Sonntag, 28. März 2010

PORTRÄT: Robust, eisern, kreativ

Die erstaunliche Wiederkehr Iyad Allawis, des einstigen Statthalters der USA im Irak
von Birgit Cerha
"Der Irak gehört keinem Einzelnen, nicht einer einzelnen Partei. Er gehört allen Irakern.“ Mit diesen Worten begleitete Iyad Allawi, der knappe Sieger der Parlamentswahlen vom 7. März, sein Angebot an alle politischen Fraktionen zur Zusammenarbeit, insbesondere auch an seinen erbitterten Gegenspieler, den bisherigen Premier Nuri al-Maliki. Er hoffe, so rasch wie möglich eine Regierung zu bilden, die „Sicherheit garantieren und dem Volk die Dienstleistungen anbieten wird, die es benötigt“.

Allawis Ton ist vielversprechend, versöhnlich gegenüber seinen Feinden im In- und Ausland. Denn nur wenn er diese besänftigen kann, wird er rasch eine Regierung bilden können und dem Land die Chance auf Stabilität öffnen. So verlor er auch keine Zeit, den im Irak so einflussreichen iranischen Nachbarn zu beruhigen. Denn der Sieg des einstigen Statthalters der Amerikaner im Irak (Allawi war 2004 bis -05 von den USA eingesetzter Übergangspremier), bedeutet eine empfindliche Niederlage für den Iran, die Teheran möglicherweise nicht tatenlos hinnehmen will. Um Sabotageplänen, die die Iraner nun möglicherweise entwerfen, entgegenzuwirken, versucht Allawi rasch, iranische Sorgen zu zerstreuen: „Stabilität des Iraks entspringt der Stabilität der Region (d.h. ein US-Schlag gegen den Nachbarn vom irakischen Boden würde nur Bagdads Interessen schaden), und: „Die Amerikaner können nicht für immer hier bleiben, um uns zu schützen.“

Doch Allawi wird viel mehr tun müssen, um das tiefe Misstrauen Teherans und dessen irakischen Verbündeten gegen diesen Mann des Westens zu zerstreuen. Viele Iraker aber, insbesondere arabische Sunniten, haben offensichtlich eine tiefe Abneigung überwunden, die sie diesem Politiker mit seinem autoritären Stil zum Abschluss seiner kaum einjährigen Amtsperiode als Übergangspremier entgegengebracht und ihn in die politische Versenkung geschickt hatten. Damals hätte Allawis Image kaum schlechter sein können. Selbst die liberale amerikanische Zeitschrift „Counterpunch“ betitelte 2004 ein Porträt „Iraks neuer Terror Premier“ mit den Worten „Allawi, unsere Marionette mit einer Pistole“.

Der 1945 von einer libanesischen Mutter geborene Sohn einer einflussreichen irakischen Schiitenfamilie erwarb sich im Laufe einer schillernden Karriere den Ruf als ein politisch höchst ehrgeiziger Mann, der in seinem Charakter eiserne, robuste und kreative Züge mit einem gerüttelten Maß an Skrupellosigkeit verbindet. Schon als Student (der Medizin) schloss er sich der irakischen Baath-Partei an, in der er als enger Weggefährte Saddam Husseins rasch Karriere machte. In den 70er Jahren begann er in London eine Ausbildung als Neurologe, setzte jedoch seine politische Tätigkeit fort. Er vertrat offiziell die Baath-Partei und pflegte enge Kontakte mit dem irakischen Geheimdienst. Eingeweihte wollen wissen, Allawi hätte damals selbst die Macht in der Partei angestrebt und einen Putsch gegen Saddam geplant. Er wurden nach Bagdad zurückbeordert, blieb jedoch in England und wäre 1978, gemeinsam mit seiner damaligen Frau, beinahe einem brutalen Mordanschlag durch Saddams Häscher erlegen. Schwer verwundet, verbrachte er ein Jahr lang in Spitalsbehandlung.

