohungen an Oppositionelle, durch Blockierung der sozialen Netzwerke, des Internets und Mobiltelefone, versucht das Regime intensiv, ungestörte Wahlen und große Beteiligung zu garantieren. Die Angst, dass dies nicht gelingen könnte, ist so groß, dass Irans Führer auch Exil-Iraner, von denen einige zum Wahlboykott aufrufen oder andere „Anleitungen“ für Proteste erteilen, ins Visier nehmen und zu Methoden der 70er und 90er Jahre zurückzugreifen drohen, als sie Intellektuelle und andere Oppositionelle im In- und Ausland kaltblütig ermorden ließen.

Im allgemeinen aber ist die Stimmung im Land politisch zutiefst lethargisch – eine Folge nicht nur der scharfen Repressionen, sondern auch des zunehmend quälenden ökonomischen Drucks. Vor allem die iranische Mittelschicht, das Rückgrat der Reformbewegung, muss seit der drastischen Verschärfung der Sanktionen fast all ihre Kraft im täglichen Überlebenskampf einsetzen. Da bleibt wenig bis keine Kapazität für mutigen politischen Aktivismus. Und es wäre doch genau dieser, den der Westen unter Führung der USA durch die Sanktionen fördern und stärken wollte.
Welche Kraft, wenn überhaupt, besitzen Reformbewegungen noch, gibt es überhaupt eine Chance auf einen „iranischen Frühling“?

Im Gegensatz zu den arabischen Autokratien und Diktaturen, haben sich die Iraner in den vergangenen hundert Jahren mehrmals erhoben, um Freiheit, Selbständigkeit und Demokratie zu erkämpfen. Es ist daher logisch, dass die iranische Gesellschaft sozialen und demokratischen Werten schon lange weit größere Aufmerksamkeit schenkte als die arabische Region. Das berücksichtigte auch Khomeini, als er in die Verfassung das „republikanische„ Element – also vom Volk gewählte Institutionen – einbaute. Sukzessive allerdings verloren diese unter Khamenei ihren Handlungsspielraum. Doch erstmals hat 2009 die herrschende Elite, hat Khamenei offen und radikal einen Wahlausgang – ein für ihn unerwarteter Sieg eines populären Kandidaten – Mussawi – verhindert.

Die „Grüne Bewegung“, sie verdankt ihren Namen einer grünen Schärpe, die Ex-Präsident Khatami Mussawi zum Geschenk gemacht hatte, gegen die manipulierte Wiederwahl Ahmadinedschads spontan entstanden, verkörperte bald die frustrierten Sehnsüchte der Iraner nach Demokratie. Die Strategie der Gewaltlosigkeit, an der diese Bewegung bis heute festhält, ist nach Einschätzung des Soziologen Dariush Ashouri „Ausdruck einer neuen politischen Philosophie in der iranischen Gesellschaft“. „Die Grundlagen dieser Philosophie“ so stellte Ashouri laut rooz-online, einem reformorientierten Internetportal, bewundernd fest, „sind die Prinzipien von Toleranz und Pluralismus. Dies“ – ich zitiere – „lässt eine enorme Weiterentwicklung der iranischen Gesellschaft erkennen, die umso größere Bedeutung besitzt, als diese Bewegung mit einem Regime konfrontiert ist, das genau gegensätzliche Ansichten vertritt und sich in völlig konträrer Weise verhält.“ Mit einem Schlag strahlte vom Iran das Leuchtfeuer demokratischer Hoffnung über die gesamte von Autokraten und Despoten gequälte arabische Welt.

Zweieinhalb Jahre später aber ist die „Grüne Bewegung“ in ihrer ursprünglichen Form Geschichte. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die intensive Repression hat einen hohen Zoll gefordert. Eine zutiefst amorphe Bewegung mit Führern, die sich von Aktivisten treiben ließen, statt diese zu leiten, konnte sich nicht – im Gegensatz etwa zur ägyptischen Demokratie-Bewegung – auf eine zentrale Forderung einigen. Die verschiedenen Gruppen, säkularen, religiösen, riefen Slogans, die von der Frage reichten „Wo ist meine Stimme“ über „Ahmadinejad ist nicht mein Präsident“ bis schließlich zu „Nieder mit der islamischen Republik“. Die Bewegung wurde von religiösen „Grünen“ dominiert, die wie ihre Führer Mussawi und Karrubi Reformen innerhalb der Verfassung erstrebten und – immerhin beide einst Mitstreiter Khomeinis – an den Grundfesten der „Islamischen Republik“ nicht rütteln wollten, während säkulare „Grüne“ davon überzeugt sind, dass sich das Regime nicht von innen reformieren lasse, sondern in einem von Iranern eingeleiteten Prozess ausgewechselt werden müsse. Nicht nur versuchten einige der religiösen „Grünen“ darunter vor allem Khatami in altbewährter Methode, es sich nicht vollends mit Khamenei zu verscherzen., während Tausende Aktivisten in Gefängnissen Folterqualen erlitten.

