Freitag, 25. Februar 2011

Die große arabische Revolte

Durch hemmungslose Repression, gemischt mit Profitgier, gestützt auf uralte Patriarchalstrukturen bauten arabische Herrscher ihre Familienreiche auf – Nun naht ihr Ende

von Birgit Cerha

Ein politischer Sturm fegt über die arabische Welt, rüttelt Land um Land aus jahrzehntelanger Stagnation, Volk um Volk aus verzweifelter Resignation, Frustration und Lethargie, weckt lange schlummernde Hoffnung vor allem unter der Jugend, endlich den Anschluss an die moderne Zeit zu finden, die eigene Zukunft mitzugestalten. In Tunesien, in Ägypten, in Libyen, im Jemen, in Bahrain, in Algerien sind Hunderttausende, mit der digitalen Welt vernetzte Menschen entschlossen, sich nicht mehr von gar nicht wohlmeinenden patriarchalen Herrschern entmündigen und an den Rand der Gesellschaft drängen zu lassen. Ihr Zorn richtet sich gegen die jahrzehntelang Politik und Wirtschaft dominierenden Autokraten, die ihre Länder wie ein großes Familienunternehmen beherrschen und dabei aufkosten der Massen grenzenlosen persönlichen Reichtum aufhäufen.
Die Veränderung kostet mancherorts – wie eben in Libyen – eine große Zahl von Opfern, löst unfassbares Grauen durch einen wild um die zerbröckelnde Macht kämpfenden Despoten und dessen Familie aus. Doch längst steht fest: Die Stunde der macht- und profitgierigen Autokraten-Clans hat nun endlich auch in der arabischen Welt geschlagen. Gigantische Umwälzungen stehen bevor.

Die Massenproteste in Tunesien, insbesondere aber in Ägypten, in Libyen und im Jemen haben eines gemeinsam: Der Zorn der Bevölkerung konzentriert sich vor allem auf die beabsichtigte Perpetuierung der autokratischen Familienherrschaft. Ein in die Enge gedrängter jemenitischer Präsident verkündete rasch, dass er nicht nur selbst am Ende der gegenwärtigen Amtsperiode 2013 abtreten, sondern nicht, wie beabsichtigt, seinen Sohn zum Nachfolger küren werde. In Ägypten konnte sich Mubarak lange nicht zu einer ähnlichen Erklärung entschließen, bis sein Schicksal besiegelt war und ihm gar keine andere Wahl mehr blieb.

Wie kam es, dass sich arabische Autokraten gleich Monarchen Erb-Dynastien aufbauen konnten? Ölreichtum, aber auch großzügige Auslandshilfe (wie etwa im Jemen oder in Ägypten) hat es den Herrschern ermöglicht, wichtige Teile der Bevölkerung nach einem Klientelsystem bei der Stange zu halten, sich selbst und ihrem engeren, wie weiteren Familien- und Freundeskreis Oligopole zu schaffen. Gamal Mubarak, der Sohn des ägyptischen Präsidenten, sicherte sich die Kontrolle über Privatisierungen und „Kommissionen“ von Auslandsinvestitionen. Schätzungen des derart aufgehäuften Vermögens der Familie reichen von 20 bis (wohl übertriebene) 70 Mrd. Dollar.

Ein klassisches Beispiel für die Verflechtung zwischen Politik und Privatwirtschaft ist der Fall Ahmed Ezz, des Ex-Chefs der ägyptischen Regierungspartei und engen Freundes von Gamal Mubarak. Er wurde unterdessen formell angeklagt, sich widerrechtlich die Kontrolle über einen staatlichen Stahlkonzern angeeignet und sich mit dessen Hilfe den Marktanteil seiner „Ezz Steel Company“ innerhalb eines Jahrzehnts von 35 auf 60 Prozent gesteigert zu haben. In Tunesien hatte die ehemalige Friseurin Leila Ben Ali ihre Rolle als Frau des Diktators genutzt, um ihre Verwandten in Schlüsselpositionen in der Wirtschaft zu hieven und ihnen den Kauf von Lizenzen zu ermöglichen. Die US-Botschaft in Tunis schätzte 2006, dass etwa die Hälfte der Großunternehmer des Landes in Blutsverwandtschaft zum Präsidenten und dessen Frau standen.

Das Verhaltensmuster der Despoten zum Kauf machterhaltender Loyalitäten ist überall ähnlich. Staatliche Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitsvorsorge werden (insbesondere in den Ölstaaten am Persischen Golf) gratis zur Verfügung gestellt. Strategisch wichtige Gruppen (Militär, Geheimdienst, obere Ebenen der Staatsbürokratie, wichtige Teile der Privatwirtschaft) werden für den Machterhalt gezielt privilegiert. Wo politische oder moderne Institutionen der Zivilgesellschaft formell existieren, werden sie durch das informelle Klientelsystem ihres Einflusses beraubt bzw. zerschlagen. Jahrhunderte alte patriarchale Sozialstrukturen sicherten bis heute den Herrschern, die über ihr Volk wie das Oberhaupt einer Großfamilie regieren, unangefochtene Autorität. Wo dies nicht voll funktionierte, half häufig massive Repression. So blieb den Menschen kaum anderes übrig, als in ihren traditionellen Institutionen (Religionsgemeinschaften, Stammesverbände, Familie, Volksgruppen) Zuflucht zu suchen.

Als sich Islamisten schon vor Jahren aufzulehnen begannen, erwies sich das in Wahrheit für die arabischen Potentaten am Golf ebenso etwa wie in Ägypten oder im Jemen als Glücksfall, denn damit verminderte sich etwa im Fall Mubaraks der Demokratisierungsdruck seines amerikanischen Verbündeten, während sich u.a. insbesondere der Jemen zusätzliche Finanzhilfe für den Anti-Terrorkampf sichern konnte und sich die Potentaten damit alles Nötige für die Aufstandsbekämpfung kaufen konnten, um es gegen jeden unliebsamen Gegner einzusetzen.

Wo Diktatoren dennoch intern in Bedrängnis gerieten, verstärkten sie erneut die alten Stammesstrukturen und –loyalitäten und suchten in weiterer Folge bei der engsten Familie Rückhalt. Der irakische Diktator Saddam Hussein hielt sich ebenso an dieses Muster, wie der jemenitische Präsident Saleh und der Libyer Gadafi. Der persönlich durch Usurpation erworbene Reichtum soll der Familie erhalten bleiben, indem der Sohn die Nachfolge an der Spitze des Staates übernimmt.

Für die sechseinhalb Millionen Libyer bedeutete die jahrzehntelange Herrschaft Oberst Gadafis auch Schikanen und Exzesse seiner sieben Söhne zu ertragen, die der Anspruch auf eine beherrschende Sonderrolle, wenn nicht gar die Macht in dem vom Vater geführten „Familien-Unternehmen“ Libyen eint. Sie alle fürchten nun um das riesige Vermögen, das der 68-jährige Diktator in den vergangenen 41 Jahren aufgehäuft hat. Nach einem von WikiLeaks verbreiteten Kabel der US-Botschaft vom Mai 2006 hat Gadafis Familie „große Beteiligungen im Öl- und Gassektor, in der Telekommunikation, im infrastrukturellen Bereich, in Hotels, Medien und dem Vertrieb von Konsumgütern“.

Den Kindern hat der Diktator regelmäßige, höchst lukrative Einkünfte aus der Nationalen Ölgesellschaft gesichert. Mohammed, der einzige Sohn der ersten Frau Gadafis, besitzt große Beteiligungen am Telekom und Internet-Sektor, der dritte Sohn, Saadi, ehemaliger Fußballer und Chef der libyschen Fußball-Föderation, ist mit zahlreichen anderen Unternehmen verknüpft. Hannibal Gadafi, der exzentrische Playboy, arbeitete in der Ölindustrie, geriet aber mit dem Oberst in Konflikt wegen seines aggressiven Benehmens sogar im Ausland, wo er etwa in der Schweiz wegen Körperverletzung verhaftet worden war und der Vater daraufhin zwei schweizer Geschäftsleute in Libyen als Geiseln nahm. Khamis, der sechste Sohn ist Chef des 32. Bataillons, das als eine der wenigen effizienten Kampftruppen im Land gilt und bei der brutalen Niederschlagung der Demonstrationen in Benghazi eingesetzt wurde. Schlüsselfigur im internen und externen Sicherheitsapparat spielt Gadafis Schwager Abdullah Senussi, ein Hardliner mit einem Ruf von besonderer Brutalität. Er soll eine entscheidende Rolle in der Beratung des Diktators in diesem Überlebenskampf und bei der menschenverachtenden Grausamkeit spielen, mit deren Hilfe sich Gadafi retten will.

Eine Sonderrolle nimmt seit Jahren Saif al Islam ein, der zweite Sohn, der eine Universitätsausbildung in Wien genoß, anschließend an der London School of Economics studierte und eine Doktorat für Politologie erwarb. Er trat jahrelang als Vermittler in äußerst heiklen außenpolitischen Fragen auf und setzte sich in Reden und Interviews wiederholt für Reformen, Demokratisierung und Achtung der Menschenrechte in der Heimat ein, für Freiheiten „wie sie in Holland existieren“, beteuerte er einem westlichen Reporter. Doch nun im politischen Todeskampf der Familie schockierte der im Westen ausgebildete Intellektuelle durch einen offensichtlichen Rückfall in die Barbarei, als er vom „Kampf bis zum letzten Mann, bis zur letzten Frau“ sprach. Gerüchte, er sei unterdessen zur Opposition übergewechselt, konnten bisher noch nicht bestätigt werden.

Ein ähnliches Bild einer tief im Staat, in den Sicherheitskräften und in der Wirtschaft verstrickten Herrscherfamilie bietet sich im Jemen und dementsprechend groß ist dort auch der Zorn der Bevölkerung. Seit Präsident Ali Abdullah Saleh 1978 in Sanaa die Macht übernahm regiert er das Land wie einen Mafiastaat. Er stützt sich auf ein System der Manipulation, das Familienmitglieder an die Schaltstelle der Macht und Wirtschaft bugsiert, während er die mächtigen Stämme zur Absicherung der eigenen Herrschaft durch Vergünstigungen (aus den nun versiegenden Ölexporten und internationaler Finanzhilfe) loyal erhält bzw. gegeneinander ausspielt. Nepotismus und Korruption erreichen im bitterarmen Jemen Hochblüten.

Der Präsident ist Partner der einzigen Verteilerorganisation von Öl und Gas. Seinen Sohn Ahmed, Chef der Republikanischen Garden, hat Saleh nun – vorerst? – aufgrund öffentlichen Drucks von der Nachfolge ausgeschlossen. Doch eine Aufstellung der Positionen von Mitgliedern der engeren und weiteren Familie gibt tiefen Einblick zum Extrem entwickeltes machtpolitisches Familienunternehmen: Ahmed al-Kohlani, Schwiegervater der 18-jährigen vierten Frau Salehs, ist Gouverneur von Aden; der Halbbruder Ali Mohsen al-Hamar ist Armeekommandant mit enger Verstrickung im Ölgeschäft und anderen Wirtschaftsunternehmen; die zentralen Sicherheitskräfte unterstehen dem Neffen des Präsidenten, Yahya Mohammed, zwei Halbbrüder, zwei weitere Neffen und ein Onkel sind Kommandanten in den Streitkräften, mehrere Schwäger, Schwiegersöhne und ein Sohn eines Schwagers sitzen in der Regierung. Sie alle sind eng verflochten mit den großen Wirtschaftsunternehmen des Landes. Während ein immer größerer Teil der Bevölkerung dramatisch verarmt, schöpft ein winziger Kreis der Herrscherfamilie immer größeren Reichtum.

Auch im Jemen, wie anderswo in der arabischen Welt will ein perspektivlos gewordenes Volk Betrug und Raub nicht länger hinnehmen.

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Arabiens Erbherrscher


Familien oder Clans kontrollieren heute direkt elf der insgesamt 21 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga. Drei davon sind Republiken, die anderen Monarchien. Einzig Syriens verstorbenem Präsidenten Hafez el Assad gelang die Verwirklichung des Traums von der Erbherrschaft seiner Familie, ein Ziel das Ägyptens gestürzter Präsident Mubarak verfehlte und ebenso Libyens und des Jemens Herrscher zwar lange verfolgten, doch nun nicht erreichen werden.

Seit dem Tod seines Vaters im Jahr 2000 hat Bashar el Assad seine Macht, die sich seit Jahrzehnten mit Hilfe repressiver Methoden auf die kleine Minderheit der Alawiten stützt, konsolidiert, dem Volks zwar Reformen versprochen, doch weitgehend nicht eingehalten. Ein dichtes Netz von Geheimdiensten schreckt die Bürger von Massendemonstrationen ab. Dennoch genießt Bashar, auch trotz systemimmanenter massiver Korruption, ein gewisses Maß an Sympathien, die seine Macht nicht unmittelbar gefährden.