In den frühen 80er Jahren begann er seine Kontakte mit dem britischen, amerikanischen und laut arabischen Quellen auch mehreren anderen Geheimdiensten. Mit deren Hilfe gründete er 1991 die Exilpartei „Irakische Nationale Einheit“ (INA) und baute sie zu einem Sammelbecken abgesprungener Baathisten, Geheimagenten und Offiziere des irakischen Diktators aus. Einer seiner engen Mitarbeiter tischte dem britischen Geheimdienst die – falsche – Information auf, Saddam sei könne binnen 45 Minuten Raketen mit tödlichen Kampfstoffen abfeuern.

Auch als Übergangspremier von Washingtons Gnaden scheute er mitunter nicht vor Kritik an seinen Gönnern zurück. So versuchte er offen – doch vergeblich – sich der Entscheidung der USA zu widersetzen, die irakische Armee und Sicherheitskräfte aufzulösen und die Baath-Partei zu verbieten, was sich als eine der unerschöpflichsten Quellen der Gewalt im Nach-Saddam-Irak erweisen sollte. Der Ruf der Skrupellosigkeit haftet ihm u.a. wegen des bisher nicht entkräfteten Gerüchts an, er hätte 2004 eigenhändig in einer Polizeistation sechs Aufständische erschossen. Auch sonst erwies er sich in Sicherheitsfragen unerbittlich. Manche Iraker gaben ihm deshalb den Spitznamen: „Saddam ohne Schnurrbart“. Er erteilte den Amerikanern seinen Segen für die äußerst brutalen Schlachten gegen arabisch-sunnitische Jihadis in Falludscha und die anti-amerikanischen Miliz des Schiitengeistlichen Moktada Sadrs in Nadschaf. Unterdessen aber sehen viele Iraker diese Haltung als Beweis für Allawis überzeugende säkulare Einstellung, die ihm nun zu seinem erstaunlichen Wahlerfolg geholfen hatte.

Das Image eines starken, entschlossenen Mannes, das vielen Irakern in dieser kritischen Zeit der Instabilität Hoffnung gibt, wird allerdings getrübt durch Vorwürfe katastrophaler Korruption während seiner Amtszeit. Ganze Koffer mit Geld für Wiederaufbauhilfe sollen seine Minister damals ins Ausland gebracht haben.

Seit er im Vorjahr seine nationalistische Bewegung „Irakiya“ gründete und dafür auch führende Sunniten, wie Vizepräsident Tarik al Hashemi und Saleh al Mutlak gewann, konnte Allawi – im Gegensatz zu Maliki – gute Beziehungen zu arabischen Staaten aufbauen, die ihn – so meint man in Bagdad – auch im Wahlkampf kräftig unterstützt hätten. Denn er verspricht nicht nur den arabischen Sunniten im Land, um deren Position sich insbesondere die Saudis, Jordanier, aber auch andere arabische Regime sorgen, wieder verstärkten politischen Einfluss, sondern will auch Irans weiteren Vormarsch im Zweistromland einen Riegel vorschieben. Nicht ohne Grund hatte Teheran nach Aussagen eines abgesprungenen Geheimagenten 2005 einen Mordversuch an Allawi verübt.
Foto: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Allawi7.jpg

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ISRAEL/PALÄSTINA: Haupthinderniss für den Frieden: die Selbstsicht der Israeli und der Palästinenser

von Dr. Arnold Hottinger

Um die Hindernisse zu begreifen, die einer rationalen Lösung der nun schon über ein Jahrhundert alten Palästina-Israel Frage entgegenstehen, ist es nützlich, auf die tief sitzenden Selbstbilder hinzuweisen, welche sich beide Seiten von sich selbst und von einander machen. Aus diesen Selbstbildern geht eine eigene Sicht der jüngsten Geschichte hervor, welche beide Seiten leidenschaftlich aufbauen, verteidigen und fortentwickeln. Man kann diese doppelte Sicht als zwei einander völlig widersprechende „Erzählungen“ des vergangenen Jahrhunderts und der heute bestehenden Gegenwart beschreiben.