Heute fragen sich demokratiehungrige Iraner konsterniert: Wie war es möglich, dass eine Million Ägypter ihren seit 30 Jahren herrschenden Autokraten stürzen konnten, während drei Millionen Iraner, die am 15. Juni 2009 in den Straßen von Teheran protestierten, nur Prügel einsteckten?

Es gibt zahlreiche Gründe für den Fehlschlag der „Grünen Bewegung“ . Vor allem fehlte ihr ein klarer Aktionsplan. Mussawi, zunächst wohl Führer wider Willen, benötigte viele Monate und die Erkenntnis ungeheuerlicher Brutalitäten des Regimes, um sich zu einem Manifest mit grob umrissenen – demokratischen – Zielen durchzuringen. Seit einem Jahr unter Hausarrest haben die drei Führer den Kontakt zu ihren Anhängern de facto verloren.

Durch die massiven Repressionen wurde die intellektuelle Landschaft des Irans empfindlich geschwächt. Das Regime konnte zwar die Massenproteste in den Straßen stoppen, doch die Quelle der tiefen Unzufriedenheit unter großen Teilen der Bevölkerung konnte es nicht zum Versiegen bringen. Ganz im Gegenteil. Die Kräfteverhältnisse innerhalb der iranischen Führung haben sich verschoben. Khamenei hat, zur Absicherung seiner autokratischen Macht, die Revolutionsgarden gestärkt, das Regime de facto militarisiert und die Zügel noch viel fester gezogen.

In dieser Situation ist die „Grüne Bewegung“ in eine Phase der Gewissenserforschung eingetaucht. Nach der Festnahme Mussawis, Karrubis und deren Frauen hat sich ein „Koordinationsrat des Grünen Pfades der Hoffnung“ gebildet, der gelegentlich Botschaften über Internet verbreitet. Bis heute aber konnte man sich nicht auf klare Ziele einigen. Einige „Grüne“ erwägen eine Aussöhnung mit Khamenei, wie sie Khatami angeboten hatte; andere wollen die Trennung von Mussawi, der durch seine Weigerung, Khamenei zu kritisieren und sein Festhalten an Reformen innerhalb der Verfassung viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat; eine andere Gruppe versucht unter Anleitung Mussawis – soweit dies, angesichts des Hausarrests, überhaupt noch möglich ist, Prinzipien und Ziele zu erarbeiten. Sie fordern eine Regierung, die sich voll auf den Willen des Volkes stützt, Verfassungsreformen, die Achtung von Menschenrechten nach internationalem Standard, Gleichheit aller vor dem Gesetz, unabhängig von Geschlecht, Religion und Ideologie, sowie eine Trennung religiöser von staatlichen Institutionen.

Niemand vermag derzeit die Stärke der Reform-Opposition abzuschätzen. Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shriin Ebadi aber ist davon überzeugt, je länger die Repression andauert und je schärfer sie wird, desto mehr Iraner würden mit jenen, die einen Regimewechsel erstreben, sympathisieren. Fest steht, auch wenn Irans Demokratie-Aktivisten kaum noch sichtbar sind, ihr Ende ist nicht gekommen. Aus der Asche dieser Strömung kann sehr wohl eine noch mutigere, noch entschlossenere Oppositionskraft geboren werden. Sie hat gewiß einen beträchtlichen Teil der gebildeten Jugend hinter sich - und das ist eine starke Kraft, denn drei Fünftel der Iraner – mehr als 30 Millionen – sind heute unter 30.

Ein Regime, das sein Überleben auf Angst und Einschüchterung aufbaut, sieht sich beständig der Gefahr ausgesetzt, dass – wie es sich etwa in dem noch repressiveren Syrien zeigte – der Moment kommt, in dem die gequälten Massen die Mauer der Furcht durchstoßen. Wie sehr Khamenei dies verängstigt, beweist sein schier verzweifeltes Bemühen, mit Hilfe eines Massenaufgebots an Sicherheitskräften auch schon die kleinste Ansammlung von Menschen zu verhindern.