Von den Ölmonarchien am Persischen Golf muss König Hamad bin Isa al Khalifah um seine Macht fürchten, wenn er seinen demonstrierenden Untertanen nicht echte demokratische Reformen bietet. Die sunnitische Al-Khalifa Familie ließ sich vor mehr als 200 Jahren auf der kleinen, überwiegend von Schiiten bewohnten Halbinsel nieder und beherrscht sie seit 1783 mit autoritären Methoden. Fast alle wichtigen Funktionen in Staat und Wirtschaft sind den Khalifas und einigen engen Verbündeten vorbehalten, während die Bevölkerungsmehrheit an den Rand gedrängt bleibt. Hier liegt der gefährliche Sprengstoff.

Die Unruhen in Bahrain lassen Saudi-Arabien erzittern, eine der reichsten Königsfamilie der Welt, zudem einzigartig durch sein geschlossenes politisches System und einer puritanischen Version des Islams, die der Bevölkerung aufgezwungen wird. Seit der Gründung des Königreiches 1932 durch Abd-el-Aziz regierten nach dessen Tod 1953 bis heute nacheinander dessen Söhne. Die Al-Sauds halten das Monopol der Macht fest in Händen. Trotz des gigantischen Reichtums wächst die Zahl der Arbeitslosen, doch König Abdullah erwies sich als „sauberer“ Herrscher, der durch großzügige finanzielle Gaben, nicht aber durch Reformen, das Volk ruhig zu halten sucht. Die rund 10.000 Prinzen aber, die kräftig und oft überschweifend am Reichtum mitnaschen, steigern Unzufriedenheit über soziale Ungerechtigkeiten und Repressionen.

In Kuwait, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Oman dürften die Herrscherfamilien, die über teilweise eine sehr kleine heimische Bevölkerung regieren in unmittelbarer Zukunft von Rebellionen verschont bleiben. Auch die Monarchien Jordanien und Marokko sind, ungeachtet einiger Protestkundgebungen stabil, nicht zuletzt dank des hohen Ansehens, das sie als direkte Nachkommen-Familien des Propheten Mohammed im Volk genießen.

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Arabiens Erbherrscher

Familien oder Clans kontrollieren heute direkt elf der insgesamt 21 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga. Drei davon sind Republiken, die anderen Monarchien. Einzig Syriens verstorbenem Präsidenten Hafez el Assad gelang die Verwirklichung des Traums von der Erbherrschaft seiner Familie, ein Ziel das Ägyptens gestürzter Präsident Mubarak verfehlte und ebenso Libyens und des Jemens Herrscher zwar lange verfolgten, doch nun nicht erreichen werden.tSeit dem Tod seines Vaters im Jahr 2000 hat Bashar el Assad seine Macht, die sich seit Jahrzehnten mit Hilfe repressiver Methoden auf die kleine Minderheit der Alawiten stützt, konsolidiert, dem Volks zwar Reformen versprochen, doch weitgehend nicht eingehalten. Ein dichtes Netz von Geheimdiensten schreckt die Bürger von Massendemonstrationen ab. Dennoch genießt Bashar, auch trotz systemimmanenter massiver Korruption, ein gewisses Maß an Sympathien, die seine Macht nicht unmittelbar gefährden.

Von den Ölmonarchien am Persischen Golf muss König Hamad bin Isa al Khalifah um seine Macht fürchten, wenn er seinen demonstrierenden Untertanen nicht echte demokratische Reformen bietet. Die sunnitische Al-Khalifa Familie ließ sich vor mehr als 200 Jahren auf der kleinen, überwiegend von Schiiten bewohnten Halbinsel nieder und beherrscht sie seit 1783 mit autoritären Methoden. Fast alle wichtigen Funktionen in Staat und Wirtschaft sind den Khalifas und einigen engen Verbündeten vorbehalten, während die Bevölkerungsmehrheit an den Rand gedrängt bleibt. Hier liegt der gefährliche Sprengstoff.

Die Unruhen in Bahrain lassen Saudi-Arabien erzittern, eine der reichsten Königsfamilie der Welt, zudem einzigartig durch sein geschlossenes politisches System und einer puritanischen Version des Islams, die der Bevölkerung aufgezwungen wird. Seit der Gründung des Königreiches 1932 durch Abd-el-Aziz regierten nach dessen Tod 1953 bis heute nacheinander dessen Söhne. Die Al-Sauds halten das Monopol der Macht fest in Händen. Trotz des gigantischen Reichtums wächst die Zahl der Arbeitslosen, doch König Abdullah erwies sich als „sauberer“ Herrscher, der durch großzügige finanzielle Gaben, nicht aber durch Reformen, das Volk ruhig zu halten sucht. Die rund 10.000 Prinzen aber, die kräftig und oft überschweifend am Reichtum mitnaschen, steigern Unzufriedenheit über soziale Ungerechtigkeiten und Repressionen.

In Kuwait, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Oman dürften die Herrscherfamilien, die über teilweise eine sehr kleine heimische Bevölkerung regieren in unmittelbarer Zukunft von Rebellionen verschont bleiben. Auch die Monarchien Jordanien und Marokko sind, ungeachtet einiger Protestkundgebungen stabil, nicht zuletzt dank des hohen Ansehens, das sie als direkte Nachkommen-Familien des Propheten Mohammed im Volk genießen.

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Mittwoch, 23. Februar 2011

LIBYEN: Countdown zum Untergang

Gadafis Strategie des blutigen Schreckens verfehlte die Wirkung – Nun geht es dem Diktator um Töten oder Getötet-Werden

von Birgit Cerha

Für sechseinhalb Millionen Libyer haben sich die Tore der Hölle geöffnet, als ob 42 Jahre der brutalsten Diktatur Muammar Gadafis nicht schon der Schrecken genug gewesen wären. Schon spricht man von rund 3000 Toten des gewaltlos konzipierten Widerstandes gegen den Despoten, fast alle wohl friedliche Bürger. Niemand kennt die genauen Zahlen. Vielleicht sind es viel, viel mehr.

Wie sein gescheiterte Kollege, der Ägypter Mubarak, in seiner letzten Rede vor seinem demütigenden Abtritt bewies, so zeigte auch Gadafi Dienstag abend im staatlichen Fernsehen, dass er jeglichen Sinn für die Realität verloren hat.Ein psychologisches Phänomen, das altgediente Diktatoren wohl zu quälen pflegt. Neben der Lächerlichkeit der Reformversprechen, von seinem Sohn Saif al Islam näher erläutert (Änderung der libyschen Flagge, eine neue Nationalhymne, freilich keine Freiheiten oder politischen Rechte), jagt die Brutalität der Aussagen des bedrängten „Führers“ den Libyern noch größere Ängste ein. Hier sprach ein menschenverachtender Despot, zum Kampf bis zum letzten politischen Atemzug entschlossen. „Für Gadafi ist es nun „eine Frage des Tötens geworden oder des Getötet-Werdens“, meint der oppositionelle Schriftsteller Ashour Shamis. Und alles spricht dafür, dass der Oberst, der selbst einst eine Revolution anführte, lieber eines „Märtyrertodes“ erliegt, als freiwillig der Macht zu entsagen. Er habe „Libyen gemacht“, verkündete er seinem Volk, wenn er untergehe, dann dieses Land mit ihm.

Im Osten des Wüstenstaates mit der zweitgrößten Stadt Benghazi konsolidiert die jugendliche Opposition ihre eroberten Positionen, immer mehr Städte auch im Westen entgleiten offenbar der Kontrolle Gadafis. Die Regierung zerbröckelt. Der zweite Mann im Staat, Innenminister und General Abdul Fallah Younis al-Abidi, trat ebenso empört über die Brutalitäten gegen Zivilisten zurück, wie eine Serie hoher Diplomaten, immer mehr Armee-Offiziere und Stammesführer. Dennoch, Gadafi kontrolliert wohl weiterhin Geheimdienst, einen Teil der Armee und der Sicherheitskräfte, wie seine Söldnerlegion. „Er ist sehr stur. Er wird nicht aufgeben. Er wird entweder Selbstmord begehen oder getötet werden,“ analysiert Younis die Lage.

Gadafis Schicksal ist besiegelt. Der Countdown zum Sturz läuft. Die düstere Frage ist lediglich, wie viel Blut noch fließen muss. Im Gegensatz zu Ägypten, wo die Streitkräfte eine mäßigende Rolle spielten und einen sich ebenfalls an die Macht klammernden Präsidenten schließlich zur Aufgabe bewogen, fehlen solche vermittelnde Kräfte in Libyen vollends. Damit drohen den Libyern noch mehr Schrecken. Denn was sich nach Gadafi öffnen wird, ist Chaos und ein politisches und soziales Vakuum, das keine staatliche Institution füllen kann. Es gibt keine organisierten Gruppen innerhalb der libyschen Gesellschaft, noch junge Führerpersönlichkeiten, die eine politische Rolle übernehmen können. Libyschen Exilpolitikern fehlen Kontakt und Glaubwürdigkeit daheim. Verschärft wird die Situation durch äußerst schwach, wenn überhaupt, ausgeprägte Gefühle der nationalen Identität. Dies verheißt dem Wüstenstaat für die unmittelbare Zukunft nach Gadafi wenig Gutes. Nicht wenige befürchten den Ausbruch eines Bürgerkrieges mit unabsehbarer Länge und dramatischen Folgen auch für die Energieversorgung einiger europäischer Staaten.

Gadafi hatte es in vier Jahrzehnten geschafft, sich fast überall in der Welt, insbesondere der arabischen, durch seinen exzentrisch-aggressiven Kurs Feinde zu machen. Niemand wird ihm nachtrauern. Dennoch findet er unter dem ägyptischen Militär, das heute die Macht im Nachbarstaat hält, Kräfte, die bereit sind, ihn zu unterstützten. Denn die Alternative, ein sich vielleicht über ganz Nord-Afrika ausbreitendes Chaos, das auch den größten arabischen Staat im kritischen Aufbau eines neuen System erfassen könnte, erscheint all zu bedrohlich. Doch eine Rettung Gadafis kann auch für Kairo keine Alternative mehr sein.

So lange hatte der Oberst auch in schwierigsten Situationen, mit unzähligen Attentatsversuchen eine erstaunliche, wiewohl brutale, Überlebenskunst entwickelt. Er hat Libyen und sein Volk von der Welt abgeschottet. Und dennoch. Die Welle der Freiheit, die diesen alten Despoten jetzt überrollt, besitzt eine Kraft, die keinen in der Region verschonen wird.

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LIBYEN: Hetzt Gadafi Söldner auf sein Volk?

Erschreckende und verwirrende Berichte aus Libyen werfen ein Schlaglicht auf die Vorliebe des Diktators für die Bildung eigener Legionen

von Birgit Cerha

Die Schreckensberichte häufen sich. Augenzeugen, abgesprungene Diplomaten, libysche Exil-Oppositionelle melden, Muammar Gadafi hetze in einem verzweifelten Überlebenskampf angeheuerte schwarze und weiße Söldner als Scharfschützen auf sein Volk. Sie stünden unter dem Befehl vom jüngsten Sohn des Diktators, Khamis Gadafi. Auch von der Landung von vier Flugzeugen mit „afrikanischen Söldnern“ auf dem Benina International Airport bei Benghazi ist die Rede. Der libysche Exilpolitiker Mansour El-Kikhia bestätigt auf der Basis von Telefongesprächen mit der Heimat, dass Söldner „überwiegend aus dem Tschad und West-Afrika“ Zivilisten ermordeten. In Benghazi von Aufständischen festgenommene Legionäre hätten gestanden, dass sie von Gadafi 17.000 Dollar erhalten hätten. Unterdessen tauchten auch Berichte über in Ghana und Nigeria verbreitete Annoncen auf, die kampfeswilligen Männern für ein Engagement in Libyen 2000 Dollar pro Tag versprächen.

Im blutigen Chaos Libyens können solche Berichte nicht verifiziert werden. Doch ein Blick auf Gadafis Vergangenheit und die Traditionen von Despoten in der Region lassen den Einsatz von Söldnern wahrscheinlich erscheinen. Unklar bleibt freilich ihre Zahl.

Wie andere Diktatoren im Orient und in Afrika, setzte Gadafi schon lange auf eine eigene Schutztruppe, die direkt seiner Befehlsgewalt untersteht und damit Putschversuche aus den Reihen der regulären Streitkräfte abwehren kann. Dies wurde umso wichtiger für sein politisches Überleben, als der Oberst im Laufe seiner 40-jährigen sehr umstrittenen Herrschaft der Armee, aus der er einst selbst kam, misstraute. Ausländische Legionäre besitzen den Vorzug des völlig fehlenden innenpolitischen Interesses. Für sie gilt einzig die Loyalität zum Geldgeber, für den sie blind zu töten bereit sind. Die enormen Brutalitäten in den libyschen Straßen lassen tatsächlich den Schluß zu, dass die Mörder im Namen Gadafis keine mitbürgerlichen Hemmungen kennen.

