Montag, 30. Mai 2011

Der Jemen sinkt immer tiefer ins Chaos

Unruhe breitet sich in den Süden aus, wo Islamisten die drittgrößte Stadt kontrollieren – Präsident Saleh setzt auf brutale Härte

von Birgit Cerha

Montag im „Arabia felix“, wie einst die Römer den Jemen nannten: Explosionen in Sanaa, Luft- und Artillerieangriffe der Streitkräfte auf Al-Kaida Positionen bei Zinjibar im Süden, brutale Zerschlagung friedlicher Proteste in Taiz, Dutzende Tote, Hunderte Verletzte, Panik und Verzweiflung. Vier Monate nach Beginn friedlicher Demonstrationen für Demokratie sinkt der Jemen immer tiefer ins Chaos. Die Situation hat sich dramatisch verschärft, seit sich Präsident Saleh am 22. Mai im letzten Moment geweigert hatte, ein von den Golfstaaten vermitteltes Abkommen zu unterzeichnen, das ihm und seiner Familie Straffreiheit garantiert, wenn er binnen 30 Tagen nach Inkraftsetzung das Land verläßt. Nun haben die Vermittler aufgegeben und Saleh versucht mit Tricks und voller Brutalität sich die Macht zu erhalten. Dabei wächst die Zahl der zivilen Opfer dramatisch. Mehr als 300 Menschen mussten bereits ihr Leben lassen.
„Sie attackierten, sie schossen auf Menschen, verbrannten ihre Zelte. Sie holten Bulldozer und erledigten sie alle“, berichtete Demokratie-Aktivist Bushra al-Maqtari über den Versuch der Sicherheitskräfte, in der Nacht auf Montag einen viermonatigen Sitzstreik Tausender zu beenden. „Es war ein Massaker. Sie zerrten Verwundete von den Straßen und schleppten sie in Gefängnisse.“ Mindestens 20 Menschen starben und an die 150 wurden verletzt. Die Oppositions-Koalition „Gemeinsames Forum“ spricht von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, für die Saleh persönlich zur Verantwortung gezogen werden müsse. Und der mächtigste Gegenspieler des Präsidenten, Stammesführer Sadik al Ahmar, verurteilte „dieses neue Massaker“ aufs schärfste. Explosionen in Sanaa lassen befürchten, dass der Scheich, der Tausende schwer bewaffnete Männer kommandiert, einen am Wochenende vereinbarten Waffenstillstand nun nicht einhalten könnte. Mehr als hundert Menschen waren in den vergangenen Tagen in Sanaa bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Ahmars Männern ums Leben gekommen, die mehrere Regierungsgebäude besetzt hatten, um einen gefürchteten Angriffe auf die Stammeskrieger zu verhindern. Ahmar hatte unterdessen mit der Räumung der Gebäude als Teil eines Waffenstillstandsabkommens begonnen. Doch die Spannungen haben sich derart verschärft, dass die Kämpfe jederzeit wieder voll ausbrechen und Teile der Hauptstadt lahmlegen könnten.

Unterdessen breitet sich das gewaltsame Chaos auch in den Süden aus. Dort konnten Montag islamistische Kämpfer offenbar die Kontrolle über Zinjibar, die Hauptstadt der Provinz Abyan konsolidieren. An die 300 Islamisten waren vor einigen Tagen in die Stadt eingedrungen. Nach heftigen Kämpfen verließen die dort stationierten Sicherheitskräfte, die einer von den USA im Anti-Terrorkampf trainierten Einheit angehörten, plötzlich die Stadt. „Es erscheint absurd, dass diese Elite-Einheiten schlecht ausgerüstete Kämpfer der Al Kaida nicht zurückschlagen konnten“, spricht der jemenitische Analyst Abdual Ghani al-Iryani einen weit verbreiteten Verdacht aus, Saleh habe dieses Coup inszeniert, um Ängste seiner Nachbarn wie der USA zu schüren, dass „Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AKAH) die Kontrolle über Teile des Landes gewinnen könnte, wenn er die Macht verlöre. Tatsächlich spielt der Präsident seit Jahren mit dieser Gefahr, um sich Unterstützung und Finanzhilfe seiner Verbündeten zu sichern.

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Donnerstag, 26. Mai 2011

JEMEN: Gewaltsame Eskalation im Jemen

Präsident Saleh verhärtet seine Position, während sich ein Konflikt mit den mächtigen Stämmen blutig verschärft

Bild: Mitte: Sadiq al Ahmar




von Birgit Cerha

Teile Sanaas, der Hauptstadt des Jemen, gleichen einer Kriegszone. Bürger der Stadt packen in Panik einige Habseligkeit auf Autodächer und flüchten aus Stadtvierteln, in denen sich seit Montag Einheiten der von dem Sohn und dem Neffen Präsident Salehs kommandierten Republikanischen Garden und der Sicherheitskräfte mit Angehörigen des mächtigsten Stammesverbandes der Haschids heftige Gefechte liefern. An die 50 Menschen kamen dabei bereits ums Leben. Zugleich verhärtet der durch friedliche Massenproteste seit Februar schwer bedrängte Präsident seine Position, lehnt energisch jegliche „Zugeständnisse“ an seine Gegner ab, will von „Kapitulation“ gegenüber jenen, die Gewalt gegen ihn anwendeten, nichts wissen und bezeichnet in einem Interview mit „Reuters“ die Probleme des Landes als rein „interne Angelegenheit“. „Jeder muss wissen, dass wir keine Befehle von außen befolgen.“
Damit bezog sich Saleh auf einen vom Golfkooperationsrat (GCC) unter Führung Saudi-Arabiens erarbeiteten Lösungsplan, der seinen Rücktritt binnen 30 Tagen nach Einigung auf einen Übergangsplan mit der Opposition vorsieht und ihm, wie seinen Familienangehörigen völlige Straffreiheit garantiert. Saleh hatte Sonntag im letzten Moment zum dritten Mal die Unterschrift unter den GCC-Plan verweigert und die frustrierten Nachbarn damit gezwungen, ihre Vermittlungsbemühungen aufzugeben. Die Zukunft des Jemen erscheint damit ungewisser denn je.

Beobachtern ist längst klar, dass Saleh, im Volksmund nicht ohne Grund der „Schlangenbeschwörer“ betitelt, eine langbewährte Strategie betreibt, die ihm in diesem zerrissenen Land mit seinen gigantischen sozialen und machtpolitischen Problemen sei t mehr als 30 Jahren die Macht sicherte: Täuschungsmanöver und Hinhaltetaktik, um die Gegner zu zermürben und zur Aufgabe ihrer Positionen zu zwingen. Oppositionskreise sind davon überzeugt, dass er jede nur erdenkliche Methode anwenden wird, um sich die Macht zu erhalten. Der Fall seines gestürzten ägyptischen Amtskollegen, der nun vor Gericht gestellt und vielleicht sogar mit dem Tode bestraft werden soll, hat ihn offenbar in seiner Entschlossenheit, bis zum Ende zu kämpfen, noch bestärkt.