Langfristig steht aber wohl fest, dass die großen Herausforderungen der iranischen Gesellschaft nur in einer demokratischeren Umwelt zu bewältigen sind. Zu diesen Herausforderungen zählen neben der Jugend, die das Internet besonders geschickt zu nutzen weiß, eine starke und selbstbewusste Frauenbewegung, strukturelle ökonomische Probleme (hohe Arbeitslosigkeit und Inflation), dringend nötige Investitionen im Öl- und Gassektor und ein schwer angeschlagener Privatsektor.

Doch bis es so weit ist, kann noch viel Zeit vergehen. Denn im Gegensatz zu den Ländern des Arabischen Frühlings, hatten die Iraner ja schon ihre Revolution (1979) und dazu dann noch den achtjährigen, ihnen vom Irak aufgezwungenen und besonders verlustreichen Krieg. Diese Tragödien haben sie gelehrt, dass Revolutionen in eine Katastrophe münden, wenn die Alternative zu dem zu stürzenden System nicht klar zu erkennen ist. (Wir erleben das gerade etwa in Libyen) .In dieser Phase steht das Land heute. Der massive internationale Druck wegen Irans Atompolitik, die wachsenden wirtschaftlichen Nöte aufgrund der Sanktionen blockieren aber jede Entwicklung einer Alternative. Die größte Gefahr für die vom Regime verfolgten Reformer und Demokraten kommt von außen. Ich möchte mit einem Wort von Shirin Ebadi schließen: „Diktatoren“, so sagte die angesehene Juristin jüngst, „begrüßen es durchaus von ausländischen Kräften (militärisch) attackiert zu werden, denn dies bietet ihnen die Möglichkeit, unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit, Oppositionskräfte vollends auszuschalten.“

------------------
Dies ist ein Beitrag, vorgetragen bei der Konferenz "Iran-Land der Vielfalt. Auswirkungen des Arabischen Frühlings auf Iran., am 18. Februar 2012 in Wien, organisiert und moderiert von Helmut N. Gabel "www.mehriran.de"

Weiterlesen ...

Sonntag, 12. Februar 2012

Syrien: Der Horror breitet sich aus

Wahrend Al-Kaida die Aufständischen zu stärken sucht, rückt der Todeskampf des alawitischen Regimes in eine kritische Phase

von Birgit Cerha


Mehr als eine Woche ununterbrochener Bombardements der 1,5-Millionen-Stadt Homs kann nicht ohne Gegenaktion bleiben. Der blutige Todeskampf des alawitischen Assad-Regimes rückt damit in eine neue für die gesamte syrische Bevölkerung höchst gefährliche Phase. Zutiefst verängstigt fragen sich viele Syrer nun: Wiederholt sich der jahrelange Horror des Iraks nun in ihrem Land? Die professionell geplante und durchgeführte Explosion, die vergangenen Freitag vor dem zentralen Gebäude der Sicherheitskräfte in der bisher weitgehend von Gewalt verschonten größten Stadt Aleppo 28 Menschen in den Tod gerissen hatte, trägt nach Meinung von Experten und US-Geheimdienstberichten die Handschrift des Terrornetzwerkes Al-Kaida, ebenso wie zwei ähnliche Explosionen von Autobomben in Damaskus im Dezember. Syriens Opposition, auch nicht die in der Türkei stationierte „Freie Syrische Armee“ dürfte nach Einschätzung von Kennern der Szene nicht die Expertise und Kapazität für derartige Attacken auf hochgesicherte Zentren des syrischen Regimes besitzen.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die erste Videobotschaft von Al-Kaida-Führer Ayman al Zawaheri zur Syrienkrise an Gewicht. Eindringlich appelliert Zawaheri in seiner Videorede unter dem Titel „Vorwärts Löwen von Syrien“ an die gewaltbereiten Gegner von Assad, sich nicht länger auf Hilfe des Westens, der Araber oder der Türken zu verlassen, sondern nur auf Allah zu stützen und ihre Entschlossenheit zu Widerstand und Opfer“ Zugleich drängte Zawaheri Militante im Irak und Libanon, in Jordanien und in der Türkei, sich zu erheben und „euren Brüdern in Syrien“ beizustehen.