Um seine große geopolitischen Ambitionen zu verwirklichen – arabische Einheit, afrikanische Union etwa – hatte Gadafi bereits 1972 die „Islamische (Pan-Afrikanische) Legion“ gegründet. Mit dieser paramilitärischen Einheit hoffte er seinen Traum von einem „Großen islamischen Staat des Sahels“ zu erfüllen und zugleich diese Region zu arabisieren. Die Legion engagierte sich zunächst im Tschad und anschließend im Sudan. Die Legion setzte sich vor allem aus Immigranten aus den armen Sahelstaaten zusammen, später aber auch aus Tausenden Pakistani, die Gadafi für zivile Arbeiten nach Libyen gelockt hatte. Die Legion kämpfte 1980 im Bürgerkrieg im Tschad, sowie 1987 im Zuge der libyschen Offensive im Tschad und trug entscheidend zu anhaltendem Blutvergießen in diesem von Bürgerkriegen gequälten Land bei.

Parallel verfolgte Gadafi seinen Traum von einer vereinten arabischen Militäreinheit, einer Armee von einer Million Männern und Frauen, die in einer großen Schlacht Palästina befreien, die reaktionären arabischen Regime stürzen, die Staatsgrenzen eliminieren und ein großes arabischen Heimatland „vom (Indischen) Ozean bis zum (Persichen) Golf schaffen sollte. Ein Nationales Kommando wurde 1985 unter Gadafis Führung gegründet, doch eine Truppe kam nie zustande.

Die „Islamische Legion“ soll heute an die 7.000 Kämpfer zählen. Unklar ist, inwieweit Gadafi diese Legionäre oder angesichts der Unruhen rasch aus Afrika geholte Söldner im Kampf gegen Demonstranten einsetzt. Es erscheint durchaus möglich, dass es sich auch um schwarze Angehörige der libyschen Armee handelt, die dem Diktator aus Dankbarkeit treu ergeben sind. Denn zu den regulären Soldaten zählen auch viele Bürger aus dem Tschad, die einst auf der Seite Gadafis gekämpft und dafür vom Oberst die libysche Staatsbürgerschaft, ein Haus und eine Arbeit, meist in den Streitkräften, erhalten hatten. Auf ihre Treue dürfte sich Gadafi auch in dieser kritischsten Stunden seiner Macht stützen können.

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Dienstag, 22. Februar 2011

LIBYEN: Gadafi hinterlässt ein Machtvakuum

Libyens Diktator unterdrückte die Opposition zur Bedeutungslosigkeit – Die soziale Ordnung stützt sich auf ein altes Stammessystem

von Birgit Cerha


Ein Sturz des Regimes Muammar Gadafi, so drohte der Sohn des schwer bedrängten libyschen Dikators, Saif al Islam Gadafi, am Wochenende, werde das Land in blutiges Chaos stürzen, Angehörige verschiedener Stämme würden „einander in den Straßen töten“. Das Blutbad ist auf Befehl des Herrschers längst Realität geworden und viele Libyer fürchten sich nun vor der Anarchie eines Machtvakuums, das ein Sturz des Herrschers nach 42 Jahren hinterlassen wird.
Seit Gadafi an der Spitze einer Gruppe freier Offiziere 1969 die pro-westliche Monarchie stürzte, verkündete er dem Land zwar eine soziale Revolution, hielt sich jedoch mit hemmungsloser Brutalität an der Macht. Oppositionsbewegungen im Inland wurden systematisch zerschlagen, deren Angehörige inhaftiert und häufig exekutiert, während der Diktator seine Gegner im Ausland viele Jahre lang blutig verfolgte.

Schon bald nach seiner Machtübernahme geriet Gadafi, der seine eigene „grüne“ Version des Islams predigt, in schweren Konflikt mit den traditionellen islamischen Institutionen des Landes, die er schließlich alle zersperren ließ. Zu seinen Erzfeinden erkor er neben den gemäßigteren Moslembrüdern vor allem radikalere islamistische Strömungen, gegen die er er mit besonderer Härte vorging. Erst in den vergangenen Jahren begann Saif al Islam einen Dialog mit islamischen Extremistengruppen, darunter insbesondere der „Libyschen Islamischen Kampfgruppe“, die 1996 einen Attentatsversuch gegen Gadafi unternommen und sich später wiederholte Gefechte mit libyschen Sicherheitkräften geliefert hatte. Zu ihren Mitgliedern zählten heimgekehrten Kämpfer aus dem Krieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan, die auch Kontakte zur Al-Kaida pflegten. Im Gefängnis schworen einiger dieser Militanten jedoch nach offiziellen Aussagen Saif al Gadafis dem Terror ab und zu Beginn der Unruhen wurden rund 110 Häftlinge der Gruppe freigelassen.

Islamistische Gruppierungen hatten sich vor allem im Osten des Landes, um Benghazi konzentriert. Doch sie hatten im Laufe der Jahre jegliche Schlagkraft verloren. De facto gibt es heute in Libyen keine organisierte Opposition. Im Exil formierten Gadafis Gegner zwar diverse politische Gruppierungen, sind jedoch stark zersplittert und ebenfalls politisch bedeutungslos. Sieben Oppositionsparteien, darunter die „Nationale Front zur Rettung Libyens“ (NFRL), die größte unter ihnen, schlossen sich 2005 in London zur „Nationalen Konferenz für die libysche Opposition“ zusammen. Jahrelang hatten sie kaum Zugang zur libyschen Bevölkerung, gewannen nun aber dank Internet und sozialer Netzwerke vor allem unter der jungen Bevölkerung ein wenig an Einfluß durch ihr entschiedenes Engagment für den „Tag des Zornes“, der am 17. Februar den Auftakt zur Rebellion setzte. Doch ein künftiger Führer lässt sich in diesen Kreisen nicht erkennen.

Demgegenüber spielen im sozialen Gefüge des Landes die Stämme immer noch eine zentrale Rolle. Die Entscheidung des mächtigen Warfala-Stammes, zu dem sich etwa eine Million Libyer zählen, sich den Gegnern Gadafis anzuschließen, wird in der Bevölkerung zweifellos als entscheidende Schwächung und Autoritätsverlust des Diktators gewertet. Diese Entwicklung wurde noch verstärkt, als es Warfala-Führern gelang, Angehörige der südlichen Tuareg Stämme, die etwa 500.000 Mitglieder umfassen, sich ebenfalls dem Widerstand anzuschließen.

Als sich nach zahnjähriger Herrschaft im Land Opposition gegen Gadafi zu formieren begann, suchte der Revolutionsführer zum alten System des Teile und Herrsche Zuflucht und verstärkte zu diesem Zweck erneut die Stammesstrukturen. Er gründete schließlich 1993 ein „Soziales Führungskomitee“, das sich aus 15 Repräsentanten der größten der insgesamt rund hundert Stämme des Landes zusammensetzt und zugleich auch Repräsentanten der Stämme in den Streitkräften sind. Gadafi hielt die Stammesführer durch Privilegien bzw. durch die stete Drohung deren Entzugs bei der Stange. Auf diese Weise verhinderte er die Entwicklung einer nationalen Identität unter einer Bevölkerung, die außer brutalem iralienischem Kolonialismus keine gemeinsame historische Erfahrung besitzt. Derart nach Stammeszugehörigkeit gespalten kann auch die libysche Armee nicht eine entscheidende Vermittler- und Übergangsrolle übernehmen, wie es ihre Kollegen in Ägypten mit friedlichen Methoden versuchen.

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Sonntag, 20. Februar 2011

BAHRAIN: „Du bist willkommen als Gleicher unter Gleichen“

Beharains Opposition stellt Forderungskatalog und will Proteste bis zu deren Durchsetzung fortführen

von Birgit Cerha

Tausende Bahrainis richteten sich Sonntag am zentralen Perlenplatz in der Hauptstadt Manama auf einen langen Aufenthalt ein, um das Königshaus zu einem seriösen Dialog zu zwingen. Viele Aktivisten aus allen Bevölkerungsschichten des kleinen Königreichs im Persischen Golf – darunter auch Frauen und Kinder, Sunniten und Schiiten, Junge und Ältere – betonen ihre Entschlossenheit, bis zur Durchsetzung ihrer Forderungen auf diesem Platz auszuharren, selbst wenn die Sicherheitskräfte erneut gewaltsam zuschlügen.
Mindestens sieben Menschen waren in der Vorwoche ums Leben gekommen und Hunderte verwundet worden, als die Polizei und Armee mit brutaler Gewalt die für politische Reformen demonstrierende Menge vom Perlenplatz verjagte. Sie waren Samstag euphorisch zurückgekehrt, nachdem die Sicherheitskräfte sich plötzlich in ihre Kasernen zurückgezogen hatten. König Hamad bin Isa al-Khalifa hatte sich offensichtlich dem massiven Druck seines engsten Verbündeten USA gebeugt, die das brutale Vorgehen des Regimes gegen friedliche Demonstranten in ein schwere Dilemma gestürzt hatte. Offensichtlich gab Washington zu verstehen, dass das kleine Königreich seine Sonderrolle nicht nur als Stützpunkt für die Fünfte US-Flotte im Persischen Golf, sondern als Brücke zwischen der arabischen Welt, insbesondere den Ölstaaten am Golf und dem Westen verlieren könnte. Noch kurz zuvor hatten die Außenminister des Golf-Kooperationsrates bei einer eilig einberufenen Sitzung klar zu verstehen gegeben, dass die arabischen Ölmonarchien eine „fundamentale und radikale Veränderung in Bahrain“ nicht akzeptieren“ könnten und zugleich die Möglichkeit einer militärischen Intervention zur Rettung der bedrängten Monarchie und damit ihrer eigenen Systeme angedeutet.

Nach dem Blutbad der vergangenen Woche reagierten Bahrains oppositionelle Gruppierungen jedoch zögernd auf das plötzliche Gesprächsangebot, durch das der als Reformer geltende Kronprinz Salman bin Hamad al-Khalifa die dramatischen Spannungen zu entschärfen hofft. Nachdem sie das Angebot zunächst abgelehnt hatten, versuchten etwa zehn Gruppierungen, darunter säkulare Sunniten, wie die „Nationale Demokratische Aktionspartei“ und mehrere Bewegungen der diskriminierten schiitischen Bevölkerungsmehrheit mit der auch im Parlament vertretenen „al-Wefaq“ an der Spitze, am Wochenende einen gemeinsamen Standtpunkt zu erarbeiten und Scheich Salman einen Forderungskatalog zu präsentieren. An erster Stelle steht der Rücktritt der Regierung, die Freilassung von mehr als 400 teilweise seit vergangenen August ohne Gerichtsverfahren inhaftierter politischer Gefangener, darunter auch vieler Kinder und die Einleitung einer Untersuchung des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte in den vergangenen Tagen.

Die Hauptforderungen sind keineswegs neu. Es geht Schiiten, wie sunnitischen Demokraten um eine neue Verfassung, die das Land aus den Fängen der Autokratie befreien soll. Die Reformen, die der 1999 an die Macht gekommene König Hamed al-Khalifa in einer Nationalcharta dem Volk versprochen hatte, blieben bis heute auf dem Papier. Eine neue, unter Ausschluß der Öffentlichkeit dem Volk verordnete Verfassung, wandelte das Scheichtum zwar auf dem Papier in eine konstitutionelle Monarchie um, doch die Macht des Herrscherhauses bleibt uneingeschränkt. Die Funktionen des gewählten Parlaments sind drastisch durch ein vom König ernanntes Oberhaus eingeschränkt. Zwei Drittel der vom Monarchen ernannten Regierungsmitglieder gehören dem Königshaus an, deren Mitglieder auch in Wirtschaft und Verwaltung des Landes führende Positionen bekleiden.

Hauptanliegen der Schiiten aber ist das vor einigen Jahren vom König eingeführte Nationalisierungsprogramm. Gezielt erhielten nach Schätzungen Zehntausende Sunniten aus dem Jemen, Jordanien, Syrien, dem Irak und Pakistan die Staatsbürgerschaft Bahrains, sowie häufig auch freie Wohnungen bzw. Häuser und Arbeitsplätze, während zugleich die heimischen Schiiten verarmten und in großen Zahlen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Dieses Programm bezweckt die Verschiebung des demographischen Gleichgewichts von derzeit 70 Prozent Schiiten zugunsten der Sunniten.

Die Oppositionsparteien betonen ihre Entschlossenheit zur friedlichen Veränderung und von kleineren Gruppierungen abgesehen sind sie sich – vorerst – einig, dass sie nicht den Sturz der al-Khalifas erstreben. „Wir sagen der königlichen Familie: Ihr seid willkommen als Gleiche unter Gleichen. Doch ihr steht nicht über dem Gesetz. Wir wollen eine konstitutionelle Monarchie nach britischem oder spanischem Vorbild“, erläutert Oppositionsführer Ebrahim Sherrif, der eine zentrale Rolle bei Verhandlungen mit dem Regime spielen wird.

Wenn das Königshaus nicht ernsthafte Zugeständnisse macht, davon sind politische Beobachter überzeugt, dann werden die Rufe nach seinem Sturz immer lauter.