„Saleh versucht nun“, Jemens Probleme als bloßen „Konflikt zwischen ihm und der Familie der Al-Ahmars“, die den Haschid-Stammesverband anführen darzustellen, erläutert Amin Arrabiyi, einer der Führer der Jugendbewegung, die seit Februar im Zentrum Sanaas durch Sitzstreiks Saleh zum Rücktritt zu zwingen sucht. Unterstützt von Tausenden hochbewaffneten Stammesangehörigen, die in den vergangenen Tagen in die Hauptstadt eindrangen, hatte Sadik, einer der zehn mächtigen Ahmar-Brüder einige Regierungsgebäude, die staatliche Nachrichtenagentur und die Büros der Fluglinie „Yemenia“ besetzt und dort nach eigenen Angaben riesige von den Regierungstruppen angelegte Waffenlager ausgehoben. Die Gebäude liegen im Umkreis von Sadiks Wohnsitz, der unterdessen schwer beschädigt wurde.

Der Konflikt zwischen Saleh und den Ahmars reicht weit zurück, verschärfte sich seit 2006, als Sadiks einflußreicher Bruder Hamid offen zu einer Revolution gegen den Präsidenten aufrief und sich als Nachfolger anpries. Saleh wirft ihm nun vor, die spontan aus der Bevölkerung gebildete Protestbewegung seit vielen Wochen finanziell zu unterstützen. Die Waffenlager in Regierungsgebäuden werden von Oppositionskreisen als Provokation Salehs interpretiert, durch die er die Ahmars zur Gewalt gegen die Sicherheitskräfte treiben will, die dann mit voller Härte zuschlagen sollten. Auf diese Weise könnte er die Schuld an der Gewalt der Opposition zuschieben und sich selbst als stabilisierende Kraft präsentieren. Die Tatsache, dass eine hohe Delegation von Stammesführern bei Schlichtungsbemühungen Montag von Regierungstruppen beschossen und drei von ihnen getötet wurden, erhärtet solchen Verdacht. Um die Eskalation voranzutreiben, hat Saleh Donnerstag die Verhaftung Sadiks angeordnet, doch ohne massiven Blutvergießens, wird er diesen Befehl nicht durchsetzen können. Die Ahmars sind, wie andere Stämme, hoch bewaffnet und kampferprobt. Vorerst hält sich ein anderes prominentes Stammesmitglied, Generalmajor Ali Mohsen al Ahmar, der im März mit seiner ersten Heeres-Panzerdivision zur Opposition übergelaufen ist, aus dieser Auseinandersetzung heraus. Damit bleibt noch eine kleine Hoffnung, dass der Jemen nicht in einem Bürgerkrieg mit unabsehbarem Ausgang versinkt.

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Dienstag, 24. Mai 2011

IRAN: Offener Krieg in Irans Führung

Ahmadinedschads Basis schrumpft im Machtkampf gegen Khamenei und das konservative Establishment

von Birgit Cerha

Zwei Jahre nach seiner heftig umstrittenen Wiederwahl verliert Irans Präsident Ahmadinedschad zunehmend den Rückhalt jener Kräfte, die ihm ungeachtet massiver Proteste aus politischen Kreisen und der Bevölkerung die Macht für eine zweite Amtsperiode sicherten: des „Geistlichen Führers“ Ali Khamenei und der ihn unterstützenden konservativen Fraktion des Establishments. Hatte Khamenei im Juni 2009 noch Ahmadinedschads Wiederwahl als „göttliche Fügung“ gefeiert, bereiten ihm nun offenbar die Bemühungen seines langjährigen Schützlings um Ausweitung seiner Macht zunehmend zunehmend Sorgen. So brach nun, da die „Grüne (Demokratie-)Bewegung“ durch brutale Repression – vorerst – politisch ausgeschaltet ist, innerhalb der Führung der „Islamischen Republik“ ein offener Krieg aus. Dabei geht es um die Weichenstellung für Parlamentswahlen 2012 und die im Jahr darauf folgende Präsidentschaftswahl, auf die nach dem Willen Khameneis und dessen Anhänger Ahmadinedschad keinen Einfluß haben soll. Unter dem konservativen Establishment herrscht wachsendes Misstrauen gegenüber dem Präsidenten, der seine Macht durch krassen Populismus auszubauen und durch zunehmend als „anti-klerikal“ empfundene Positionen die „Islamische Republik“ mehr und mehr von ihrem lanjährigen Kurs abzudrängen sucht.

Dieser nun offen ausgetragene Konflikt an der Spitze der Hierarchie illustriert den undemokratischen Charakter des politischen Systems der „Islamischen Republik“ zu einem Zeitpunkt, da ein „Frühling der Freiheit“ weite Teile des Mittleren Ostens erfasst hat und auch dem schiitischen Iran eine historische Chance zum Ausbau seines Einflusses in der Region böte. Selbst Regimevertreter warnen, die fortgesetzten Querelen würden die Kluft zwischen den Fraktionen vertiefen und äußeren Feinden die Möglichkeit bieten, diese Schwäche für ihre Interessen zu nützen.

Ahmadinedschad wurde in den vergangenen Wochen derart in die Enge getrieben, dass nun sogar offen darüber spekuliert wird, ob der Präsident den zweiten Teil seiner vierjährigen Amtszeit überhaupt beenden kann, ob er zum Rücktritt gezwungen oder vom Parlament in einem Amtsenthebungsverfahren abgesetzt werden könnte.

Im Zentrum des Konflikts steht Esfandiar Rahim Maschaie, seit 25 Jahren Vertrauter Ahmadinedschads und nun sein engster Berater, unter den islamischen Traditionalisten im System seit Beginn seines politischen Aufstiegs mit dem Amtsantritt des Präsidenten 2005 zutiefst verhaßt. Intensive Bemühungen, die starken Bande zwischen den beiden auch miteinander verwandten Männern (der Sohn des Präsidenten ist mit Maschaeis Tochter verheiratet) zu zerschlagen, scheiterten bisher. Ahmadinedschad scheut keinen Konflikt, um diesen Mann, den er zu seinem Nachfolger erkoren hat, damit er sein politisches Erbe verwalte – vielleicht bis zu einer erneuten Wiederwahl nach einer vierjährigen Pause – an seiner Seite zu halten.