Zugleich mehren sich Berichte über militante Islamisten, die in immer größeren Zahlen aus dem Irak nach Syrien vorstießen. Dies bestätigte am Wochenende auch der stellvertretende irakische Innenminister Adnan al Assadi. Waffen und Sprengstoff aus diesen radikal-sunnitischen Terrorkreisen des Iraks würden laut Assadi zunehmend nach Syrien geschmuggelt. Die Al-Kaida im Irak hatte jahrelang einen blutigen Terror im Land verbreitet. Viele ihrer nicht-irakischen Extremisten waren einst über Syrien in das Zweistromland gezogen und haben wohl im Reiche Assads ihre Kontakte und ihr Netzwerk geknüpft. Syrien mag der Al-Kaida nun als weit attraktiveres Aktionsfeld zur Erreichung ihrer radikalen Ziele erscheinen als der einigermaßen stabilisierte Irak.

In islamistischen Internet-Foren tauchen seit Tagen Berichte über – namentlich genannte - muslimische Freiwillige auf, die aus diversen arabischen Ländern nach Syrien zögen. Assad hingegen scheint der Horror nun einzuholen, den er selbst seit einem Jahr mit zunehmender Skrupellosigkeit verbreitet. Seit Beginn der Rebellion charakterisierte er seinen blutigen Kampf gegen zunächst unbewaffnete Demonstranten als Abwehr ausländischer Komplotte und des Al-Kaida Terrors – eine Behauptung, der nur wenige Glauben schenkten. Doch je mehr er seinen Terror gegen die Zivilbevölkerung eskalierte, desto mehr öffnete er ebenso brutalen Mörderbanden Tür und Tor. Der Todeskampf seines Regimes nimmt zunehmend konfessionellen Charakter an. Schon wird aus den Kreisen der „Freien syrischen Armee“ bekannt, dass sich ihnen zunehmend Soldaten mit sunnitisch-islamistischen Überzeugungen anschließen. Für Islamisten, wie di e Al-Kaida und deren Sympathisanten gelten die Alawiten als Häretiker, die den Tod verdienten. Dies ganz abgesehen von der historischen Feindschaft zwischen Syriens Alawiten und Sunniten.

In dem seit mehr als einer Woche umkämpften Homs kommt es immer häufiger, wie einst im Irak, zu wahllosen Morden an alewitischen oder auch christlichen Familien. Einige Sektoren der Stadt, in dem der Widerstand gegen das Regime besonders hartnäckig ist, grenzen direkt an alewitische Bezirke an. Hier begann bereits der Teufelskreis der Rachemorde.

Homs, das Epizentrum des Widerstandes, trifft der Terror des Assad-Regime deshalb mit besonderer Brutalität, weil der Diktator befürchtet, dass die Opposition hier, nach dem Vorbild des libyschen Benghazi, eine befreite Zone errichten könnte, von der aus sie die Herrscher in Damaskus schließlich zu Fall bringen würde. Dies mit hemmungsloser Gewalt zu verhindern, stürzt Syrien noch tiefer in eine unabsehbare Katastrophe und raubt jede Chance auf einen Ausweg aus dem blutigen Gemetzel.

Weiterlesen ...

Mittwoch, 8. Februar 2012

ÄGYPTEN: „Wir stürzten Mubarak, um die Revolution zu ermöglichen“

Der Kampf um Würde, Freiheit und Mitbestimmung tritt nach den ersten dramatischen Siegen in eine neue Phase
(Bild: Graffiti von in Demonstrationen getöteten Jugendlichen)

von Birgit Cerha

„Wenn sich der Nil wieder in sein Bett zurückzieht, dann hinterläßt er ein mit neuer fruchtbarer Kraft durchdrungenes Land. Wir stecken noch in der Phase der Überflutung, doch schon erkennen wir grüne Triebe aus dem Boden sprießen.“ Ahdaf Soueif, die berühmte ägyptische Autorin, drückt mit dieser Allegorie aus der Vergangenheit eine Hoffnung aus, an die sich Ägyptens junge Revolutionäre klammern, nachdem sie am 11. Februar 2011 nach nur 18 Tagen den mächtigen Pharao Hosni Mubarak vom Thron gestoßen hatten, doch selbst noch keine Früchte ihrer mutigen Taten ernten konnten.