Beide „Erzählungen“ sind natürlich geprägt und geformt durch die Erfahrungen, welche beide Seiten, eine jede für sich, in der nun schon über drei Generationen lang andauerden Auseinadersetzung gemacht haben - oder genauer, glauben gemacht zu haben. Sie haben aber zugleich auch tiefere Wurzeln in der Geschichte der beiden Gegner. Sie gehen auf beiden Seiten auf die Zeiten vor ihrer Auseinandersetzung um Palästina zurück, - wobei auf beiden Seiten sowohl die reale, faktisch nachweisbare Vergangenheit wie auch, und dies in einem viel stärkeren Masse, volkstümliche, mythische und religiös bestimmte Geschichtsversionen und Geschichtsperversionen die Selbstsicht bestimmen.
Die Sicht aus Israel
Die israelische „Erzählung“ umfasst Grundelemente wie:
1) die permanente Verfolgung der Juden sowohl in alten Zeiten wie auch in der jüngsten Vergangenheit, wobei der Holocaust als zentrale Figur und Essenz aller Leiden und alles Unrechtes steht, die den Juden von nicht-Juden angetan wurden.
2) Ein anderes Grundelement ist die enge Verbindung, die immer zwischen dem Heiligen Land und dem Judentum bestanden habe, wobei bewusst oder unbewusst die historische Ebene von, kurzfristiger, realer Herrschaft über das Land und die, ganz andere, seiner religiösen Bedeutung für das Judentum während Jahrhunderten später, miteinander vermischt werden. So dass aus der religiösen Bedeutung auch eine Art von Herschaftsanspruch konstruiert werden kann.
3) Zur dieser Erzählung gehören auch „Auslassungen“, das heisst Dinge, die nicht in die Erzählung passen und daher ausgelassen oder stark unterbetont werden; etwa die guten 1700 Jahre nicht jüdischer Geschichte, welche sich in Palästina abwickelten.
4) Weiter werden spezifisch zionistische Mythen einbezogen, so jener vom „Land ohne Volk“, das „leer und unbebaut“ auf „sein Volk“ warte; der verwandte von der Begrünung der Wüste durch die zionistischen Siedler; der vom Kampf Davids gegen Goliath, welcher wunderbarerweise für David erfolgreich zu Ende ging. Der von der „Notwendigkeit eines Staates“ für das „jüdische Volk“, und besonders der von der beständigen „Existenziellen Bedrohung“, der dieser Staat von jeher und bis heute ausgesetzt war und weiterhin sei.
5) Auch negative Stereotypen gehören zu dieser Gesamterzählung, jener vom „übelwollenden Araber“, der oft mit Hitler verglichen und mit dem Holokaust in Verbindungen gebracht wird. Der gleiche negative Stereotyp erscheint auch ausgeweitet auf die ganze nicht-jüdische Welt, die „uns immer übel gesonnen ist“, „oder es jedenfalls bisher immer, oder fast immer war“.

Mythos und Realität
Als „Mythos“ bezeichnen wir hier eine Erzählung, die für wahr gehalten wird, obwohl sie –in vielen Fällen nachweisbar – weitgehend oder total aus Phantasiegebilden besteht; jedenfalls nicht nur aus nachprüfbaren Tatsachen. Eine mythische Erzählung wird für wahr gehalten, weil sie symbolischen Wert aufweist, das heisst von den ihr zustimmenden Bevölkerungsgruppen als bedeutungsvoll erkannt wird – etwa für ihre Lage, für ihr Erleben, für ihr Empfinden, für ihre Hoffnungen – und daher eine Art von „Wahrheit“ zu fassen scheint.
Dabei wird oft, bewusst oder unbewusst, diese symbolische Wahrheit mit der kontrollierbaren „objektiven“ Wirklichkeit verwechselt. Das subjektiv Wahrgenommene und subjektiv Erwünschte wird als objektiv geschehen und objektiv notwendig angesehen und verteidigt.