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Freitag, 18. Februar 2011

LIBYEN: Gadafi zeigt keine Gnade

Der Sturm der Freiheit auch Libyen erfasst – Das Land ist reif für die Revolution, doch der Diktator ist ein Meister politischer Überlebenskunst

von Birgit Cerha

Ungeachtet hemmungsloser Brutalität der libyschen Sicherheitskräfte wagten sich auch Freitag wieder Tausende Menschen in die Straßen der zweitgrößten Stadt Benghazi. Sie protestierten gegen den Tod von etwa 14 Menschen, die Donnerstag bei einer friedlichen Demonstration gegen die Diktatur von Sicherheitskräften erschossen worden waren. Was sich seit Wochenbeginn tatsächlich in dem ölreichen Wüstenstaat ereignet, lässt sich nur in groben Umrissen erkennen. Unter der 41-jährigen Herrschaft Muammar Gadafis ist der Ölstaat fast völlig isoliert. Authentische Informationen über die wahren politischen Zustände in dem „Staat der Massen“, in dem sich nach Gadafis Lesart das Volk selbst regiert, in Wahrheit doch der Oberst mit voller Härte und Brutalität seine eigene Macht absichert, dringen nur sporadisch an die westliche Öffentlichkeit. Denn die kleinste Regung des Widerstandes, ja der Kritik wird im Reich Gadafis mit Freiheit, mitunter gar mit dem Leben bestraft.

Umso bemerkenswerter erscheint es, dass der von den beiden Nachbarstaaten – Tunesien und Ägypten – ausgehende Sturm der Freiheit – nun auch Libyen erfasst hat. Und dies, obwohl ein angesichts des Sturzes der tunesischen und ägyptischen Herrscher sichtlich nervöser Gadafi rasch Trostpflaster an sein Volk verteilte, insbesondere die Lebensmittelpreise senkte. Doch – im Gegensatz insbesondere zu Ägypten – sind es nicht primär soziale Nöte, die die Libyer gegen ihren Diktator aufbringen. Immerhin konnte sich Gadafi mit Hilfe reicher Öleinnahmen doch wiederholt die Ruhe seines nur sechseinhalb Millionen Menschen zählenden Volkes erkaufen, wiewohl die Arbeitslosenrate bei 30 Prozent liegen dürfte. Die Libyer, insbesondere die junge Generation, haben nach mehr als vier Jahrzehnten der Diktatur „genug“ von ihrem Diktator. Sie wehren sich gegen die massive Repression.

Davon bekamen sie in der Nacht auf Freitag erneut eine blutige Kostprobe. Um ein Ausbreiten der Proteste zu vermeiden hatte Gadafi seine Sicherheitskräfte auf Häuserdächern stationiert, von wo sie mit scharfer Munition in die Menge feuerten. Kampfhelikopter kreisten über den Städten. In Benghazi und einigen anderen Städten wurden laut Human Rights Watch mindestens 24 Menschen getötet und Hunderte verletzt. Libyer klagen über Facebook, dass Ärzte in Spitälern es nicht wagen, sich einem Befehl Gadafis zu widersetzen und Verletzte zu behandeln. Nach Aussagen libyscher Oppositioneller hat der Oberst in Erwartung von Unruhen schon vor Tagen Sicherheitskräfte aus dem benachbarten Tschad zu Hilfe geholt, die geringere Hemmungen zeigen dürften, gegen gewaltlose libysche Zivilisten vorzugehen.

Die Proteste hatten vor zwei Tagen mit der Forderung einer kleinen Schar von Juristen in Benghazi begonnen, die sich für eine demokratische Verfassung und eine unabhängige Justiz einsetzten. Eine immer größere Menschenmenge, offensichtlich ermutigt durch die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, schloss sich ihnen an. Benghazi, 1000 km von Gadafis Machtbasis in Tripolis und Sirte entfernt, galt stets als Unruhepol. Das nahegelegene Gebiet des Jabal Akhdar (Grüner Berg) gilt als Brutstätte des Widerstandes gegen Gadafi. Hier rekrutierte die bekannteste Rebellengruppe, die “Islamische Kampfgruppe Libyens“, in der Vergangenheit viele ihrer Mitglieder. Einst mit der Al-Kaida verbündet, hat sie sich inzwischen von dem Terrornetz distanziert und Gadafi entließ auch Dutzende ihrer Angehörigen in den vergangenen Tagen aus dem Gefängnis.

Es ist Libyens Jugend, die ähnlich wie in Ägypten, mit Hilfe von dem in Libyen allerdings weit unterentwickelten Internet und Sozialnetzwerken den Mut zum Widerstand aufbringen

Rund 33 Prozent der Bevölkerung ist unter 14 und trotz massiver Beschränkungen begierig, sich über elektronische Medien den Zugang zur Welt zu öffnen. „Allein in den vergangenen zwei Monaten“, erläutert der libysche Schriftsteller Guma el-Gamaty, „hat sich die Zahl der – überwiegend jungen – Libyer, die sich Facebook-Gruppen und Twitter anschlossen mehrfach verdoppelt“. Solange die Proteste nicht die Hauptstadt erreichen, kann sich Gadafi einigermaßen sicher fühlen.

Zudem ist Libyens externe Opposition zersplittert und die interne angesichts der massiven Repression völlig desorganisiert, ohne klare Ziele, einig nur im Zorn über Repression, Korruption der herrschenden Clique, der katastrophalen Gesundheitsversorgung und Infrastruktur. Es gibt keine Institutionen der Zivilgesellschaft, keine Gewerkschaften, keine freie Presse. Libysche Oppositionelle beklagen bitter das geringe Interesse des Westens an den Repressionen in ihrer Heimat. Gadafi hat lange bewusst ein Informationsvakuum geschaffen, um vor allem das westliche Ausland über die wahren Verhältnisse im Wüstenstaat im dunkeln zu lassen. Gelingt es ihm, dies auch jetzt aufrecht zu erhalten, dann könnte dieser Herrscher, der zudem auch noch jahrzehntelange Erfahrung mit einem politischen Überleben in internationaler Isolation gesammelt hat, der wohl größten Herausforderung seiner Herrschaft gewaltsam widerstehen. Nicht zuletzt ist ja auch libysches Öl in der EU heiß begehrt.

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Donnerstag, 17. Februar 2011

Bahrain zerschlägt Proteste mit voller Brutalität

Unruhen im winzigen Königreich gelten als Warnung für andere Ölstaaten am Persischen Golf

Birgit Cerha

Das Zentrum Manamas glich Donnerstag einem Schlachtfeld. Kolonnen von Panzern und Polizeiautos blockierten jedes Leben, nachdem die Sicherheitskräfte Bahrains in der Nacht zuvor Tausende Demonstranten mit ungeheuerlicher Brutalität vom Hauptplatz der Stadt vertrieben hatten. Politische Aktivisten hatten Mittwoch abend auf dem zentralen „Perlenplatz“ ihre Zelte aufgeschlagen und geschworen, dort auszuharren, bis ihre Forderungen nach demokratischen Reformen, der Freilassung politischer Aktivisten und dem Rücktritt des Premierministers erfüllt seien. Die große Zahl der Demonstranten und deren Entschlossenheit lässt das Königshaus erzittern.

Hatte sich König Hamad bin Isa al-Khalifa noch vor zwei Tagen für den Tod von zwei Männern entschuldigt, die bei der ersten Protestkundgebung am Montag und beim Begräbnis des Opfers am Dienstag von Sicherheitskräften erschossen worden waren, so setzt der Monarch nun auf gnadenlose Härte. Doch die vier Toten und rund 300 Verletzten, darunter viele Kinder, die die Aktionen der Sicherheitskräfte in der Nacht auf Donnerstag forderten, haben den Volkszorn aufgeheizt. Selbst im zentralen Hospital der Stadt begannen Ärzte Slogans gegen das Königshaus zu rufen, nachdem Polizisten sogar Verletzte aus Ambulanzen gezerrt und deren Fahrer attackiert hatten.

Sprecher von Oppositionsgruppen schworen Donnerstag, mit ihren Protesten fortzufahren, um eine Demokratisierung des Landes zu erreichen, „selbst wenn manche von uns ihr Leben verlieren“, betont Ibrahim Sharif von der säkularen Waad-Partei. „Eine Regierung, die ihre eigenen Untertanen tötet, besitzt keine Legitimität“, fasste Mohammed Almizal führender Parlamentsabgeordneter der größten Schiitengruppierung Al-Wefaq, die weitverbreitete Stimmung zusammen.

Wiewohl Bahrain unter den Ölstaaten am Persischen Golf einen Sonderfall darstellt, lässt es doch die autokratischen Herrscher der Region erzittern. Auf der kleinen Insel im Persischen Golf leben kaum mehr as 1,2 Millionen Menschen, die Hälfte davon Gastarbeiter. Bahrain aber ist der einzige der regionalen Ölstaaten, in dem eine sunnitische Minderheiten-Elite seit rund 200 Jahren über eine schiitische Mehrheit herrscht, die etwa 70 Prozent der Bevölkerung stellt und traditionell als „Bürger zweiter Klasse“ behandelt wird. Bahrains Schiiten haben enge familiäre Bande zu Glaubensbrüdern im Iran und Revolutionsführer Khomeini hatte einst auf diese Bevölkerungsgruppe gesetzt, um seine Revolution über die im ölreichen Osten Saudi-Arabiens lebende schiitische Minderheit auf die gesamte arabische Halbinsel auszubreiten.

Bahrains Herrscher versuchen seit langem den Iran für wiederholte Konflikte mit der bedrohten Bevölkerungsmehrheit verantwortlich zu machen und haben sich durch enge Bindungen vor allem an die USA abgesichert. Die Insel dient Washington als Hauptquartier für seine Fünfte US-Flotte. In Wahrheit aber agiert die schiitische Opposition keineswegs im Auftrag Teherans. Sie setzt sich nach den Worten eines ihrer Führer für eine „echte, und nicht für eine klerikale, Demokratie“ ein. Zudem hat das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte die Schiiten mit den nach Demokratie strebenden Sunniten Bahrains geeint. Gemeinsam riefen sie Mittwoch abend nach einer neuen, demokratischen Verfassung.

Seit Hamad bin Isa 1999 die Macht übernahm, versprach er dem Volk demokratische Formen, wandelte das Emirat 2002 in eine konstitutionelle Monarchie und rief das Volk zu Wahlen für ein neues Parlament. Doch die Reformen blieben in Wahrheit kosmetisch, insbesondere da die Macht des Parlaments durch ein vom König bestelltes Oberhaus eng begrenzt ist. Der König garantiert zwar ein größeres Maß an Pressefreiheit als seine Kollegen am Golf, doch ging jüngst radikal gegen oppositionelle Websites und Zeitungen vor. Besonders erboßt die Bevölkerung die Tatsache, dass der Herrscher seine Sicherheitskräfte durch ausländische Sunniten – aus Pakistan, Jordanien und dem Jemen – bemannt, die nun ungehemmte Brutalität zeigen.

Mehr als andere Ölstaaten am Golf verfolgt Saudi-Arabien die Entwicklungen in Bahrain mit größter Sorge. Die Saudis sind durch einen Damm mit der Insel verbunden, wo viele ihrer Bürger regelmäßig ein wenig persönliche Freiheit genießen, die ihnen daheim versagt bleiben. Die Ereignisse in Bahrain drohen, die frustrierte schiitische Minderheit in Saudi-Arabien anzustecken. Deshalb gaben Kreise um den mächtigen Innenminister Prinz Nayef bereits klar zu verstehen: Riad werde, wenn nötig, direkt intervenieren, sollte die Situation in Bahrain außer Kontrolle geraten.

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Dienstag, 15. Februar 2011

Irans „Grüne Bewegung“ zeigt ihre Lebenskraft

Nach monatelanger Repression wagen sich wieder Zehntausende in die Straßen – Doch der „Gottesstaat“ lässt kein Ventil offen

von Birgit Cerha

In den Hallen des Parlaments in Teheran versammelten sich Dienstag an die 50 erzkonservative Abgeordnete und brüllten vor laufenden Fernsehkameras: „Tod Mussawi, Tod Karrubi“, Tod den beiden Führern der „Grünen“-Demokratiebewegung, die in der zweiten Hälfte 2009 durch ihre Massenproteste gegen den manipulierten Präsidentschaftswahlen das Regime bis ins Mark getroffen hatten. Ihrem Beispiel der friedlichen Demonstrationen Hunderttausender über Internet, Facebook und Twitter zusammengerufener Bürger waren in den vergangenen Wochen Tunesier und Ägypter so eindrucksvoll und mit solch rasantem Erfolg gefolgt. In Panik riefen nun die Abgeordneten nach einem Prozeß gegen die „Korrupten der Erde“, ein Terminus, den das Regime für politische Dissidenten verwendet, die mit dem Tod bestraft werden sollen.
Seit einem Jahr ist es still geworden um Irans Demokratiebewegung. Durch ungeheuerliche Repression, totale Isolation der Führer hat das Regime sich weitgehend der größten Gefahr für sein Überleben entledigt und erneut gefestigt. Der Sturz der pro-westlichen Autokraten in Tunis und Kairo, der Sturz Präsident Mubaraks, immerhin des engsten Verbündeten des „Großen Satans“ USA hat den Theokraten in Teheran zu einem eindrucksvollen geostrategischen Punktesieg verholfen. Dementsprechend pries denn auch der „Geistliche Führer“ Khamenei das „islamische Erwachen“ der Tunesier und Ägypter, in der Hoffnung, Teheran freundlicher gesinnte Regierungen würden dort die Macht übernehmen.