Wael Ghonim, der als Held der Revolution gefeierte junge Internet-Aktivist, teilt die Enttäuschung seiner Gesinnungsgenossen über den langsamen Wandel am Nil, über eine Entwicklung, die Ägypten um Monate zurückzuwerfen droht. Wieder werden Demonstranten, die sich für demokratische Freiheiten engagieren, getötet oder von der Militärführung als Verräter im Dienste des Auslands gebrandmarkt. Beginnt der Kampf von neuem? Ghanim und viele seiner Mitstreiter aber lassen sich nicht unterkriegen. Die immer neuen Widerstände und Gewaltakte der Sicherheitskräfte stärkten nur seine Entschlossenheit weiter zu kämpfen. Denn zu viel sei bereits erreicht. „Hätte mir jemand vor mehr als einem Jahr gesagt, 27 Millionen Ägypter werden in die Straßen ziehen, Mubarak zum Rücktritt zwingen und anschließend in freier Entscheidung ein Parlament wählen, ich hätte ihn zum Psychiater geschickt.“

Trotz des Blutbads im Fußballstadion von Port Said, für das viele das herrschende Militär verantwortlich machen, trotz der Welle teilweise blutig endender Proteste trotz der über Internet verbreiteten Bilder durch Vogelschrot aus Gewehren von Sicherheitskräften verletzter Demonstranten, trotz vieler Widersprüche der Generäle und großer Ungewissheiten über die wahren Absichten der das neue Parlament dominierenden Islamisten, bleibt Ägypten ein Ort der Hoffnung und neuer Möglichkeiten.

Der Kopte Girgis, der schwere Konflikte zwischen der politisch nun von Islamisten geführten muslimischen Bevölkerungsmehrheit und der christlichen Minderheit heraufziehen sieht, blickt zurück in die Geschichte, als Rebellionen stets von einem starken Führer geleitet wurden. „Diesmal gibt es keinen klaren Anführer. Diesmal erhob sich das ägyptische Volk gemeinsam.“ Doch ein Jahr später ist die Einheit von Tahrir, dem Epizentrum der Revolution im Herzen Kairos, zerborsten. Immer tiefer dringen die Risse in Ägyptens Gesellschaft ein und rauben dem Land die Chance auf die so dringend nötige rasche Stabilisierung.

Drei Hauptströmungen beherrschen heute das Geschehen: das Militär, die Islamisten unter Führung der Moslembruderschaft und die revolutionäre Jugend, „Facebook-Republik“ genannt. Der einst populäre Militärrat hat in den Augen der jungen Demokratie-Aktivisten die Revolution verraten, verfolgt und attackiert die Aktivisten (an die 12.000 Zivilisten wurden seit einem Jahr verhaftet, um von Militärgerichten abgeurteilt zu werden) wirft ihnen zugleich vor, die Revolution „zu verewigen“ und damit das Land in den Abgrund zu treiben. Die Meinung über diese „üble Opposition“ teilt die „Couchpartei“, wie die jungen Aktivisten ein neues Phänomen in der politischen Landschaft nennen, nämlich jene wachsenden Bevölkerungsschichten, die zwar den Sturz Mubaraks befürwortete, doch sich verzweifelt nach einer Rückkehr zur Stabilität und damit ökonomischer Sicherheit sehnen. So gelang es den jungen Demokraten nicht, die Masse der Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen.

Die Moslembrüder und Salafisten, die in den ersten freien Wahlen seit sechs Jahrzehnten fast zwei Drittel der Parlamentssitze eroberten, haben der „Facebook-Republik“ in deren Augen die Revolution „gestohlen“, hatten sie sich doch aus Angst vor Repressionen zunächst von den Demonstrationen ferngehalten, nur um in einem weniger gefährlichen Moment auf „das Pferd“ aufzuspringen und sich mit einem liberale Kräfte keineswegs überzeugenden demokratischen Konzept zu einer dominierenden Stellung im neuen Staat zu sichern?

Die „Facebook-Republik“ , mit unklaren Zielen gespalten, fühlt sich an den Rand gedrängt, zunehmend unter Druck durch das Militär und seit kurzem auch durch die Moslembrüder, die sich als neue durch Wahlen legitimierte Macht verstehen.

Um verlorenen Boden wieder zu gewinnen, haben die revolutionären Bewegungen die „Kazebun“ (übersetzt: sie lügen)-Kampagne gestartet. Sie soll eine skeptische Bevölkerung durch hunderte in den Straßen Kairos und anderer Städte präsentierte Videofilme über die Brutalitäten der Militärs an unbewaffneten Zivilisten aufklären. Tausende Freiwillige zeigen interessierten Passanten auf Brücken, Plätzen, in Gassen und Hinterhöfen grausige Aufnahmen von Verletzungen, in der Hoffnung, mehr und mehr Bürger für ihre Kampagne zum Sturz des Militärrates zu gewinnen. Wie weit dies gelingen mag, wird der 11. Februar zeigen. Werden die Angestellte des öffentlichen Transports, Fabriksarbeiter, Lehrer, Beamte den Aufruf von Aktivistengruppen zum landesweiten zivilen Ungehorsam folgen, durch den das Militär zur sofortigen Übergabe der Macht gezwungen werden soll?