Die lange schwelende Auseinandersetzung um Maschaie eskalierte im April, als ein Abhöraktion des staatlichen Geheimdienstes in den Büroräumen von Maschaie aufgedeckt wurde. Der Präsident entließ darauf hin Geheimdienstminister Heydar Moslehi, einen Vertrauten Khameneis und ignorierte dessen Aufforderung, Moslehi wieder einzusetzen. Vielmehr boykottierte er aus Protest gegen diese Einmischung des „Führers“ elf Tage lang die Regierungsarbeit. Daraufhin brach ein Sturm der Kritik über ihn herein. Sogar der einflußreiche Hardliner Ayatollah Mohammed Taqi Mesbah Yazdi, der als „geistiger Mentor“ Ahmadinedschads gilt, scheute erstmals nicht vor Attacken gegen den Präsidenten zurück. „Sich dem Willen des Höchsten Führers zu beugen, ist eine religiöse Pflicht, die nichts mit Politik zu tun hat“, mahnte Yazdi. „Sich dem Befehl des Höchsten Führers zu widersetzen, ist gleichbedeutend mit Widerstand gegen Gott.“ Andere führende Persönlichkeiten des Establishments, von Großayatollahs über Kommandanten der Revolutionsgarden bis zu Parlamentariern warnten Ahmadinedschad, dass eine Herausforderung Khameneis „Apostasie“ (Abfall vom Islam) gleichkäme.

Mehr als zwei Dutzend mit Maschaie verbundene Personen wurden unterdessen unter dem Vorwurf festgenommen, sie propagierten eine „Abweichung vom Islam und den Werten der Revolution“ und betrieben – in einem Fall – sogar „Hexerei“. Einige dem Präsidenten nahestehende Websites wurden blockiert und konservative Kreise drängten Ahmadinedschad, sich von seinem umstrittenen Berater zu trennen. Erst nachdem Khamenei die Bildung einer neuen Regierung in Auftrag gab, beendete der bedrängte Präsident seinen Boykott und holte Moslehi wieder ins Ministerium. Zugleich bekräftigte er seine unverbrüchliche Treue zum „Führer“. Doch kurz darauf schlug er, schwer gedemütigt, doch nicht entmutigt, zurück. Ohne die dafür nötige Billigung des Parlaments abzuwarten löste er drei wichtige Ministerien, darunter jenes für Öl und Energie auf und übernahm selbst die für den Iran lebenswichtigen Ölagenden. Der Schritt trug ihm einen schweren Verweis des mächtigen „Wächterrates“ ein, den Ahmadinedschad – zunächst – ignoriert.

Unterdessen halten sich Gerüchte, Maschaies Verhaftung stehe unmittelbar bevor. Die Liste der Vorwürfe die islamischen Traditionalisten gegen ihn erheben, ist lang. Sie reicht von der Propagierung eines“ iranischen Islam“, eines Liberalismus in kulturellen und gesellschaftlichen Fragen, über israel-freundliche Positionen und dem Versuch, die Beziehungen zu den USA zu verbessern bis zum Plan, die Macht Khameneis zu beschneiden und einen „Pluralismus, für den wir immer gekämpft hatten“, in der „Islamischen Republik“ zu verankern. Mit Ahmadinedschad teilt Maschaie die häuifig bekundete Überzeugung, dass der „Fünfte“, der „Verborgene Imam“ der Schiiten (der 874 verschwunden sein soll) bald wiederkehren werde, um ein Reich der Gerechtigkeit zu errichten und es sei seine, wie Ahmadinedschads Aufgabe, dafür den Weg zu bereiten. Viele gläubige Iraner, darunter auch Angehörige der höchsten Geistlichkeit halten solche Ideen für Aberglaube. Angehörige des konservativen Establishments sind überzeugt, Maschaie strebe, wohl gemeinsam mit Ahmadinedschad nach einem Iran ohne Herrschaft der Geistlichen.

Iranische Analysten sind davon überzeugt, Ahmadinedschad sei durch den jüngsten Konflikt empfindlich geschwächt. Doch er ist ein Kämpfer, der wiederholt phantasievoll bewiesen hat, dass er sich nicht unterkriegen läßt. Diese Rivalitäten werden den Iran noch länger in Atem halten.

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Freitag, 20. Mai 2011

Obamas Rede stößt auf arabische Skepsis

Kommentatoren warten auf „Taten“, die einer neuen Position gegenüber der Region entsprächen

von Birgit Cerha

Als ein Versuch, die Beziehungen zwischen der Supermacht und einer von deren Führer Obama bitter enttäuschten arabischen Welt neu zu gestalten, war die Grundsatzrede des US-Präsidenten vom Donnerstag abend in Washington angekündigt worden. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen in der Region. Doch erste Reaktionen lassen vermuten, dass Obama kein Stimmungsumschwung im arabischen Raum gelungen ist. Frustration und Skepsis bestimmen die Kommentare, wiewohl manche Analysten dem Amerikaner – ungeachtet aller Vorsicht – auch einen gewissen Mut zugestehen. So wird durchaus anerkannt, dass Obama als erster amtierender Präsident in der Palästinenserfrage eine Zweistaaten-Lösung auf der Basis der vor dem Sechstagekrieg 1967 bestehenden Grenzen (d.h. israelischer Rückzug aus Westjordanien und totale Aufgabe Gazas) fordert. Doch er kann damit erst überzeugen, wenn der Rhetorik auch Taten folgen. Als wichtigen Test dafür werten arabische Beobachter den Besuch des israelischen Premier Netanhayu im Weißen Haus. Wird Obama erstmals Israel unter Druck setzen.Mit seiner ersten Grundsatzrede zum Nahen Osten hatte der US-Präsident vor zwei Jahren in Kairo in der arabischen Welt große Hoffnungen geweckt, diese doch rasch wieder enttäuscht, als er bei seinen Bemühungen um einen Nahost-Frieden der hartnäckigen Position Israels nachgab. Dass er nun zwar für die Araber wohlklingende Worte fand, aber keinen konkreten Verhandlungsplan präsentierte, nährt arabische Misstrauen gegenüber der Entschlossenheit Obamas, eine gerechte Lösung des Palästinenserproblems zu finden. Zudem wird bemängelt, dass der Präsident zentrale Fragen – das Problem Jerusalems und der Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge – gar nicht ansprach.

Lange hatte Obama gezögert, um zum „arabischen Frühling“, der zwei seiner Verbündeten, den Tunesier Ben Ali und den Ägypter Mubarak, dahingefegt hatte, Stellung zu nehmen. Nun wird seine klare Bekräftigung des Ideals der Selbstbestimmung der Völker des Mittleren Ostens, wohl inspirierend wirken, insbesondere in Syrien, wo das Regime überraschend die Rede im staatlichen Fernsehen übertrug. Aber auch den Iranern, die sich seit vielen Monaten vom Westen vollends vernachlässigt fühlen, könnte Obamas Erwähnung des „grünen“ Aufstandes von 2009/10 neuen Mut geben. Die unterdrückten Kurden der Region allerdings werden sich wohl fragen, ob sie, wie stets in der Geschichte von dem Selbstbestimmungsrecht, auf das Obama so oft hinwies, ausgenommen bleiben.

Schon erklingt in arabischen Medien und sozialen Netzwerken erneut der Vorwurf der „’Doppelmoral“ und „Heuchelei“. Denn in seinem Einsatz für Demokratie und Menschenrechte drängte Obama zwar den langjährigen Partner Bahrain zum Dialog mit der inhaftierten Opposition, erwähnte aber den wichtigsten autokratischen Verbündeten Saudi-Arabien mit keinem Wort.