Doch was sich außenpolitisch als Vorteil erweisen könnte, führt intern zu erneuter Bedrängnis des Regimes. Die „Grüne Bewegung“ hat aus den Erfolgen der Demokraten in Tunesien und Ägypten neuen Mut geschöpft. Verschärfte Repressionen vor dem Jahrestag des Siegs der islamischen Revolution am 14. Februar, ja der Hausarrest gegen Mussawi und Karrubi verfehlten ihre Wirkung. Nach Schätzungen wagten sich Montag zum erstenmal seit mehr als einem Jahr wieder Zehntausende Menschen in Teheran zum Protest gegen das Regime auf die Straßen. Und Tausende mehr waren es in Shiraz, Isfahan und Arak, sowie in Rasht und Kermanshah. Ihre Protestrufe richteten sich nicht gegen den verhassten Präsidenten Ahmadinedschad, sondern gegen das Zentrum der Macht, gegen Khamenei. Wie so oft 2009 ertönte im Schutz der Dunkelheit von Häuserdächern wieder der Ruf „Tod Khamenei“. Und nach Schätzungen iranischer Analysten dürften die Proteste am Montag mindestens ebenso viele Menschen angezogen haben, wie am 27. Dezember 2009, jenem denkwürdigen schiitischen Ashura-Tag, der in einem ungeheuerlichen Blutbad geendet und die freiheitshungrigen Iraner für fast 14 Monate von den Straßen gefegt hatte.

Irans „Grüne“ haben ein starkes Zeichen ihrer Lebenskraft gesetzt, auch wenn die Gefängnisse mit ihren führenden Gesinnungsgenossen gefüllt sind. Facebook existiert immer noch. An die 700.000 Iraner waren zwischen Februar 2008 und Juni 2009 in diesem sozialen Netzwerk aktiv. Viele von ihnen loggen sich immer noch ein und verbreiten auf diesem Weg Nachrichten. In hitzigen Debatten im Facebook unterstützen einige immer noch Mussawis und Karrubis Politik gradueller Reformen, die den Iranern bisher allerdings nur Tod und Gefängnis beschert hat. Die „Grüne Bewegung“ ist zersplittert. Während eine Strömung den radikalen Sturz des gesamten Systems erstrebt, andere Mussawis vorsichtige Strategie unterstützen, halten einige aus dem Gefängnis wieder heimgekehrte Reformer insbesondere der Ex-Präsident Khatami nahe stehenden „Islamischen Beteiligungs-Front“ unterdessen die „Grünen“ für all zu „radikal“ und setzen lieber auf Dialog mit den Theokraten und milden Reformversprechen.

Doch nicht einmal davon will das Regime etwas wissen. All zu groß ist die Sorge, auch die kleinste Öffnung des Ventils könnte eine Sturmflut auslösen, die die „Islamische Republik“ dahinfegt.

Bildquelle: taz.de

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BAHRAIN: Der Zorn der Bahrainis

von Birgit Cerha

Nun ist der Bazillus der Freiheit auch tatsächlich in der Ölregion am Persischen Golf gelandet, noch dazu in der Heimat der Fünften US-Flotte. Wie sehr Bahrains sunnitisches Königshaus erzittert, beweist es mit der übermäßigen Brutalität gegen friedliche Demonstranten. Und genau dies könnte der Minderheiten-Elite zum Verhängnis werden. Erstmals ertönt unter den protestierenden Schiiten der Ruf nach dem Sturz des Königreiches, dessen Herrscher zwar politische Öffnung verspricht, dessen Premier jedoch seit vier Jahrzehnten mit harter Hand regiert. Zaghafte demokratische Öffnung konnte bisher den Durst nach Freiheit und Gleichberechtigung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit nicht stillen. Auch das rasch herbeigeholte Trostpflaster finanzieller Zuwendungen (2.700 Dollar an jede Familie) und einer Lockerung der Pressefreiheit wird, ähnlich wie in Ägypten, den Volkszorn über den Autokraten nicht beschwichtigen. Bahrain ist ein Sonderfall am Golf, der einzige, von einer sunnitischen Minderheit regierte Staat mit nur bescheidenen Öleinkünften. Die Schatztruhe des Königs reicht nicht, um, wie anderswo am Golf, die seit Tunesien und Ägypten so ermutigten Unzufriedenen zu besänftigen. Fällt Bahrain als nächster Dominostein, ziehen düstere Sturmwolke auch über den anderen Ölstaaten auf.
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BAHRAIN: „Sie begegneten uns mit dem Tod“

Zweitägige Unruhen in Bahrain lassen die sunnitische Elite des Königreiches Bahrain erzittern

von Birgit Cerha

Mit außerordentlicher Brutalität versuchte das Regime der winzigen Golf-Monarchie Bahrain Dienstag zweitägige Unruhen mit Hilfe von Tränengas und Knüppeln niederzuschlagen. Die Sicherheitskräfte, so berichtet der arabische Satellitensender „Al Jezira“, hätten mit den Demonstranten ein „Katz- und Mausspiel“ betrieben. Die Bilanz: zwei Tote, Dutzende Verletzte und eine Welle des Zornes.

Die Unruhen hatten Montag zum zehnten Jahrestag eines nationalen Referendums über politische Reformen begonnen, die König Hamad bin Isa al-Khalifa seiner kleinen Schar von Untertanen versprochen hatte. Doch bis heute warten die Bahrainis weitgehend vergeblich auf größere politische Freiheiten und ein Ende der Diskriminierung für die schiitische Mehrheit, die etwa 70 Prozent der rund 530.000 Bürger zählen. Ein Demonstrant war Montag von Sicherheitskräften erschossen worden und beim Begräbnis setzte die Polizei Dienstag massiv Tränengas ein. Es kam erneut zu Zusammenstößen, bei denen einer der Trauernden getötet wurde. Da es sich um die Toten, wie um die Mehrheit der Demonstranten um Schiiten handelt, verkündete die größte schiitische Oppositionspartei, „Wefaq“ Dientag aus Protest ihren Boykott des Parlaments. Auch das Versprechen des Innenministers, eine Untersuchung über die Todesfälle einzuleiten, dürfte die schiitische Bevölkerung nicht beschwichtigen.

„Wefaq“ bekleidet seit den Wahlen im Oktober 18 der 40 Parlamentssitze und besitzt starken Einfluß unter der schiitischen Bevölkerung. Parteisprecher warnten Dienstag, sollte das Regime ihren Forderungen nach einem Dialog zur Durchführung von Reformen und einem Ende der Diskriminierung nicht nachkommen, würden sie endgültig aus dem Parlament ausziehen. Tausende Bahrainis machten Dienstag im Internet, über Facebook und Twitter ihrem Zorn über die Sicherheitskräfte Luft, die einfach in die friedlich demonstrierende Menge geschossen hatten. „Wir trafen sie im Frieden und sie begegneten uns mit dem Tod“, „Tötet zehn, tötet hundert, wir wollen unsere Bürgerrechte“, lauten die Kommentare der empörter Bürger, die ihre Entschlossenheit zu weiteren Protesten bekunden.

Bahrains Schiiten beklagen sich seit langem über das sunnitische Regime, das sie als „Bürger zweiter Klasse“ behandelt. Ein großer Teil dieser Bevölkerungsmehrheit ist vom Wohlstand des Landes weitgehend ausgeschlossen, haust in simplen Betonblocks, in armseligen Dörfern und viele Schiiten empören sich zunehmend, dass die Elite sie systematisch bei der Suche nach Arbeit, Regierungsposten und Wohnungen diskriminiert, zugleich, um Sunniten in beträchtlichen Zahlen ins Land holt und naturalisiert, um dieses Bevölkerungselement zu stärken.

Zuletzt war es vergangenen Sommer bei Protestkundgebungen der Schiiten zu schweren Unruhen gekommen. Vor den Parlamentswahlen im Oktober hatte das Königshaus die Schraube der Repression massiv angezogen, Meinungsfreiheit geknebelt, 23 Dissidenten inhaftiert, gefoltert und vor Gericht gestellt.

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Sonntag, 13. Februar 2011

ÄGYPTEN: In Ägypten beginnt die Suche nach Gerechtigkeit

Wie die Familie Mubarak das Land um Milliarden beraubte, während fast die Hälfte des Volkes in verzweifelte Armut versank

von Birgit Cerha

„Korruption“, „Räuber“, „Diebe“. In den 18 Tagen der ägyptischen Revolution übertönten diese Worte alle anderen Rufe Hunderttausender in Kairo, Alexandria und anderen Städten am Nil. Nun, da die erste Welle der Euphorie über den Sturz des verhassten Präsidenten Hosni Mubarak erebbt, beginnt die Suche nach Gerechtigkeit. Wo sind die Milliarden geblieben, die der „Pharao“ in drei Jahrzehnten dem Volk geraubt hat während fast die Hälfte der Bevölkerung in bitterer Armut versank?
Ägypter der älteren‚ Generation erinnern sich an jene schicksalhaften Tage im Oktober 1981, als der ehemalige Luftwaffengeneral im Schock des tödlichen Attentats auf Präsident Sadat die Macht übernahm. In seiner ersten Rede als neuer Präsident versprach Mubarak, „sich nichts zu verpflichten, was ich nicht in die Tat setzen kann, niemals die Wahrheit vor dem Volk zu verheimlichen und niemals gegenüber Korruption und Chaos nachsichtig zu sein“. Getreu seinem Versprechen rückte er Wucher und illegaler Profitmacherei energisch zu Leibe. Dutzende prominente Mitglieder des engen Kreises um Sadat wurden wegen krimineller Machenschaften und Machtmissbrauchs vor Gericht gestellt. Ja Mubaraks Säuberungskampagne machte selbst vor der Familie des Ermordeten nicht Halt. Sadats Halbbruder und dessen Söhne wanderten ins Gefängnis und mussten für illegale Geschäfte in gigantischem Ausmaß hohe Kompensationen bezahlen. Lange galt Mubarak als ein Führer von unbeugsamer persönlicher Integrität.

Doch drei Jahrzehnte der Macht haben auch diesen einst als so aufrecht geltenden Herrscher verändert. Auch Hosni Mubarak konnte nicht, wie so viele andere orientalische Autokraten, den Verlockungen von Geld und Gold widerstehen. Nach außen hin gab er sich bis zu seinem Rücktritt am 11. Februar allerdings weit bescheidener als so manche seiner Amtskollegen in der Region. Seine Villa in Sharm el Scheich am Roten Meer, in die er sich nun zurückzog, ist schlicht etwa im Vergleich zu der nahegelegenen der saudischen Multi-Milliardär-Familie Bin Laden.

In westlichen und arabischen Medien geisterten in den vergangenen Tagen gigantische Summen des vermeintlichen Reichtums herum, den Mubarak über die Jahrzehnte angehäuft haben soll. Von bis zu 70 Milliarden Dollar ist die Rede ein Betrag freilich, der nach Aussagen eingeweihter Kreise weit übertrieben ist. Weniger als ein Zehntel davon dürfte der Realität näher kommen. Genau weiß dies niemand. Doch auch drei oder fünf Milliarden sind Beträge, die die armen ägyptischen Massen, von denen 40 Prozent mit nicht einmal zwei Dollar im Tag auskommen müssen, empören.

Wie in der Ära Sadat wurde auch unter Mubarak Korruption ein fester Bestandteil der Wirtschaft. Sie ist allgegenwärtig, die Familie des Herrschers und ein kleiner Kreis seiner Vertrauten profitierten ebenso, wie hohe Offiziere im Militär. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International (TI) erzielt Ägypten kaum mehr als drei von zehn Punkten und rangiert damit an 70. Stelle. Schon lange empörte die Masse der Ägypter die Tatsache, dass es nur jene mit engen Bindungen zum System am Nil zu Wohlstand bringen konnten.

Mubaraks persönlicher Reichtum begann, als seine beiden Söhne, der Investmentbanker Gamal und sein älterer Bruder und Geschäftsmann Alaa in der Wirtschaft des Landes voll aktiv wurden, insbesondere als Ägypten mit Hilfe der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds ein umfangreiches Privatisierungsprogramm begann. Die beiden Präsidentensöhne naschten offenbar eifrig mit. Gamal, der Investmentbanker, profitierte insbesondere durch Beratungen für Auslandsinvestoren, von denen unzählige einer von Gamal gegründeten Firma Kommissionen in Höhe von fünf bis 20 Prozent bezahlen mussten. Einen beträchtlichen Teil des Familienvermögens vermochten die Mubaraks durch ein Gesetzt anzuhäufen, das ausländische Firmen, die in Ägypten investieren zwingt, 51 Prozent der Anteile heimischen Unternehmen zu überlassen. Die Mubaraks und einige prominente Mitglieder der „Nationalen Demokratischen Partei“ Mubaraks fungierten auf diese Weise als Sponsoren und streiften hohe Erträge ein.