Doch die Moslembrüder „weisen diesen Aufruf zurück“. Neue – gefährliche – Fronten bilden sich am Nil. Die wachsende Animosität zwischen den Islamisten und den säkularen Revolutionären entlud sich erstmals in gewaltsamen Zusammenstößen vor dem Parlament. Stehen die pragmatisch-opportunistischen Moslembrüder tatsächlich im Bunde mit den Offizieren, die in den Augen der demokratischen Protestbewegung sich als nichts anderes entlarvt haben, als eine „Verlängerung des Mubarak-Regimes“? Manches deutet darauf hin: So setzen sich die „Brüder“ für ein Gesetz ein, das den Mitgliedern des Militärrates Immunität für Verbrechen garantiert, die seit ihrer Machtübernahme verübt wurden. Durch solche Anbiederungsversuche wollen sich die jahrzehntelang vom Mubarak-Regime verfolgten Islamisten nicht nur vor erneuten Repressionen schützen, sondern auch nach dem Vorbild der so erfolgreichen türkischen Bruderpartei mehr und mehr die Machtstrukturen des Staates infiltrieren. Aktionen gegen einen neuen gemeinsamen Gegner – die Demokratie-Aktivisten – sind dabei eine wichtige Strategie.

Die Islamisten verschließen auch die Augen vor den Manipulationen der Generäle, die durch immer neue Tricks und vage Versprechungen ihren vollen Rückzug aus der Politik nach sechs Jahrzehnten klar zu verhindern suchen. Um die jungen Revolutionäre zu beschwichtigen, ließ de-facto Herrscher Feldmarschall Tantawi erkennen, er wolle die Präsidentschaftswahlen um ein Monat, auf Mai, vorverlegen, nährte jedoch zugleich latentes Misstrauen, indem der Militärrat ein Gesetz über die Präsidentschaftswahl verabschiedete, ohne, wie vorgesehen, dieses dem Parlament zu präsentieren. Niemand zweifelt unterdessen daran, dass die Generäle alles daran setzen werden, um einem politischen System auf die Beine zu helfen, das ihnen ihre Macht und ihre übermäßigen ökonomischen Privilegien sichert. „Die Offiziere werden immer reicher, warum sollen sie die Macht abgeben, wenn sie heute auf allen Seiten gewinnen,“ meint ein Kairoer Geschäftsmann, der – wie so viele andere – sein Lokal von einem Militär mietet und 20 Prozent des Gewinns abliefern muss. Seit einem Jahr werden Mieter, die nicht bezahlen können oder wollen ins Gefängnis abgeschleppt.

Vor diesem Hintergrund erscheint so manchen der Sturz Mubaraks ein Kinderspiel. So schrieb ein Demokratie-Aktivist auf Twitter: „Wir hatten keine Revolution, um Mubarak zu stürzen; wir vertrieben Mubarak, damit wir eine Revolution beginnen können“ – gegen die in sechs Jahrzehnten zementierte Militärherrschaft.

Weiterlesen ...

Freitag, 3. Februar 2012

Ankaras außenpolitischer Seiltanz

Für die Türkei steht in Syrien nicht nur ihre geostrategische Rolle, sondern auch die eigene Sicherheit auf dem Spiel – Intervention bleibt nicht ausgeschlossen