Er habe es auf diese Weise verstanden, arabische Demokraten ebenso zu vergrämen, die Autokraten, meint „Al Jezira“, die ihm den „Verrat“ ein dem jahrzehntelangen US-Freund Mubarak ankreiden.



Das Versprechen, Ägypten und Tunesien wirtschaftlich (mit zwei Mrd. Dollar Privatinvestitionen und einer Mrd. erlassener Schuld für Ägypten und einigen Millionen für Tunesien) unter die Arme zu greifen, wird zwar wohlwollend aufgenommen, doch es sei nicht mehr als ein „kleines Trostpflaster“, so ein ägyptischer Ökonom. Beiden Ländern hat der Umbruch nicht nur schwere wirtschaftliche Einbußen beschert, die noch lange nachwirken werden. Sie sind auch mit der enormen Herausforderung von grundlegenden Strukturreformen konfrontiert, um die vor allem in Ägypten so stark klaffende Kluft zwischen Arm und Reich zu schließen, den sozial Schwachen in beiden Ländern neue Hoffnung und damit auch dem demokratischen Experiment eine Chance zu geben. Ägypten sucht um Hilfe von zwölf Mrd. Dollar im Jahr und Tunesien um vier Mrd., allein um die Budgetlöcher zu füllen Weit größere Summen sind für die Modernisierung und Schaffung neuer Jobs nötig. Ein Kommentator in „Al Jezira“ erinnert an die deutsche Wiedervereinigung, die von Westdeutschland mehr als 1,9 Billionen Dollar zur Modernisierung Ost-Deutschlands erfordert hatte, eines Landes immerhin, dessen Bevölkerung nur ein Fünftel von jener Ägyptens ausmacht.

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Donnerstag, 19. Mai 2011

Neue Chancen für Jihadis in Libyen


Gewalttätige Extremisten gewinnen im wachsenden Chaos unverhofften Aktions-Freiraum und Zugang zu reichen Waffenquellen

von Birgit Cerha

Der „arabische Frühling“ mit seiner Botschaft von Freiheit, Demokratie und Säkularismus versetzte den Jihadis und ihren Anhängern in der Region einen schweren Rückschlag, psychologisch verschärft noch durch den Tod des Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden. In Tunesien und im volksreichsten arabischen Land Ägypten gelang ein dramatischer Wandel gewaltlos durch eine Massenbewegung, in der die Islamisten keine Rolle spielten. In dem Maße, in dem sich die Region politisch öffnet und frustrierten Bürgern ein demokratisches Ventil bietet, wird die Gewaltbotschaft der Jihadis immer weniger Gehör finden.
Dennoch, die Terrorgefahr ist keineswegs gebannt. In Nordafrika nämlich bieten sich den Extremisten neue Chancen. Nach einem Bericht des in Washington stationierten Think Tank „Carnegie Endowment“ bergen das Machtvakuum und das sich ausbreitende Chaos in Libyen enorme Risiken für die Stabilität der gesamten Region, ja auch für die Sicherheit Europas. Ein Alarmsignal stellt die jüngste Festnahme von vier Waffenschmugglern in den süd-tunesischen Städten Nekrif und Bir Amir dar. Nach Einschätzung der tunesischen Sicherheitskräfte stammten größere Mengen von Granaten und Munition aus Libyen und dürften für Gruppen der „Al-Kaida im islamischen Maghreb“ (AKIM) bestimmt gewesen sein. Erhärtet sich dieser Verdacht, dann handelt es sich um den ersten Beweis eines beginnenden größeren Waffenschmuggels aus Libyen.

Während AKIM in Tunesien versucht, das Wirrwarr nach dem Sturz von Diktator Ben Ali für ihre Zwecke zu nutzen, vermindert sich in Algerien durch wachsende Machtkämpfe und interne Unruhen der lange massive Druck auf die dort ansässige AKIM-Zentrale. Vor allem bietet das libysche Chaos den Jihadis die Möglichkeit, eine neue Operationsbasis in der Region einzurichten.

Lange vor Ausbruch der Rebellion gegen das Regime in Tripolis hatten die Jihadis, vor allem die „Libysche islamische Kampfgruppe“ (LIK), die größte interne Gefahr für Diktator Gadafi dargestellt. In den 90er Jahren hatte die aus Veteranen des Afghanistan-Krieges gegen die Sowjetunion zusammengesetzte LIK mehrmals Attentatsvesuche auf Gadafi verübt. LIK, die Bin Laden und dessen Stellvertreter Aiman al-Zawaheri, nahe stand, hatte bis zu Beginn des von den USA geführten Anti-Terrorkrieges 2001 laut „Carnegie Endowment“ mehr als tausend Libyer in afghanischen Lagern trainiert und die Organisation zur gefährlichsten islamistischen Gruppe Nord-Afrikas aufgebaut. Während zahlreiche Extremisten direkt mit Al-Kaida verbunden waren, agierten andere auf eigene Faust, um Libyen von Gadafi zu befreien.

Libyer spielten aber auch eine entscheidende Rolle im internationalen Terrornetz, kämpften nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Bosnien, in Tschetschenien und zuletzt intensiv im Irak. Wie andere Diktatoren, sah Gadafi im Export der Jihadis die Chance, sich selbst eines gefährlichen Problems zu entledigen. Die Beschlagnahme von vielen Personalakten im irakischen Sinjar 2007 durch US-Besatzungstruppen vermittelte Einblick in die Bedeutung der Libyer für das Al-Kaida Netzwerk. Danach stellten nur die Saudis ein höheres Kontingent im Terrornetzwerk als die Libyer, die zudem weit radikalisierter waren. 85 Prozent der libyschen Jihadis gaben als Beruf „Selbstmordattentäter“ und nur 13 „Kämpfer“ an. Im Fall der Saudis lag das Verhältnis bei 50 zu 50.

Zudem gaben mehr als 80 Prozent der Extremisten die unterdessen von Gadafis Herrschaft befreiten ost-libyschen Städte Darnah und Benghazi an. Kein Zufall, meinen Experten, denn Jihadis, die aus Afghanistan heimgekehrt waren, ließen sich mehrheitlich in dieser Region nieder, die die staatlichen Sicherheitskräfte nicht voll zu kontrollieren vermochten. Laut Wikileaks hatten diese Afghanistan-Veteranen beträchtlichen Einfluß auf junge Männer, von denen sich viele mit Arbeitslosigkeit quälten.

Gadafi betrieb schließlich gegenüber den radikalen Islamisten eine Politik von Zuckerbrot und Peitsche. Er begann in den späten 90er Jahren ein „Rehabilitierungsprogramm“ in den Gefängnissen, das sich auf das simple Konzept stützte: Wenn inhaftierte Kämpfer der Gewalt abschworen und die Legitimität des Regimes anerkannten, erhielten sie die Freiheit. Auf diese Art wurden in den vergangenen Jahren mehr als 700 Jihadis, viele davon kampferprobte Terroristen, aus den Gefängnissen entlassen, zuletzt zu Beginn der Rebellion fast 200. Das Unwissen über die Identität dieser Männer und deren gegenwärtigen Aufenthaltsort alarmiert Anti-Terror-Experten. Inzwischen herrscht allerdings kein Zweifel daran, dass sich einige von ihnen den von der NATO unterstützten Rebellen anschlossen und sich wohl an der Plünderung von reichen Waffenlagern des Regimes in Ost-Libyen beteiligten.