Die Familie soll in verschiedenen Teilen der Welt, darunter auch London, zahlreiche Häuser und Hotels besitzen. Als die Volksrevolution bedrohlich an seiner Macht zu rütteln begann, hat Mubarak nach Informationen aus Finanzkreisen offenbar einen beträchtlichen Teil seiner Vermögenswerte außer Reichweite potentieller künftiger Ermittler gebracht. Die Konten der Mubaraks in der Schweiz wurden unterdessen gesperrt.

Teile der ägyptischen Opposition sind entschlossen, das Vermögen der Mubaraks aufzuspüren, den gestürzten Präsidenten, seine Familie und seine engsten Mitstreiter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Abrechnung mit der Diktatur wird sich als eine der großen Herausforderungen einer demokratischen Regierung erweisen, die aus den ersten freien Wahlen, irgendwann in den kommenden Monaten, hervorgehen wird.

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Freitag, 11. Februar 2011

Die Ägypter machen Geschichte

Der Rücktritt Präsident Mubaraks lässt viele Fragen offen – Wird die Armee auch das autokratische System demontieren?

von Birgit Cerha


„Ganz Ägypten ist ein Freiheitsplatz“, frohlockt eine junge Aktivisten. Und tatsächlich erscheint der Jubel schier grenzenlos, nachdem, zuletzt doch unerwartet, Präsident Mubarak Freitag abend zurückgetreten war. In nur 17 Tagen hat sich das Land der Pharaonen, in dem seit Jahren tiefe politische Apathie, Frustration und Verzweiflung vorgeherrscht hatte, radikal gewandelt. Zum erstenmal in ihrer Geschichte haben die Ägypter ihr Schicksal selbst in die Hand genommen. Das Volk hat seine Macht begriffen, seine Ängste vor den folternden Sicherheitskräften überwunden und in einer eindrucksvoll disziplinierten Art und Weise, konsequent und hartnäckig sein ihm zustehendes Recht auf Mitbestimmung, Freiheit, Demokratie eingefordert. Die Ägypter haben damit ein nie gekanntes kollektives Selbstvertrauen gewonnen, eine Zuversicht, dass eine würdevolle Zukunft auch ihnen beschert sein kann. Die ganze arabische Region wird davon mitgerissen werden.
Die Turbulenzen der vergangenen 24 Stunden übertrafen all die Aufregungen der kaum dreiwöchigen Revolution. Da deuteten die Armeeführung und Führer der regierenden „Nationalen Demokratie-Partei“ (NDP) den bevorstehenden Rücktritt Mubaraks an, der anschließend in einer Rede im staatlichen Fernsehen von all dem nichts wissen wollte. Der Hohe Militärrat benötigte Stunden, um Freitag morgen darauf zu reagieren und sich hinter die Entscheidung des Präsidenten zu stellen. Hinter den Kulissen tobten offensichtlich heftige Auseinandersetzungen und zunächst gelang es dem Überlebenskünstler Mubarak, die Armeeführung zu übervorteilen. Doch er drohte damit das Land an den Rand der Explosion zu treiben. Seine Rede an das Volk heizte den Zorn Hunderttausender massiv auf, stärkte deren Entschlossenheit, weiter auszuharren und Hunderttausende mehr schlossen sich ihnen an. Eine katastrophale Kraftprobe zwischen der Armee und dem Volk schien fast unausweichlich. Denn schon hatten die Demonstranten begonnen, zum Präsidentenpalast zu strömen, um den „Pharao“ zu verjagen.

Es stand fest, dass die Armeeführung ihre Passivität in dieser kritischen Situation nicht länger aufrecht erhalten konnte. Was, wenn Mubarak, der Oberkommandierende der Streitkräfte, vom Volk direkt bedroht würde? Dann hätten die Soldaten nicht länger – wie bisher – tatenlos zusehen können. Doch durch eine direkte Konfrontation mit den Demonstranten hätten sie ein gigantisches Blutbad riskiert, ein unkontrollierbares Chaos und den Sturz nicht nur Mubaraks, sondern des gesamten Systems. Die Armee, die ohnedies durch ihre Weigerung, die friedlichen Demonstranten gegen sie attackierende Anhänger Mubaraks zu schützen, an Sympathie in der Bevölkerung verlor, wäre zum Buhmann geworden. Zudem war der Zusammenhalt der Streitkräfte im Fall einer Konfrontation mit dem Volk längst fraglich geworden. So entschieden sich die Generäle für einen Verfassungsbruch und de facto einen Putsch. Für sie stehen zudem enorme Wirtschaftsinteressen auf dem Spiel.

Mit Mubaraks Rücktritt haben die Ägypter ihr erstes Ziel in erstaunlich kurzer Zeit erreicht. Doch ob sie sich damit begnügen werden, ist höchst fraglich. Freitag abend herrscht Euphorie, doch die Ernüchterung wird rasch einkehren. Denn unendlich viele Fragen gilt es nun zu lösen. Ein Hoher Armee-Rat hat die Macht übernommen. Doch was dies bedeutet, ist unklar. Ist Suleiman der neue Machthaber? Wird die Armee das Parlament aufösen? Werden die Streitkräfte ernsthaft einen Übergang zu einem demokratischen System leiten? Ihr Oberkommandierender General Tantawi gilt als ein Mann, der der nationalen Sicherheit allerhöchste Priorität einräumt. Aufkosten demokratischer Rechte? Wird die fest im System verankerte Armee, gemeinsam mit Suleiman nun versuchen vom alten System und dessen Machtapparaten zu retten, was sich noch retten lässt? Wird sie die NDP auflösen und mit ihr die gesamten korrupten Machtstrukturen zerschlagen? Welches Schicksal wartet Ägypten nun und mit ihm der Rest der arabischen Welt?

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Mittwoch, 9. Februar 2011

Ägyptens Protestbewegung verstärkt den Druck

Führungslosigkeit und Zersplitterung der Opposition gegen das Regime erweist sich als Schwäche und als Stärke zugleich

von Birgit Cerha

Scharfe Worte des ägyptischen Vizepräsidenten Omar Suleiman, die Regierung in Kairo „kann die fortgesetzten Proteste nicht länger verkraften“, verknüpft mit einer Warnung vor einem Putsch mit unabsehbaren Konsequenzen, illustrieren deutlich die enorme Nervosität und Frustration, in die die fortgesetzten Demonstrationen im Herzen Kairos das ägyptische Regime stürzen. Die „Zuckerln“, die Suleiman in ersten Gesprächsrunden einigen Vertretern der Opposition in Form von Versprechen hinwarfen, verfehlten ihre Wirkung. Die Bewegung der Demonstranten bleibt unbeeindruckt, ja sie wächst sogar. Dienstag und Mittwoch schlossen sich der „Zeltstadt“ auf dem Tahrir-Platz im Zentrum Kairos noch eine große Zahl von Menschen an, darunter nach Aussagen der Demonstranten, viele, die bisher zu Hause geblieben waren. Die Gründe dafür sind vielschichtig.

Suleiman konnte mit seinen Reformversprechen nicht überzeugen, da die Opposition in keinen Kontrollmechanismus eingeschlossen ist. Viele Demonstranten befürchten, wenn sie einmal die zentrale Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit verlören, würden – wie seit Jahrzehnten vom Regime gehandhabt – die Zusagen unerfüllt bleiben. Zudem nehmen nur Vertreter der dem Regime seit langem nahe stehenden Oppositionsbewegungen an der Erarbeitung einer Übergangsregelung teil. Alle Anzeichen sprechen vorerst dafür, dass Mubarak und sein Stellvertreter ungeachtet des internen und internationalen Drucks nach Kräften suchen, so viel wie möglich von dem so lange herrschenden System zu erhalten. Und ihre Manöver, die Massen vom Tahrir-Platz zu verjagen schlugen bisher nicht nur fehl, sondern erweisen sich als Bumerang. So erzürnte der Auftritt des berühmten arabischen Popstars Tamer Hosni Mittwoch auf dem Platz, wo er die Menge aufforderte angesichts der „Zugeständnisse“ Mubaraks heim zu gehen, die Demonstranten derart, dass er damit deren Protestenergie weiter steigerte. Als wichtiger Stimulator wirkte vor allem aber Wael Ghonim, einer der führenden Internetspezialisten Ägyptens, wegen seiner intensiven Aufrufe zu gewaltlosen Protesten gegen das autokratische System im Volksmund „Google Gandhi“ genannt. In mehrtägiger Haft durch die Sicherheitskräfte zum „nationalen Helden“ gemacht, beklagte er nach seiner Freilassung Dienstag in einem Interview die rund 300 Toten der Protestgewegung und rief die Demonstranten zum Durchhalten auf. Viele von ihnen bekräftigen weiterhin, sie wollten ausharren, bis Mubarak das Land verlassen habe.



Dabei geht es unterdessen längst nicht mehr um den alten Autokraten. Sein Vize, von den Demonstranten wegen dessen Karriere als Geheimdienstchef mit Hauptverantwortung für systematische Folter im Lande hämisch „Sheik-al-Torture“ genannt, ist de facto bereits in Mubaraks Fußstapfen getreten und der Protestbewegung wegen seiner Nähe zum Präsidenten und seiner Laufbahn mindestens ebenso inakzeptabel.

Mit diversen Methoden, wie der Komposition einer „Revolutionshymne“ versucht die Demokratie-Bewegung ihre Moral zu steigern. „Wir werden von Tag zu Tag mutiger. Unsere Bewegung wächst und wächst“, gibt sich einer der Sprecher der Aktivisten, Ahmad Salah, zuversichtlich.

Doch die Bewegung hat viele Sprecher, da spontan gebildet und rasant gewachsen fehlt ihr jeglicher Zusammenhalt. Führer gibt es keinen und nur ein Ziel eint sie: der Abtritt Mubaraks. Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei unterstützt zwar die Demonstranten, doch präsentierte sich nie als „politischer Retter“. Vielmehr betont er wiederholt, es seien die Ägypter, diese Jugend, die ihre eigene Revolution machen müsse. Im Volk fehlt ihm wegen seiner Jahrzehntelangen diplomatischen Auslandskarriere der Rückhalt. Er vermochte ihn nicht zu finden, weil er kein politisches Charisma besitzt. Die Moslembrüder wurden selbst von der Masse der jugendlichen Demonstranten und ihrer entschiedenen Forderungen überrumpelt und hinken bestenfalls hinterher. Und die jugendlichen Aktivisten setzen ihre Eigeninitiativen und scharen sich nicht hinter einem Führer.

Diese Zersplitterung und Führungslosigkeit kann sich als Segen und Gefahr zugleich erweisen. Sie bietet den Vorteil, dass das Regime keine Einzelpersonen oder kleine Grüppchen verhaften kann, um damit die Bewegung zu zerschlagen. De facto steht Suleiman den Demonstranten, die immer wieder neue Sprecher hervorbringen, machtlos gegenüber. Doch eine politische Strategie für Verhandlungen mit dem Regime und die Gestaltung des Übergangs zur Demokratie lässt sich auf diese Weise nicht erarbeiten.

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Sonntag, 6. Februar 2011

Ägyptens Moslembrüder werden „salonfähig“

Durch Verhandlungen mit einigen Oppositionsgruppen und Zugeständnisse spaltet das Regime seine Gegner und sichert Mubarak den vorläufigen Verbleib an der Macht

von Birgit Cerha

Eben noch hatte Ägyptens schwer bedrängter Präsident der von ihm jahrzehntelang verteufelten, verbotenen und von den Sicherheitskräften brutal verfolgten Moslembruderschaft (MB) die Hauptverantwortung für die blutigen Demonstrationen zugeschoben, die das Land seit 13 Tagen lähmen. Und nun sitzt sein neu ernannter Vizepräsident, Omar Suleiman mit den Brüdern als Teil einer Delegation der Oppositionsgruppierungen am Verhandlungstisch. Der Wandel in den Positionen beider Seiten ist ebenso erstaunlich wie radikal und er wird im Rest der arabischen Welt mit möglichen Konsequenzen auf andere Länder mit Argusaugen verfolgt.

Suleimans Gesprächsangebot an die MB war ein kluger Schachzug. Die Bruderschaft ringt verzweifelt seit Jahrzehnten, seit sie der Gewalt abschwor und den Weg politischer Mäßigung einschlug, um Anerkennung durch das Regime und Einschluss in die Politik am Nil. Sie scheiterte bis heute an der Entschlossenheit des Regimes, der Bruderschaft jede politische Rolle zu versagen aus Sorge, sie werde Ägypten zu einem radikalen islamischen Staat führen. Mubarak benutzte die Brüder auch als Schreckgespenst gegenüber dem Westen, um sich – erfolgreich – dem Druck nach demokratischer Öffnung des Landes zu widersetzen.

Der nun so plötzlich ausgestreckten Hand Suleimans konnten die Brüder nicht widerstehen. Doch sie riskieren damit Glaubwürdigkeit unter ihren Anhängern zu verlieren. Hatten sie doch gerade noch hartnäckig jedes Gespräch mit dem Regime abgelehnt, solange Mubarak an der Macht bleibt. Nach der ersten Verhandlungsrunde am Sonntag, an der für die Proteste mitverantwortliche jugendliche Anhänger des Friedensnobelpreisträgers Mohammed el Baradei, einige kleinere linke und liberale Gruppierungen teilnahmen, verkpündete ein Sprecher der MB gar, die Option, das Mubarak an der Macht bleibe, um Verfassungsreformen für freie Wahlen einzuleiten, garantiere Ägypten mehr „Sicherheit“.