von Birgit Cerha


Die Türkei erwäge, der Familie des syrischen Diktators Bashar el Assad Asyl zu gewähren, erläutert Präsident Gül und illustriert damit krass den heiklen Balanceakt Ankaras gegenüber seinem einstigen Freund. Während die Türken angesichts des anhaltenden Blutvergießens im Nachbarstaat, offen den Rücktritt des Diktators fordern, setzen sie zugleich voll auf diplomatischen Druck. Ankara hofft, dass die UNO einen Mechanismus finde, der das Blutvergießen endlich stoppen würde. Exil für die Herrscherfamilie ist eine nun diskutierte Option.Für die Türkei steht in Syrien nicht nur ihre jüngst errungene geostrategische Position auf dem Spiel. Es geht um ihre eigene Sicherheit und dafür ist Ankara im schlimmsten Fall auch zu einem direkten militärischen Einsatz bereit. „Jedes Szenario“ sei möglich, stellt das Außenministerium klar, sollte die Assads Repression derart eskalieren, dass Syrer in Massen in die Türkei flüchten. Die Errichtung einer „Pufferzone“ oder „sicherer Häfen“ im syrischen Grenzgebiet wird geplant.
Eine Intervention der Türkei zur Beendigung des Gemetzels mag westlichen Strategen attraktiv erscheinen, da nach dem Libyen-Desaster eine erneute internationale Militäraktion außer Frage steht, zumal vor allem auch Russland Assad nicht fallen zu lassen gedenkt. Einen Alleingang aber schließen türkische Führer vorerst aus, würden sie damit doch nationalistische Gefühle in der heiß umworbenen arabischen Welt schüren, Erinnerungen an die verhasste osmanische Herrschaft wachrufen und die Stabilität in der Region noch mehr gefährden. Besondere Sorge gilt des syrischen Partners Iran, in der gegenwärtigen Krise. Die Türken sind ängstlich bestrebt, die Beziehungen zu Teheran zumindest nicht zu verschlechtern.

Historische Feindseligkeiten Territorial- und Wasserkonflikte, Streitereien wegen Syriens Unterstützung der kurdischen Guerillaorganisation PKK in den 80er und 90er Jahren und Ankaras Hilfe für die oppositionellen syrischen Moslembrüder lasteten jahrzehntelang auf dem Verhältnis zwischen beiden Staaten. Erst im Schatten des von den USA geführten Krieges zum Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein 2003 ergriffen Ankara und Damaskus die Chance, durch Kooperation das regionale Machtgleichgewicht zu ihren Gunsten zu verschieben. Die Türken halfen den Syrern aus der internationalen Isolation auszubrechen, knüpften engste ökonomische Bande, während Assad der Türkei das Tor zur arabischen Welt öffnete. Mit dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak Ende 2011 wuchs aber in der Türkei, wie anderswo in der Region die Angst vor iranischer Expansion. Der vor einem Jahr ausgebrochene „Arabische Frühling“ bot in dieser veränderten regionalpolitischen Situation den Türken eine einzigartige Chance, sich führend an der Neugestaltung der Zukunft im Mittleren Osten zu beteiligen und als Großmacht zu etablieren. Ankara präsentiert sich seither demonstrativ als politisches Modell, das – im Gegensatz zum iranischen Rivalen - Islam und Demokratie, Modernität und Tradition erfolgreich vereine.

Eine anhaltende Unterstützung des brutal seine eigenen freiheitshungrigen Bürger mordenden Diktators Assad wurde mit diesem Ziel unvereinbar. Als 10.000 Syrer im Juni vor den brutal zuschlagenden Regierungssoldaten in die Türkei flüchteten, wechselte Ankara radikal die Fronten, bot Deserteuren der syrischen Armee Asyl und unterstützt die von abgesprungenen Offizieren geleitete „Freie syrische Armee“ für Militäreinsatze gegen das Regime. Die Türkei hob einen Dachverband der syrischen Opposition, den „Syrischen Nationalrat“, von ihren Schützlingen, den Moslembrüdern, dominiert, aus der Taufe, kann aber bis heute die tiefe Kluft unter den Assad-Gegnern nicht kitten und nicht eine neue syrische Elite unter ihrem Einfluss formieren.

Die Zeit für eine Lösung drängt. Je länger das Morden im Nachbarstaat anhält, desto größer wird die Gefahr, dass Syrien im Abgrund des Bürgerkrieges versinkt, und die Gewalt über die Grenze in die Türkei schwappt. Vor allem fürchtet Ankara aber, Assad werde, wie einst sein Vater, die „kurdische Karte“ einsetzen. Schon kursieren Berichte, der Syrer habe sich die Unterstützung der PKK gesichert, sie mit Waffen ausgestattet – eine Entwicklung, die die Türkei in tiefe Nervosität versetzt.

Weiterlesen ...