Auch wenn sie im Fall eines Sturzes von Gadafi kaum die Chance der Beteiligung an der Macht besitzen, haben sie einen Aktionsfreiraum und ein Waffenarsenal gewonnen, das ihnen gefährlich neue Möglichkeiten zur Stärkung des Terrornetzwerkes in Nordafrika bietet.

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Sonntag, 15. Mai 2011

„Syrien ist anders“

Die Familie Assad hält eng zusammen, nach dem Motto: Wenn einer stürzt, stürzen alle -Die Proteste haben nicht die kritische Masse erreicht

von Birgit Cerha

In Damaskus, dieser seit 6000 Jahren bewohnten ältesten Stadt der Welt, schlägt seit Jahrzehnten das Herz des Arabismus lauter als anderswo in der Region. „Syrien ist anders“ als etwa Tunesien, der Jemen, Libyen oder gar Ägypten, wo Massenrebellionen der unterdrückten Untertanen ihre Herrscher zum Wanken brachten. Die geostrategische Bedeutung Syriens und jahrzehntelanges, geschicktes außenpolitisches Machtspiel nähren Präsident Assads erstaunliches Selbstbewusstsein, die Überzeugung, dass die Nachbarn, die Europäer und die Amerikaner nicht zulassen werden, dass dieses kleine, so wichtige Land durch einen Sturz seines Regimes ins Chaos versinkt und damit die gesamte Region – inklusive Israel – in schier endlose Turbulenzen stürzt.
Das Potential für Chaos, ja gar einen grausigen Bürgerkrieg nach irakischem Vorbild, ist durchaus gegeben und wird bewusst vom Regime hochgespielt. Immerhin gleicht Syrien, ähnlich wie der Irak, einem Mosaik unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Die große Mehrheit, etwa 74 Prozent bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islams, darunter auch die 1,7 Millionen Angehörige der ethnischen Minderheit der Kurden. Zehn Prozent der etwa 22 Millionen Syrer sind Christen und drei Prozent Anhänger der drusischen Geheimreligion. Zudem beherbergt Syrien auch 500.000 palästinensische und seit 2003 mehr als eine Million irakische Flüchtlinge – eine beträchtliche Belastung für die Sozialstruktur des Landes.

Nach jahrelangen blutigen Machtkämpfen und Umstürzen leitete Hafez el Assad durch einen Putsch 1970 eine Ära politischer Stabilität ein, die weitgehend bis zu Beginn der friedlichen, jedoch blutig niedergeschlagenen Kundgebungen für Freiheit und Demokratie vor zwei Monaten anhielt. Assad stärkte das Machtmonopol der bis heute herrschenden panarabischen Baath-Partei und konzentrierte sein Herrschaftssystem auf Angehörige seiner alawitischen Minderheit.in der Baath-Partei, wie in den Streitkräften. Er baute ein Netz von sich gegenseitig bespitzelnden Geheimdiensten auf und sicherte sich deren Loyalität durch enorme ökonomische Vergünstigungen. Sein Sohn Bashar, der 2000 die Nachfolge antrat, baute, ungeachtet verbaler Kampfansagen gegen Korruption die Vettern- und Günstlingswirtschaft noch weiter aus. Politische Gegner wurden – und werden bis heute – brutal verfolgt, manche verschwanden vor Jahrzehnten ohne Gerichtsverfahren in den Gefängnissen. Das Hama-Gespenst hängt drohend über dem Land. Die Wunden des Massakers, durch das das Regime 1982 in der Stadt Hama einen Aufstand der sunnitischen Moslembrüder niederschlug, sind nicht verheilt. An die 20.000 Menschen dürften damals ums Leben gekommen sein und die Angst vor blutiger Rache der Sunniten sitzt tief unter der alawitischen Herrscherelite und stärkt deren Entschlossenheit, sich mit aller Kraft an die Macht zu klammern.

Heute ist die Macht vollends in den Händen der Familie, sowie einiger Getreuer konzentriert. Als zweitstärkster Mann im Staat gilt der jüngere Bruder Maher, den die EU und die USA nun auf die Liste der syrischen Führer gesetzt hat, die Sanktionen direkt treffen sollen. Denn Maher wird hauptverantwortlich für den Tod von mehr als 800 friedlichen Demonstranten gemacht, die die Kugeln der Sicherheitskräfte trafen. Da es in Syrien keine freien Medien gibt, sind Informationen über Entwicklungen im System spärlich. Doch nach verlässlichen Quellen hält die Familie, ungeachtet möglicher grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten in Fragen der Repression und Reformen (für die sich Bashar einsetzt) in der Erkenntnis zusammen, „wenn einer stürzt, stürzen wir alle“. Und dabei wissen sie Geheimdienste und die von alawitischen Offizieren dominierten Sicherheitskräfte hinter sich.

Dennoch kann sich das Regime auch auf Angehörige der sunnitischen Mittelschicht, insbesondere der Geschäftswelt stützen, die durch die Politik der Assads profitierte, während es eine alawitische Unterschichte gibt, die zur schärfsten Opposition des Landes zählt. Denn Syrien ist eines der armen Länder der arabischen Welt und die Kluft zwischen Arm und Reich vertiefte sich in den vergangenen Jahren dramatisch. So sind es auch die sozialen Nöte, nicht nur die Sehnsucht nach Freiheit und Mitbestimmung, die die Menschen in die Straßen treiben. Laut UNO leben 2,2 Millionen Syrer (11,4 Prozent der Bevölkerung) in extremer Armut, 40 Prozent in illegal gebauten Häusern und 20 Prozent finden keine Arbeit. Die Situation wird sich nun noch verschlimmern, denn nach ersten Schätzungen wird die Wirtschaft aufgrund der Turbulenzen in diesem Jahr um drei Prozent schrumpfen.