Wenn solche Vermischungen bewusst vorgenommen werden, handelt es sich um Propaganda, die bestimmten politischen oder religiösen Zwecken dient. Wenn sie unbewusst oder halbbewusst geschehen, wirken sie als motivierende Kräfte, die das Empfinden und Handeln von Einzelnen und von Gruppen in bestimmte Richtungen lenken und sogar ihre Begriffe von Recht und Unrecht weitgehend beeinflussen oder entstellen können.

Die „Erzählung“ mit all ihren mythischen Elementen, Beigaben und Ausschmückungen wirkt sowohl nach innen wie nach aussen. Ihre innenpolitische Wirkung dient dem Zusammenhalt der israelitischen Bevölkerung Israels, aber auch der diskriminierenden Ausschliessung des nicht jüdischen Fünftels derselben. Sie dient auch als Argument gegen alle Israeli, die sich gegen die heutige Landnahmepolitik der gegenwärtigen israelischen Rechtsregierungen sträuben. Sie wird eingesetzt nicht nur zur Rechtfertigung vergangener Landnahmen und Vertreibungen sondern auch um gegenwärtige gewaltsame Ausschliessungsmassnahmen und Landraub zu „begründen“ und als „notwenig“ oder gar „rechtlich“ zu verteidigen.

Vom Sicherheitsbedürfnis zum Sicherheitsmythos
Dabei spielt das Sicherheitselement eine grosse Rolle. Die realen Notwendigkeiten der Absicherung, die ein jeder Staat zu bewältigen hat, der Israelische aber in besonderem Masse, werden vermischt mit den mythischen Themen der Böswilligkeit aller Anderen und der bisher ewigen Verfolgung durch die Aussenseiter, um eine expansive „Sicherheitspolitik„ zu betreiben, die objektiv auf Landraub, Enteignung und Verknechtung der einheimischen, palästinensischen Bevölkerung hinausläuft. Diese wird als „feindlich“ eingestuft und verhält sich auch - primär wegen dieser Einstufung und Behandlung - fast notwenigerweise feindlich.

Einige der wichtigsten Mythen, auf denen diese Selbstschilderung aufgebaut ist, besassen vor 60 Jahren, als der Staat Israel gegründet wurde, mehr Realitätsgehalt als sie heute aufweisen. Zum Beispiel der zentrale Sicherheitsmythos. Es gab Zeiten, in denen die Israeli mit einem gewissen Recht fürchten konnten, ihr Staat befinde sich in Gefahr, von seinen Feinden in der umliegenden arabischen Welt übermannt und zerschlagen zu werden. Die arabischen Staaten rings um Israel herum gelobten lauthals, sie würden die Schmach der Niederlage von 1948 auswetzen und den Staat der Juden zum Verschwinden bringen. Die beiden mächtigsten der arabischen Gegner Israels, Aegypten und Syrien, erhielten eine gewisse Unterstützung im Ausrüstungs- und im diplomatischen Bereich durch die Sowjetunion. Israel musste mit der Gefahr eines gleichzeitigen Angriffes von zwei oder drei Seiten rechnen, und mehrfronten Kriege waren für das kleine Land immer ein Risiko.
Diese Zeit kam endgültig zu Ende mit dem Friedensschluss mit Aegypten von 1979. Später gab es nur noch Infiltrationsversuche der PLO über die libanesische Grenze, die sich störend auswirken konnten, jedoch nicht mehr eine existenzielle Gefahr darstellten – und Anschläge von Aktivisten des palästinensischen Widerstandes im Landesinneren, die blutig und opferreich verlaufen konnten, jedoch den Staat Israel als solchen nicht wirklich erschütterten oder schwächten – eher alarmierten, vereinten und dadurch sträkten.

Die Hilfe der Sowjetunion für die Gegner Israels fiel aus, als die Sowjet Union zusammenbrach; es gab nur noch eine einzige Supermacht, und diese war der erklärte Freund und Beschützer der Israeli. Diese Entwicklung veränderte die Machtverhältnisse im Nahen Osten ebensosehr wie die mit amerikanischer Hilfe zunehmend in den Bereich der Hochtechnologie aufrückende Rüstung der israelischen Armee, einschliesslich des Besitzes von Atomwaffen.