Donnerstag, 2. Februar 2012

Ägypten: Gefangen in der Spirale der Gewalt

Der Fußball-Katastrophe von Port Said illustriert dramatisch die Unfähigkeit des Militärs, das Land zu regieren

von Birgit Cerha

Ägypten steht im Schock. Fast ein Jahr nach dem Sturz von Diktator Mubarak hat die anarchische Gewalt Mittwoch mit 75 Toten im Fußballstadion von Port Said einen Höhepunkt erreicht. Die blutigen Zusammenstöße zwischen Fans der rivalisierenden Teams „Al-Masry“ und „Al –Ahly“ gehen weit über brutales Rowdytum hinaus, dem Anhänger dieses Sports weltweit immer wieder zum Opfer fallen. Es ist nicht nur die schockierend hohe Zahl der Toten, es sind die Umstände und Hintergründe dieses Blutbades, die Beobachter zu alarmierenden Kommentaren drängen, wie jene: es sei „ein Werk des Teufels“ (gemeint sind Anhänger Mubaraks) gewesen oder Ägyptens Revolution sei in ernsthafter „Gefahr“. Fest steht, die Tragödie von Port Said verschärft die politischen Spannungen am Nil in einer besonders kritischen Phase des Übergangs zur Demokratie dramatisch. Der regierende Militärrat muss sich auf mehr Gewalt (durch Ahly-Anhänger, genannt „Ultras“) und noch mehr Proteste gegen seine Herrschaft einstellen.Die genauen Umstände des Gemetzels werden wohl nie bekannt werden, wiewohl der Militärrat rasche Aufklärung ankündigte. Unklar ist, warum Anhänger der siegreichen Mannschaft, „Al Masry“ mit dem Schlusspfiff des Schiedsrichters aufs Feld stürmten und „Al-Ahly“-Spieler attackierten. Fest steht, dass die – viel zu wenigen – Polizisten, die für die Sicherheit von Teams verantwortlich waren, die sich in der Vergangenheit wiederholt gewaltsame Schlachten geliefert hatten, lange den brutalen Attacken der „Al-Masry“-Anhänger tatenlos zugesehen hatten.

Diese Umstände nähren Verschwörungstheorien. So halten viele Ägypter, darunter auch die nach den ersten freien Parlamentswahlen nun das Abgeordnetenhaus dominierenden Moslembrüder, das herrschende Militär für die Hauptschuldigen. Es riskiere ein derartiges Gemetzel, damit es seine Macht nicht – wie versprochen – bis Ende Juni an Zivilisten abgeben muss und die nun - unter dem Druck der Straße – teilweise aufgehobenen Notstandsgesetze wieder voll inkraft setzen könne.

Doch die Hintergründe des Geschehens sind komplex und verworren. „Al-Ahly“ ist nicht einfach nur eine Fußballmannschaft. Seine Anhänger, bekannt als „Ultras“, setzen sich aus Universitätsstudenten, Arbeitern und Demokratie-Aktivisten zusammen, die seit Januar 2011 besonders aktiv an den Demonstrationen gegen Mubarak teilgenommen und u.a. auch im September die israelische Botschaft in Kairo attackiert hatten. Sie spielten eine wichtige Rolle bei der Abwehr der „Schlacht der Kamele“, als Männer auf Kamelen in voller Geschwindigkeit Demonstranten auf dem Kairoer Tahrir-Platz attackierten . Es war eine der brutalsten Episoden der Revolution, die sich Donnerstag jährte. Die „Ultras“ lieferten der ägyptischen Polizei besonders heftigen Widerstand, bis sie Mubarak noch vor seinem Sturz von den Straßen zurückpfiff. Diese blutigen Konfrontationen zwischen Polizei und Ultra geben nun auch Anlaß zu der Vermutung, dass die bis heute nicht neu formierte Polizei Mittwoch in Port Said Rache an ihren Erzfeinden üben wollte – eine Vermutung, die sich allerdings kaum beweisen läßt.

Fest steht jedoch, dass das Blutbad von Port Said in einer Reihe anderer jüngster Gewaltakte steht, die ein enormes Sicherheitsmanko im Land dokumentieren, für das nicht nur das Innenministerium, sondern auch der herrschende Militärrat die Verantwortung trägt. Sollten die blutigen Ereignisse von Port Said tatsächlich einer Strategie der Offiziere folgen, dann schneiden sich diese damit ins eigene Fleisch. Denn sie stärken damit jene Kräfte in ihren Reihen, die sich für die Beibehaltung der repressiven Notstandsgesetze engagieren und vom Übergang zu echter Demokratie nichts wissen wollen. Zugleich aber beweisen sie durch den Tod so vieler Menschen dramatisch ihre eigene Unfähigkeit, das Land in eine stabile Zukunft zu führen.

Weiterlesen ...