Die syrischen Geheimdienste zählen zu den brutalsten in der Region. Politischer Aktivismus erwies sich deshalb in Syrien seit langem als weit gefährlicher als etwa in Tunesien oder Ägypten. Die Baathpartei besitzt Monopol, die einst stärkste Opposition, die Moslembruderschaft, ist durch Repression massiv geschwächt, die Zivilgesellschaft konnte sich bisher kaum entwickeln. Doch auch junge Syrer fanden, wie die Scharen von Gleichgesinnten in anderen Teilen der Region, heißersehnte Ausdrucksmöglichkeit in den sozialen Netzwerken, die etwa wie das inzwischen 170.000 Mitglieder zählende Facebook „Syrian Revolution 2011“ vom Ausland, in diesem Fall von Schweden, aus administriert werden. Unterdessen tauscht eine informelle Armee von Cyber-Aktivisten Informationen aus,. „Syrian Revolution 2011“ und andere rufen die Bevölkerung zu Protesten auf, während Aktivisten vor Ort Aktionen organisieren. Teilnehmer an den Protesten sind Menschen aller Schichten und Altersgruppen. Doch ihre Zahlen schrumpfen mit zunehmender Brutalität des Regimes. Sie haben keine Führer und immer mehr Aktivisten verschwinden im Untergrund, um Massenverhaftungen zu entgehen. Führende Mitglieder des Dissidenten-Netzes sind überwiegend säkulare, liberale Intellektuelle.

Noch haben die Proteste nicht die für das Regime kritische Masse erreicht, die etwa Mubarak in Ägypten die Macht kostete. Denn die Mauer der Furcht, die jahrzehntelang das Regime schützte, ist nicht vollends eingebrochen und Assad tut alles, um sie wieder zu stärken. „Die herrschende Elite wird bis zum Ende kämpfen, in einer Schlacht, die den gesamten Mittleren Osten in Turbulenzen, ja gar einen Krieg stürzen könnte, warnt Rami Makhlouf, enger Vertrauter und Vetter des Präsidenten.

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Montag, 9. Mai 2011

SYRIEN: Die Situation ist höchst alarmierend

Syriens Regime jagt die Opposition – Die Zahl der Toten und Verhafteten steigt rapide, während Assad auf volle Härte setzt

von Birgit Cerha

Der Donner von schwerem Geschütz und dichter schwarzer Rauch stiegen Montag von Muadhamiya auf, einem westlichen Vorort von Damaskus, den die Armee mit Panzern umringt. Strom und Telefonverbindungen wurden unterbrochen, während die Sicherheitskräfte von Haus zu Haus zogen und unzählige Menschen festnahmen, die sie der Organisation von und der Beteiligung an Anti-Regime Demonstrationen verdächtigen.
Das selbe geschah in einer dramatischen Eskalation der Niederschlagung der Reformen fordernden Protestbewegung in den vergangenen Tagen in der südlichen Stadt Deraa, wo die Demonstrationen Mitte März begonnen hatten, in Homs, in Zentralsyrien, und schließlich am Wochenende in Banias. Diese mediterrane Küstenstadt, mit dem wichtigsten Exporthafen für syrisches Öl, glich Montag nach Aussagen lokaler Menschenrechtsaktivisten einer Geisterstadt, völlig isoliert vom Rest Syriens, ohne Wasser, Strom und Kommunikation. Beobachter berichteten von schweren Schießereien. Abdel Rahman von der „Syrischen Beobachtungsstation für Menschenrechte“ warnt vor einer „humanitären Katastrophe“

Laut syrischen Menschenrechtsaktivisten wurden seit Beginn dieser brutalen Repression mindestens 8000 Menschen festgenommen, darunter mindestens ein zehnjähriges Kind. Die Situation sei höchst alarmierend, warnt der Menschenrechtsaktivist Radwan Ziadeh. „Die Zahl der Toten steigt stetig.“ In den Gefängnissen ist kein Platz mehr. Festgenommene werden in Schulen und andere öffentliche Gebäuden gesperrt. Aktivisten gehen in den Untergrund, während das Regime als Akt der Einschüchterung den krebskranken führenden Oppositionellen Riad Seif verhaftete und wegen der Organisierung von Protesten ohne Genehmigung anklagte.

Nach Schätzungen kamen seit Beginn der friedlichen Proteste vor sieben Wochen an die 800 Menschen ums Leben. Das Regime leugnet dies, begründet die ungeheuerlichen Brutalitäten gegen friedliche Bürger mit einem Kampf gegen „bewaffnete Banden, der – so betonte Assad am Wochenende in der Zeitung „Al-Watan“ - bald gewonnen sei und dann „werden wir die administrativen und politischen Reformen vorantreiben“.

Zum erstenmal richteten am Wochenende Demokratie-Aktivisten direkte Forderungen an Assad. In einem über Facebook verbreiteten Appell forderte die „Syrische Revolution 2011“ freie Wahlen. „Du (Bashar) wirst der Stolz des heutigen Syrien sein, wenn du das Land von einer Diktatur in eine Demokratie verwandeln kannst. Die Syrer werden dir dankbar sein, und es ist möglich, dies zu tun. Die Lösung ist einfach: Stopp den Beschuss von Demonstranten, gestatte friedliche Demonstrationen, entferne alle deine Bilder, sowie die deines Vaters, lasse alle politischen Gefangenen frei, gestatte politischen Pluralismus und freie Wahlen binnen sechs Monaten.“

Doch Assad – das zeigen die dramatischen Ereignisse der vergangenen Tage nur all zu deutlich – hat sich entschlossen, dem Vorbild und Rat seines engen strategischen Verbündeten Iran zu folgen, der 2009/10 eine das Regime zutiefst erschütternde Massenbewegung für Demokratie und freie Wahlen mit ungeheuerlicher Brutalität schließlich – zunächst? – erfolgreich niedergeschlagen hat. Die kollektive Bestrafung ganzer Städte, Massenverhaftungen, begleitet von aktiv eingesetzten Scharfschützen kann es tatsächlich auch in Syrien, wie im Iran, schaffen, die Barriere der Furcht wieder zu stärken. „Wenn das Regime einen Menschen verhaftet und foltert, jagt es mindestens zehn seiner Freunde panische Angst ein“, erläutert der Dissident Rami Nakhleh. Das ist eine der wichtigen Methoden, angewandt im Iran, auf die sich Assad nun seit zwei Wochen konzentriert und es lassen sich bereits erste Anzeichen neuer Zuversicht in den Kreisen der herrschenden Schichte erkennen.

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Sonntag, 8. Mai 2011

ÄGYPTEN: Koptische Kirchen brennen

Gewalt gegen Christen gefährdet revolutionäre Errungenschaften in Ägypten – Salafisten im Aufwind – Schlagen Konterrevolutionäre zu?

von Birgit Cerha

Ägyptens Premierminister Essam Sharaf, zutiefst alarmiert über den Tod von zehn Menschen bei blutigen Zusammenstößen zwischen Muslimen und Christen in Kairo berief Sonntag eine Sondersitzung des Kabinetts ein und verschob deshalb eine Reise nach Bahrain und in die Vereinigten Arabischen Emirate, von der er sich wichtige finanzielle Hilfe für die durch die demokratische „Januar-Revolution“ angeschlagene Wirtschaft erhoffte. Während die Sicherheitskräfte 190 Menschen festnahmen, warnte die herrschende Armeeführung „vor schweren Gefahren für Ägypten“.
Die Zusammenstöße, bei denen auch 186 Personen verletzt wurden, hatten begonnen, nachdem sich mehrere hundert Anhänger der islamistischen Salafisten vor der koptischen Sankt Mena-Kirche im Kairoer Bezirk Imbaba die Freilassung einer koptischen Frau forderten, die einen Muslimen geheiratet hatte und zum Islam übertreten wollte. Sie sei – so die Behauptung der radikalen Demonstranten – gegen ihren Willen in der Kirche festgehalten worden. Daraufhin begannen rivalisierende Gruppen Steine und Feuerbomben gegeneinander zu schleudern. Auch Schüsse fielen. Zwei Kirchen und einige nahe gelegene Häuser wurden in Brand gesetzt