Suleiman macht Sonntag eine Reihe von Zugeständnissen, wie die Freilassung aller in den vergangenen Tagen Verhafteten, versprach, Anti-Regime Proteste nicht mehr zu stören, Pressefreiheit und Internetzugang zu garantieren und vor allem das seit drei Jahrzehnten herrschende Kriegsrecht aufzuheben, sobald es die Sicherheitslage gestatte – seit langem eine Hauptforderung der Opposition.

Durch die Teilnahm der MB, der größten Oppositionsbewegung des Landes, gelang es dem Regime, seine Gegner empfindlich zu spalten. Tausende wollen immer noch auf dem Tahrir-Platz in Kairo ausharren, bis Mubarak das Land verlasst und halten die Zugeständnisse für den bloßen Versuch, Zeit zu gewinnen, um de facto durch kleine Reformen auch nach Mubaraks Abgang vielleicht im September die Macht des Systems zu erhalten. Ein Komitee aus Juristen und Politikern soll nun Verfassungsänderungen erarbeiten, die die Kandidatur mehrer Personen für die Präsidentschaft ermöglichen. Baradei, der an den Gesprächen nicht teilnahm, zeigt sich beunruhigt über die Absicht Suleimans, schon im September auf Basis solcher Reformen Präsidentschaftswahlen durchzuführen. Seiner Ansicht nach bedarf es einer Übergangszeit von mindestens einem Jahr, um das in Jahrzehnten zementierte System ernsthaft demokratisch zu öffnen. Ein Präsidentschaftsrat und eine Übergangsregierung sollten in dieser Zeit die Geschicke des Landes leiten.

Nicht eingehaltene Reformversprechen des Regimes sind am Nil bei weitem nichts Neues. Doch nun gespalten, verlieren die Demonstrierenden ihre Durchsetzungskraft und in Ägypten beginnt eine gefährliche Interimsphase, in der die Zeit gegen die Demokratieströmung arbeitet.

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Donnerstag, 3. Februar 2011

IRAN: „Die Revolution des Bewusstseins“

Wiewohl brutal zur Stille gezwungen, ist Irans „Grüne Bewegung“ gegen die Diktatur der Geistlichen „unzerstörbar“

von Birgit Cerha

Die Herrscher der „Islamischen Republik“ frohlocken. Endlich werden arabische Verbündete des „Großen Satans“ (USA) ins Mark getroffen. Dass die Massen in Tunesien, Ägypten, dem Jemen dem Beispiel folgen, das die „Grüne Bewegung“ Hunderttausender im „Gottesstaat“ 2009/10 mit ungeheurem Mut gesetzt hatte, wird freilich geflissentlich verschwiegen.

Eineinhalb Jahre nachdem Iraner aus allen Bevölkerungsschichten erstmals offen in Massendemonstrationen ihrer Sehnsucht nach Freiheit und einem besseren Dasein Luft gemacht und dafür ungeheure Opfer auf sich nahmen, ist es still geworden um die „Grüne Bewegung“. Mit beispielloser Brutalität hat sich die in ihren Grundfesten erschütterte Theokratie, die durch eine Volksrevolution unter Führung Ayatollah Khomeinis 1979 die Herrschaft gewonnen hatte, zur Wehr gesetzt. Sie hat damit eine Aussöhnung zwischen dem Staat und einem großen Teil der sich nach Veränderung sehnenden Bevölkerung unmöglich gemacht. Und die „Grünen“ haben den Iran nachhaltig verändert.
Zum erstenmal seit 32 Jahren wird das von Khomeini gegründete System des „Velayat e Faghih“ (des obersten islamischen Rechtsgelehrten) offen infrage gestellt. Die Position des „Geistlichen Führers“ Khamenei ist schwer angeschlagen. Kein einziger der führenden Ayatollahs, die Glaubwürdigkeit im Volk genießen stellt sich heute voll hinter Khamenei und das von ihm repräsentierte System. Jene, die ihn unterstützen, gelten in der Bevölkerung als verhasste „Hardliners“ oder als korrupte Profiteure des Regimes.

Mehr und mehr wendet sich der „Gottesstaat“ von den Idealen seines Gründers ab. Khomeini hatte einst den Streitkräften, den Revolutionsgarden den heiligen Auftrag erteilt, sich vollends aus der Politik herauszuhalten. Doch die Garden und die paramilitärischen Bassidsch hatten Ahmadinedschad 2005 auf den Präsidentenstuhl gehievt und sich damit eine entscheidende Rolle in den Institutionen des Staates gesichert und die Dominanz in der Wirtschaft weiter augebaut. Dass sie längerfristig die Geistlichen von der Macht jagen wollen, um diese auch offen selbst zu übernehmen, ist höchst wahrscheinlich.

Das Regime ist durch interne Machtkämpfe zwischen der Clique um Ahmadinedschad und den pragmatischen Konservativen empfindlich geschwächt und sucht sich durch blutigen Terror, eine dramatische Eskalation der Exekutionen, gegenüber der Zivilbevölkerung abzusichern. Dennoch wagte der Präsident den sozialpolitisch riskanten Schritt einer Streichung staatlicher Subventionen für Treibstoff und Nahrungsmittel und trifft damit vor allem die Unterschicht, die Arbeiterklasse. Sie ist die „unsichtbare Hand“, auf die die „Grüne Bewegung“ hofft. Ein Generalstreik der Arbeiter hatte sich einst als entscheidend für den Sturz des Schahs erwiesen. Doch die sozial Schwachen finden wenig Attraktives bei den „Grünen“, deren Führer Mussawi nur vage von sozialer Gerechtigkeit spricht und wirtschaftlichen Liberalismus predigt.

Irans Zukunft aber liegt in den Händen der Jugend. Zwei Drittel der Bevölkerung sind unter 25. Wiewohl gut ausgebildet wie noch nie (70 Prozent der Jungen besuchen Sekundarschulen, die Alphabetisierung liegt bei 80 Prozent), haben nur jene eine Perspektive, die eng mit dem Regime verbunden sind. Sogar das Bildungsministerium gesteht offen ein, dass 90 Prozent der hochbegabten Studenten ins Ausland gehen, drei Viertel davon in die USA. Wer keine Beziehungen zum Regime hat, bleibt Außenseiter. Jährlich wächst die Zahl der arbeitslosen Absolventen um eine Million.

Irans Zukunft aber liegt in den Händen der Jugend. Zwei Drittel der Bevölkerung sind unter 25. Wiewohl gut ausgebildet wie noch nie (70 Prozent besuchen Sekundarschulen), haben nur jene eine Perspektive, die eng mit dem Regime verbunden sind. Jährlich wächst die Zahl der arbeitslosen Absolventen um eine Million. Die geistlichen Machthaber haben einer großen Zahl von diesen Kindern der Revolution den Islam ausgetrieben. Immer mehr setzen sich für eine Trennung von Religion und Politik ein und sympathisieren mit der „Grünen Bewegung“. Diese sei „keine klassische Art des revolutionären Widerstandes“, meint der Iran-Experte Daryoush Hanayan. „Sie ist eine Revolution des Bewusstseins.“ Mit der vorherrschenden Kultur könne das Land nicht mehr regiert werden, daher wolle die Bewegung das politische Denken im Iran verändern. Sie tut dies nun in der Stille. Ungeachtet der Repression sei sie „unzerstörbar“, meint Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Sie wirkt wie ein soziales Netz und beginnt zunehmend auch in die Institutionen des Staates – sogar in die Revolutionsgarden – einzudringen. Und sie schöpft Kraft aus den Worten des hoch angesehenen Großayatollah Montazeri, der kurz vor seinem Tod 2009 vorhersagte: „Am Ende wird der Staat keine Wahl haben, als gegenüber der Grünen Bewegung zu kapitulieren“. Ein Beispiel für die Frustrierten anderer Länder.

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JEMEN: Explosives Gemisch von Hunger und Korruption

von Birgit Cerha

Ägypten hat schon einmal das Schicksal des Jemen bestimmt – Der Staat steht heute am Rande des Zusammenbruchs
(Foto: Ali Abdullah Saleh
)

Die Parallelen drängen sich auf. Wie sein autokratischer Kollege Mubarak in Ägypten, will Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh die Macht nicht lassen. Durch „die Straße“ in die Enge getrieben, verspricht er Verzicht auf eine Wiederwahl 2013 und will auch seinen Sohn nicht an seine Stelle treten lassen. Der große Bruder Ägypten hatte schon einmal Jemens Schicksal bestimmt, als Präsident Nasser im Bürgerkrieg gegen die gestürzten islamischen Royalisten (1962 bis 1969) den Republikanern zu Hilfe kam und der damalige Nord-Jemen eine Republik nach ägyptischem Vorbild aufbaute. Wie Nasser, war auch Saleh Armee-Offizier, als er 1978 durch einen blutigen Putsch die Macht an sich riß. Bis heute stehen die Streitkräfte bedingungslos loyal zu ihrem Präsidenten.Traditionell ist in diesem von stark auf ihre Eigenständigkeit pochenden Stämmen und diversen islamischen Gruppierungen zersplitterten Land die Macht der Zentralregierung schwach. Saleh verstand es jedoch, sich durch ein ausgeklügeltes System von Vergünstigungen in Form von Bargeld, Jobs, Entwicklungsprojekten, sowie die Strategie des Teile und Herrsche drei Jahrzehnte lang die Macht abzusichern. Dabei treibt die Korruption Hochblüten. Doch eine durch Misswirtschaft, sinkende Erträge aus den zur Neige gehenden Ölreserven und alarmierend versiegende Wasserquellen zusammenbrechende Ökonomie untergräbt nun Salehs Strategie und damit seine Macht. Immer mehr fehlt es an Geld, um Rivalen oder rebellische Stämme zu kaufen, während die sozialen Probleme das Land an den Rand des Abgrunds reißen. Zudem verschlingen noch ein sechsjähriger Bürgerkrieg gegen die zaidischen Houthis (eine schiitische Richtung des Islams) im Norden, die wachsende Schar der sich nach der 1990 durch die Vereinigung der beiden Jemen wieder nach Eigenstaatlichkeit sehnenden Süd-Jemeniten und gewalttätigen Islamisten der Al-Kaida große Summen und Energie, die dringend in die Entwicklung dieses ärmsten aller arabischen Länder investiert werden sollten.

Die Lebensbedingungen der Jemeniten – Armut, Infrastruktur, Dienstleistungen des Staates - sind weit schlimmer als jene der Ägypter. Fast die Hälfte der 23,4 Millionen-Bevölkerung ist unter 15 Jahre. 45 Prozent müssen mit weniger als zwei Dollar im Tag auskommen. Unterernährung, ja Hunger nimmt bedrohliche Ausmaße an, verschärft durch jüngst rasant gestiegene Nahrungsmittelpreise. Die Arbeitslosigkeit liegt bei fast 40 Prozent, nahezu die Hälfte der vergeblich Beschäftigung Suchenden sind Jugendliche.

Bei einer Analphabetenrate von rund 50 Prozent verfügt der Jemen nur über eine äußerst schwache Zivilgesellschaft, ein Faktum, das dem Präsidenten nützen könnte. Die politische Opposition, wiewohl groß an Zahl, ist gespalten in eine politische Bewegung und eine Volksbewegung. Seit 1990 hat Saleh die Oppositionsparteien an den Rand gedrängt und die wichtigsten Schlüsselpositionen im Staat, in den Streitkräften und in dem ziemlich effizienten Geheimdienst mit Familienmitgliedern besetzt. Dennoch will sich die politische Opposition u.a. aus gemäßigten Islamisten, Sozialisten, Nasseristen und Reformern – vorerst – mit einem von Saleh angebotenen Dialog und mit Reformen begnügen: Die Probleme „friedlich zu lösen ist besser für den Jemen, denn jeder besitzt hier Waffen“, meint der Chef des „Gemeinsamen Forums“ der fünf größten Oppositionsparteien, Mohammed al-Mutawakel.

Doch Mitglieder der – führerlosen – Volksbewegung, Studenten, Menschenrechtsaktivisten, kritisieren die Taktik der politischen Opposition. Saleh, so meinen viele vor allem unter der Jugend, sei niemals bereit, die Macht zu teilen, freie Wahlen zu garantieren, den Nepotismus zu beenden und das politische System zu öffnen. Sie sehen in den Kraftimpulsen, die nun von Nordafrika ausgehen eine einzigartige Chance, sich gegen die Übel des Landes zu erheben. Doch ein politisches Vakuum könnte den von Waffen strotzenden Jemen in blutiges Chaos stürzen – eine Aussicht, die die benachbarten Ölpotentaten, insbesondere Saudi-Arabien in Panik versetzt.

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Mittwoch, 2. Februar 2011

Auch die Syrer rufen zum „Tag des Zorns“

Das Regime präsentiert sich selbstgefällig – Doch eine an den Rand der Gesellschaft und in die Hoffnungslosigkeit gedrängte Jugend birgt enormen Sprengstoff

von Birgit Cerha

In seinem Land sei eine Rebellion wie in Tunesien und nun in Ägypten kaum denkbar. Denn sein Regime sei „eng verbunden mit den Überzeugungen der Menschen“. Präsident Bashar el Assad präsentiert sich selbstsicher und selbstgefällig gegenüber westlichen Medien. Ägypten und Tunesien hätten erst über Reformen gesprochen, nachdem das Volk zu rebellieren begonnen hatte. In Syrien, so die Andeutung, sei dies wohl anders.

Doch seit die Massen am Nil ihren Präsidenten Mubarak verjagen wollen, hat das Damaszener Regime die schärfsten Sicherheitvorkehrungen getroffen, an die sich seine Bürger zu erinnern vermögen. Die Argusaugen der zahllosen Geheimagenten treffen vor allem die Jugend und die Internetcafes, wiewohl der Zugang zu den Sozialnetzes unterdessen weitgehend blockiert ist.

Die kleine, doch angesichts massiver Repressionen extrem mutige Zahl politischer Aktivisten hat für Samstag nach ägyptischem und tunesischem Vorbild zu einem „Tag des Zorns“ aufgerufen. Er fällt in etwa zusammen mit dem 29. Jahrestag des Massakers von Hama, als Präsident Hafez el Assad 1982 Zehntausende Menschen töten ließ, um einen Aufstand der Moslembruderschaft niederzuschlagen. Die Zahl der Opfer bleibt bis heute geheim, doch die Wunden, die diese Brutalitäten in die Herzen von der Macht ausgeschlossenen sunnitischen Bevölkerungsmehrheit geschlagen hat, sind nicht verheilt.

Der unpolitische Augenarzt Bashar el Assad erbte von seinem 2000 verstorbenen Vater eine der brutalsten Diktaturen der arabischen Welt. Hafez el Assad hatte sie 1971 durch einen Putsch mit Hilfe des Militärs errichtet und Syrien mit eiserner Hand politische Stabilität, doch auch Jahrzehnte der Unterdrückung beschert. Das System stützte er auf die pan-arabische Baath-Partei, doch der Machtapparat beschränkt sich auf einen engen Kreis von Angehörigen der alawitischen Minderheit, die nicht einmal 20 Prozent der Bevölkerung stellt. Nur wenige Nicht-Alawiten erhalten Zugang. Es ist ein System, das Bashar, der als sich demokratisch gebender Reformer die Macht übernahm, weiterhin erhält. Da die sunnitische Bevölkerungsmehrheit von Macht und Privilegien ausgeschlossen ist, war über Jahrzehnte die Gefahr der Rebellion aus diesen kreisen besonders groß. Wie sein Vater, duldet Bashar auch nach der kurzen Periode des „Damaszener Frühlings“ der Freiheit 2000 bis 2001 nicht den leisesten Dissens.

Dennoch wagten 2005 Mitglieder einer Koalition politischer Gruppierungen, darunter auch der verbotenen Moslembruderschaft, sowie zahlreiche Unabhängige, in der „Damaskus Deklaration“ das Regime offen als „autoritär, totalitär und cliquenhaft“ kritisierte und ihre Strategie für einen friedlichen Wandel zur Demokratie festzulegen. Das Regime antwortete in traditioneller Weise. Die meisten prominenten Dissidenten sitzen heute, von Militärgerichten abgeurteilt, im Gefängnis, stehen unter Hausarrest oder brachten sich ins Ausland in Sicherheit. Seit einigen Monaten zielt Bashars dichtes Netz an Geheimdiensten insbesondere auf Anwälte und Menschenrechtsaktivisten. So wurde im Vorjahr der 79-jährige Haitham Maleh“ wegen „Verletzung der nationalen Moral“ (wie die Urteilsbegründung gegen Dissidenten meist lautet) zu drei Jahren Haft verurteilt.

So blieben Bashars wiederholte Versprechen von politischer Reform unerfüllt. Weit mehr als in Ägypten ist die Zivilgesellschaft eingeschüchtert und wird wohl kaum ähnlichen Druck auf den Diktator auszuüben vermögen. Angesichts der Repressionen lässt sich auch die Organisationskraft und Stärke der Opposition nicht einschätzen. Die Moslembrüder dürften allerdings wohl über eine beträchtliche Anhängerschar verfügen, insbesondere seit sie den bewaffneten Kampf aufgaben, sich mit den Zielen der „Damaskus Deklaration“ identifizierten und sich der vom ausgeschiedenen Vizepräsidenten Abdel Karim Khaddam gegründeten „Nationalen Rettungsfront“ diverser politischer Gruppierungen anschlossen. Doch ihre Bereitschaft, in einem Klima des Pluralismus mit dem Regime zu kooperieren, erntete nicht den erhofften Dank. Weiterhin gilt die Mitgliedschaft bei den Brüdern als Kapitalverbrechen. Dass Assad die sich nun gemäßigt präsentierenden Islamisten ausgrenzt, droht zumindest Randgruppen wieder in den Radikalismus zu treiben.

In der syrischen Gesellschaft aber gibt es starke säkulare Kräfte. Die Moscheen und ihre Imame stehen voll unter Kontrolle des Staates, der die Verbreitung radikalen Gedankenguts nicht duldet.

Als Ägyptens Jugend begann, in die Straßen zu ziehen, kündigten die staatlich gelenkten syrischen Medien rasch die Verteilung von Geldzuwendungen an 420.000 bitterarme syrische Familien an, mit der Anfang Februar begonnen wird. Gesamtaufwand 250 Mio.Dollar. Denn während eine Clique der Privilegierten (hohe alawitische Beamte, Militäroffiziere, sunnitische Großgrundbesitzer und wohlhabende Geschäftsleute) sich durch massive Korruption und Vetternwirtschaft enorm bereichert hat, versinkt die Masse in bitterer Armut. Besonders betroffen ist die Jugend, die heute mehr als 50 Prozent der Arbeitslosen stellt. Fast 45 Prozent der 22,5-Millionen-Bevölkerung ist unter 14. 20 Prozent der Syrer leben unter der Armutsgrenze. Auf dem Land liegt die Analphabetenrate der Erwachsenen immer noch bei 28 Prozent. Zaghaft begonnen wirtschaftliche Liberalisierung hat die Not der Massen noch verschlimmert.

Besonders betroffen von Armut und Repression ist die kurdische Minderheit, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung stellt. An die 300.000 von ihnen sind vollends aus der Gesellschaft ausgeschlossen, weil der Staat ihnen seit den 60er Jahren die Personalpapiere verwehrt. Die ethnischen Spannungen haben sich in jüngster Zeit drastisch verschärft und das Regime reagiert mit immer brutalerer Unterdrückung.

Seit dem israelischen Gaza-Krieg 2008 herrscht nach einer kurzen Phase von Geheimverhandlungen, in denen die Türkei den Gastgeber gespielt hatte, wieder weitgehende Funkstille mit dem einstigen Kriegsgegner. Das Problem der immer noch besetzten Golanhöhen bleibt ungelöst und damit beharrt Syrien auch weiterhin auf der Unterstützung radikaler Palästinenser und der libanesischen Hisbollah. Doch Assad gelang es, aus der internationalen Isolation auszubrechen, enge freundschaftliche Bande mit der Türkei zu schließen, die Beziehungen mit den USA weitgehend zu normalisieren, eine Entwicklung, die ihm viele Syrer ebenso danken, wie die entschlossene Unterstützung der Palästinenser.

„Die größte Gefahr droht dem Regime von der Jugend“, stellt der syrische Dissident Abdul Hamid fest. „Sie ist frustriert über den Mangel an Freiheit, an Arbeitsplätzen und sie hat ihr eigenes Kommunikationssystem im Untergrund eingerichtet. Und diese führungslosen Netzwerke können leicht politisiert werden, wenn die Zeit dazu reif ist.“

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Dienstag, 1. Februar 2011

ÄGYPTEN: „Marsch der Millionen“ gegen den „Pharao“

Mubarak spielt auf Zeit für einen gesichtswahrenden Abgang, doch für Ägypten kann sich dies als Katastrophe erweisen

von Birgit Cerha

Mit ihren kleinen Kindern an der Hand, oder gar am Rücken von Kamelen versammelten sich Hunderttausende Ägypter Dienstag zum „Marsch der Millionen“ im Zentrum von Kairo und anderen Städten des Landes. Ob die von der Opposition erhofften Millionen zusammengeströmt waren, bleibt dahingestellt. Jedenfalls war es die größte Massendemonstration, die das Land am Nil vielleicht je erlebt hat. Doch sie reichte offenbar nicht, um den Willen des „Pharao“, der seit drei Jahrzehnten das 80-Millionen Volk beherrscht, zu brechen. Vorerst. Vielleicht, so hoffen zumindest die oppositionellen Aktivisten und mit ihnen Hunderttausende, ereilt den Präsidenten in drei Tagen das Schicksal, am „Freitag der Abreise“, an dem die Massen den Druck auf den Diktator weiter verstärken wollen.In nur sieben Tagen hat sich die Welt am Nil in schier unglaublicher Weise gewandelt. Als vor einer Woche Zehntausende Ägypter erstmals die Jahrzehnte alte Barriere der Furcht durchstießen und auf die Straßen strömten, protestierten sie gegen Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne, hohe Preise und gigantische soziale Ungerechtigkeiten. Niemand glaubte damals, dass das Regime ernsthaft gefährdet sein könnte. Heute hat sich der Protest personalisiert. Die Massen wollen nichts weniger, als den sofortigen Abtritt Mubaraks und viele machen ihrer Entschlossenheit Luft, solange in den Straßen auszuharren.

Man sollte glauben, in den vergangenen Tagen habe sich ausreichender Druck angesammelt, um den 82-jährigen, vom Alter schwer gezeichneten Herrscher zur Aufgabe zu bewegen: der Hass der Massen, der in dieser Intensität alle überraschte; die Stichhaltigkeit ihrer sozialen Frustrationen, die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich; die einwöchige Lähmung des größten arabischen Landes; und zuletzt die Position des Militärs, das seit dem Sturz der von den Briten gestützten Monarchie 1952 die Stabilität des Landes und dessen Regime garantierte. Wie Nasser 1952 kamen auch seine Nachfolger Sadat und Mubarak aus den Reihen der Offiziere, die dieses System aufbauten, schützten und – auch zu ihrem Vorteil – erhielten. Mubarak konnte sich sicher fühlen. Seit Montag nicht mehr.

„Das Volk und die Armee sind eins“ lautet einer der populärsten Slogans. Die Streitkräfte ermöglichten Hunderttausenden Dienstag, ihren Protest gegen den Diktator in festlicher Form zu zelebrieren, vor und mit den von den USA gelieferten Panzern. Denn die Armeeführung hatte Montag abend zu verstehen gegeben, dass sie keine Gewalt gegen die für die Durchsetzung „ihrer legitimen Forderungen“ demonstrierenden Menschen anwenden werde, um Mubarak zu schützen. Unterstützt sie nun das Verlangen nach Abreise Mubaraks? Doch noch haben die in diesem System hoch privilegierten Offiziere den Präsidenten nicht fallen gelassen. Offensichtlich geht es auch der Mehrheit im Offizierskorps darum, Mubarak einen gesichtswahrenden Abgang zu sichern. Und der „Pharao“ wehrt sich hartnäckig gegen öffentliche Demütigung, koste es was es wolle, auch den Zusammenbruch der Wirtschaft.

So versucht Mubarak vorerst, mit Hilfe des neuen Vizepremiers, Ex-General Omar Suleiman, Zeit zu gewinnen, verspricht erstmals der Opposition, auch den verhassten Moslembrüdern (MB), einen Dialog und Maßnahmen zur Linderung sozialer Nöte, in der Hoffnung, eine kläglich schwache Opposition werde ohnedies keine zielführenden Verhandlungen führen können. Doch einige der wichtigsten politischen Bewegungen, darunter die sich zumindste verbal zu pluralistischer Demokratie bekennenden Moslembrüder, schlossen sich zu einer „Nationalen Versammlung der Veränderung“ zusammen. Ideologisch völlig unterschiedlich, eint sie die Forderung nach sofortigem Rücktritt Mubaraks und vage Grundideen von demokratischer Veränderung und sozialer Gerechtigkeit. Friedensnobelpreisträger Mohammed El-Baradei ist ihr Sprecher. Doch das Verhandlungsangebot wollen sie erst akzeptieren, wenn Mubarak das Land verlassen hat.

Das Verhalten der höchsten Offiziere wird den Fortgang der Ereignisse entscheiden. Noch suchen einige von ihnen offenbar eine für Mubarak milde Lösung. Im September sind ohnedies Präsidentschaftswahlen angesetzt. Diese sollen frei sein und einen „natürlichen“ Abtritt des „Pharaos“ ermöglichen. Davon aber will die Opposition nichts wissen und für die Wirtschaft, die bereits gravierende Schäden erlitt, könnte sich ein derart aufgeschobener Wandel als Katastrophe erweisen.

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