Der schwere Zwischenfall stellt das Militärregime vier Monate vor den ersten Parlamentswahlen vor eine schwere Herausforderung, bedroht er doch gefährlich die interne Stabilität und damit die Chance, Ägypten friedlich in eine demokratische Zukunft zu führen. Zugleich versetzt er die koptische Minderheit (rund zehn Prozent der 80-Millionen-Bevölkerung) in Panik, denn er folgt einer Serie von kleineren Gewalttaten gegen die Christen, die mit dem Sturz Mubaraks im Februar erneut begannen und stetig zunahmen. Voll Wehmut blicken Kopten zurück auf die Zeit der nationalen Einigkeit am Tahrir-Platz, wo sie an der Seite ihrer muslimischen Mitbürger friedlich für ein Ende der Diktatur Mubaraks demonstrierten und die Frage der Religionszugehörigkeit ein tabu gewesen war. Die Zeit der Belästigungen durch fanatische Muslime, der Kirchenbrände, die die diskriminierte Minderheit insbesondere im Vorjahr in Angst versetzt hatte, schien vorüber.

Doch mit dem Sturz des Diktators begannen die Schikanen erneut und verheißen den Kopten Unheil. So manche von ihnen befürchten nun, sie seien die „Verlierer der Revolution“ und sie machen dafür die labile Sicherheitssituation im Land, aber auch die Militärführung verantwortlich, die weit weniger hart zum Schutz der Minderheit durchgreife als dies Mubarak getan hatte. Denn es sind u.a. die vom alten Regime hart unterdrückten Salafisten, die von der aufkeimenden neuen Freiheit profitieren, die Kopten attackieren, weil sie Alkohol verkaufen oder ihrer Ansicht nach ihre Wohnung einer Prostituierten vermieten, sowie zuletzt vor der US-Botschaft in Kairo gegen den Tod von Al-Kaida Chef Osama bin Laden demonstrierten.

Die Salafisten, die vor der Revolution kaum in Erscheinung getreten waren, hängen – im Gegensatz zur gemäßigten Massenbewegung der Moslemburderschaft - einer fundamentalistisch-puritanischen Richtung des Islam an, inspiriert von den Wahabiten in Saudi-Arabien. Sie setzen sich für die Verschleierung der Frauen und deren totalen Rückzug aus dem öffentlichen Leben ein, sowie für die Errichtung eines islamischen Staates. Aufgrund massiver Unterdrückung der vergangenen Jahrzehnte haben sie sich vom politischen Leben ausgeschlossen und auch keine öffentlichen Ämter angestrebt. Doch nun halten sie die Beteiligung am öffentlichen und politischen Leben für entscheidend. „Sie krochen aus ihren Höhlen“, erläutert Hala Mustafa von Kairos „Democracy Review“ und verbreiten ihre Ideen über Fernsehkanäle, in der Hoffnung das politische Vakuum, das ihrer Ansicht nach heute in Ägypten herrscht, für ihre Ziele zu nutzen.

Über ihre Stärke im Land gibt es widersprüchliche Ansichten, manche halten sie für Randgruppen, die auch bei den Wahlen keine Chance besitzen werden, andere warnen vor beträchtlicher Anhängerschar insbesondere in ländlichen Regionen.

Manche Kreise, darunter auch koptische Augenzeugen der jüngsten Zwischenfälle, suchen allerdings die Hauptschuldigen der Attacken gegen die Minderheit unter Anhängern des gestürzten Regimes, die Chaos zu verbreiten suchen, um der Konterrevolution zum Sieg zu verhelfen.

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Montag, 2. Mai 2011

Grimmiger Apostel des Terrors

Der Weg Osama bin Ladens vom privilegierten Milliardärsohn zum weltweit meistgesuchten Massenmörder

von Birgit Cerha

Lange wurde er in Teilen der islamischen Welt als Held bewundert, bis die von ihm propagierten Brutalitäten sein Image weitgehend zerstörten. Fast zehn Jahre lang führten die USA mit Hilfe von Verbündeten ihren Anti-Terrorkrieg, der nun mit dem Tod Osama Bin Ladens seinen größten Erfolg erzielte.1957 als 17. Sohn von 52 Kindern eines jemenitischen Einwanderers in Saudi-Arabien geboren, erlebte Osama eine Kindheit in unermesslichem Luxus. Während seiner Studien zum Zivilingenieur an der Universität von Jeddah wurde er mehr und mehr vertraut mit der konservativen Richtung des Islams und begann diesen als kräftiges Bullwerk gegen einen dekadenten Westen zu schätzen. Als die „gottlose Supermacht“ Sowjetunion in Afghanistan einmarschierte, erfuhr Bin Ladens Leben einen radikalen Wandel. „Ich war wütend und reiste sofort dorthin“, erzählte der zum Fundamentalisten bekehrte Miliardärsprößling einst. Mit Hilfe eines Millionenerbes seines verunglückten Vaters unterstützte er die mit Pakistan, Saudi-Arabien und den USA verbündeten afghanischen Mudschaheddin in deren schließlich erfolgreichen Kampf gegen die Invasoren

Sein Haß auf Moskau wandte sich schließlich gegen Washington, als die „ungläubigen“ USA 1991 eine Armee von 300.000 Mann in Saudi-Arabien, der Heimat der heiligsten Stätten des Islams, stationierten, um von dort aus Kuwait aus den Fängen der irakischen Invasionstruppen zu befreien. Bin Laden verschwor sich dem Kampf gegen diese „Blasphemie“, der Vertreibung der US-Truppen und dem Sturz des saudischen Königshauses. Der Krieg gegen die westliche Supermacht sollte von da an sein ganzes Leben begleiten. 1998 bezeichnete er die Tötung von Amerikanern und deren Verbündeten als Pflicht aller Muslime.

In seiner Heimat nicht mehr sicher, hatte er schon 1994 einen Stützpunkt in Sudan aufgeschlagen und sich dort beim Training von Islamisten engagiert. Zwei Jahre später kehrte er nach Afghanistan zurück und stand finanziell tatkräftig des islamistischen Taliban bei der Eroberung des Landes bei. Ende 1998 beschuldigten ihn die Amerikaner der Hauptverantwortung für zwei Bombenattentate auf US-Botschaften in Kenya und Tansania, bei denen 224 Menschen, überwiegend afrikanische Muslime, ums Leben gekommen waren. Andere Terrorakte, wie jener auf das World Trade Center in new York 1993, und zwei Anschläge in Saudi-Arabien folgten, bis bin Laden schließlich 2001 mit seinen Anschlägen in den USA, die allein 3.000 Menschen das Leben kosteten, zum weltweit meistgehassten Terrorchef aufstieg. Der US-Besetzung des Iraks bot ihm schließlich die Gelegenheit, mit ungeheurer Brutalität sein Ziel eines islamischen Staates und der Ermordung Amerikaner, wie deren Verbündete zu verfolgen. Durch diese Methoden verlor er in der islamischen Welt die Sympathie, die er sich zunächst durch seinen Einsatz gegen die Doppelmoral und Ungerechtigkeiten des Westens erworben hatte.

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Ein schwerer psychologischer Schlag für Al-Kaida

Bin Laden hinterlässt eine zersplitterte Organisation, deren Ideologie stark an Anziehungskraft verlor – Doch noch ist die globale Terrorgefahr nicht gebannt

von Birgit Cerha

Fast zehn Jahre lang währte die intensive Suche nach dem meistgefürchteten Terrorchef. Doch nun, da eine US-Spezialeinheit Osama bin Ladens in Pakistan habhaft wurde, hätte der Tod des Al-Kaida Führers kaum zu einem besseren Zeitpunkt eintreten können. Denn seine radikale Ideologie hat in der islamischen Welt entscheidend an Anziehungskraft verloren. Die Gefahr, dass dieser für den Tod von Tausenden Menschen verantwortliche saudische Milliardärsohn in den Augen unzähliger junger Jihadis zur „Märtyrerfigur“ aufsteigt, die weltweit frustrierte junge Menschen zu brutalem Töten inspiriert, ist heute so gering wie schon lange nicht mehr. Dennoch: Bin Ladens Tod schockiert seine Sympathisanten, wie diese über ihre zahlreichen sozialen Netzwerke zu erkennen geben. Damit steigt zweifellos kurzfristig die Gefahr von brutalen Racheakten einzelner Fanatiker. Längerfristig aber ist der Mythos eines Mannes geschwunden, der ein Jahrzehnt lang der intensiven Verfolgung durch die schlagkräftigsten Militäreinheiten der Supermacht zu entfliehen vermochte.Der Tod Bin Ladens beschert dem seit dem 11. September 2001 geführten Anti-Terrorkrieg einen entscheidenden Etappensieg, doch er bedeutet noch keineswegs das Ende der Al-Kaida. Ein Nachfolger, der ägyptische Kinderarzt Ayman al Zawaheri, bisher Nummer zwei im Netzwerk, steht längst bereit, wiewohl nun auch rasch die Falle für ihn zuschnappen könnte, haben US-Geheimagenten vielleicht wichtige Hinweise auf Zawaheris Verbleib in Bin Ladens luxuriösem Versteck in Pakistan sichergestellt.

Praktische Auswirkungen auf potentielle Aktionen von Al-Kaida inspirierter Terrororganisationen aber dürfte Bin Ladens Ende kaum zeigen. Seit zehn Jahren stetig auf der Flucht vor US-Luftangriffen, konnten Bin Laden und sein Operationschef Zawaheri zunehmend weniger die Terrorfäden ziehen. Immer mehr entglitt dem Herz des Netzwerkes die Planung größerer Gewalttaten, während die Führung zugleich sich zunehmend in die Isolation manövrierte, aus Sicherheitsgründen weder telefonisch, noch per Internet oder andere elektronische Medien mit Anhängern kommunizierte und sich fast ausschließlich auf primär über „Al Jezira“ verbreitete Videobotschaften beschränkte, die einige Zeit freilich durchaus Propagandawirkung unter frustrierten jungen Muslimen erzielten.

Doch die Al-Kaida, der 2001 der spektakuläre Terrorakt in den USA gelang, ist längst nicht mehr dieselbe. Die lange im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet stationierte Zentrale ist dank konstanter US-Luftangriffe seit Jahren empfindlich geschwächt. Die Organisation mutierte zu einem Netzwerk voneinander völlig unabhängiger Zellen, die eigenständig agieren und sich höchstens ideologisch beeinflussen lassen. Wenn Bin Laden sich vor allem als Symbolfigur verstand, so hat er seine Aufgabe vollführt: Seine von erbitterten Haß auf den Westen inspirierte Ideologie und seine massenmörderische Strategie hat das Al-Kaidanetz weithin durchsetzt. Doch völlig unabhängig von ihrem inzwischen getöteten Chef agieren die „Tochtergruppen“: allen voran die „Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ mit Sitz im Jemen, die laut US-Geheimdienst heute zur weitaus gefährlichsten Gruppe aufgestiegen ist, gefolgt von der „Al Kaida im islamischen Maghreb“, die die marokkanischen Behörden etwa nun verdächtigen, hinter dem Terrorakt in der Vorwoche in Marrakesch zu stehen, bei dem 16 Menschen ums Leben kamen. Beide Gruppen, wie auch kleinere Zellen, kämpfen mit wachsenden Problemen, Anhänger und Aktivisten zu rekrutieren.

Denn schon vor Beginn des „arabischen Frühlings“, der gewaltlosen Rebellion gegen die Diktatoren der Region, stand fest, dass Bin Laden sich nicht zum Sprecher der perspektivlosen arabischen Jugend zu erheben vermochte. Insbesondere die ungeheuren Exzesse der Al-Kaida im Irak fügten dem Ansehen ihres Gründers auch unter der neuen arabischen Generation, geschweige denn den älteren, enormen Schaden zu. Die erstaunliche Massenbewegung friedlicher, freiheits- und demokratiehungriger Menschen, die in Ägypten und Tunesien in wenigen Wochen schafften, was Bin Laden mit Hilfe blutigen Terrors seit mehr als einem Jahrzehnt zu erreichen suchte – den Sturz der Autokraten – drängte die Al-Kaida Ideologie vollends an den Rand der politischen Szene in diesem Teil der Welt. Der friedliche Kampf um Demokratie, Mitbestimmung und Menschenrechte steht in krassem Widerspruch zu Bin Ladens Lehren und angepriesener Methodik. „Demokratie, dieses westliche Produkt, kann nur nicht-religiös sein“, warnte Zawaheri jüngst nach langem Schweigen der Al-Kaida Führer angesichts der Turbulenzen in der arabischen Welt – Worte, die die moderne Jugend nicht aufnimmt. Dies war der letzte Beweis, dass Bin Laden den Kampf um die arabische Seele verloren hat.

Dennoch können Al-Kaida-Netze kurzfristig in so manchen arabischen Ländern Boden gewinnen, wenn deren Herrscher, wie etwa vor allem in Libyen, Jemen oder Syrien, ihre Staaten in blutiges Chaos schlittern lassen. Doch gelingt es, wenigstens für einige der gravierenden Miseren der Region – politische und soziale – den Weg zu einer Lösung zu finden, dann wird Bin Ladens grausige Botschaft mehr und mehr ungehört verhallen.

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