Die realen Machtverhältnisse verschoben sich weit zu Gunsten Israels, doch der Mythos von der Gefahr und von der Notwendigkeit, sich mit allen denkbaren Mitteln abzusichern, wuchs dennoch weiter und wurde auch systematisch weiter gepflegt und ausgebaut. Viele schmerzliche Erfahrungen der Juden in der Vergangenheit bildeten einen reichen Nährboden für ihn. Der Mythos erhielt ein politisches Ziel. Er wurde geflegt und eingesetzt, um eine höchst brutale Niederhaltung der Palästinanser in den Besetzten Gebieten und den immer weiter um sich greifeden Landraub durch isrealische Siedlungen in diesen Gebieten zu rechtfertigen. Dies in den Augen der eigenen Bevölkerung wie gegenüber dem Ausland.
Provokationen fanden statt, die den Zweck verfolgten, die palästinensische Seite zu erbittern und zu Blutaktionen zu verführen, um dann unter Anrufung der angeblichen Sicherheitsnotwendigkeit umso brutaler auf sie zurückzuschlagen und sie dadurch weiter zurückzudrängen und zu schwächen.

Die Bekannteste dieser Provokationen war der „Spaziergang“ unter bewaffneter Begleitung des Generals und Politikers Ariel Sharon auf dem al-Aqsa Areal von September 2000. Dieser und die darauf folgenden Schiessereien dienten dem Zweck, Sharon selbst ins Amt des Ministerpräsidenten zu katapultieren und einen Aufstand der Palästinenser auszulösen, dessen Niederschlagung durch Sharon der Beendigung des damals noch knapp überlebenden Friedensprozesses diente. Der Friedensprozess war Sharon besonders verhasst, weil er auf eine Zweistaatenlösung abzielte, welche der General und Politiker als eine „Katastrophe für Israel“ ansah, die es unbedingt zu vermeiden gelte.

Es gab aber auch zahlreiche andere Provokationen auf niedrigerer, militärischer Ebene: Dinge wie Brüche von Waffenstillständen und „Nicht Gerichtliche Tötungen“ in Augenblicken, die Entspannung versprachen. Alle dienten sie dem Zweck, Unruhen auszulösen, die dann den Vorwand abgaben, erneut „mit allen Mitteln“ für Sicherheit sorgen zu müssen und die Palästinenser niederzuhalten. Man kann deshalb sagen, auch Provokationen dienten dem Zweck, den Sicherheitsmythos zu verstärken und den Sicherheitsvorwand erneut zu aktualisieren, mit dem politisch-militärischen Ziel, die israelische Herrschaft über die besetzten palästinensischen Gebiete und Wohnstätten abzusichern und auszubauen.

Vom Selbstbild der Palästinenser
Der Abstand zwischen mythologischer Selbstsicht und den realen Gegebenheiten ist bei den Palästinensern ebenfalls vorhanden, jedoch dürften bei ihnen „Erzählung“ und „Realität“ nicht gleich weit auseinanderklaffen. Vermutlich ist dies nicht dadurch gegeben, dass die Palästinenser weniger zur Mythenbildung neigen. Eher durch den Umstand, dass sie, die bis heute als die Verlierer im Machtringen dastehen, immer erneut auf die Realität ihrer Leiden und Verluste zurückgeworfen werden. Sie werden dadurch gezwungen, ihre Mythen nicht für die Gegenwart zu entwickeln, sondern sie eher in einer erträumten Vergangenheit und in einer erhofften Zukunft anzusiedeln.

Ein Hauptmythos der unter den Palästinensern wirkt, ist jener der Fremdbestimmung. Schuld an all den Übeln, die sie erlitten und weiter erleiden sind zwar in ihren Augen die Israeli. Doch, so besagt der Mythos, diese wären eigentlich schwach und für die Palästinenser und ihre arabischen Freunde leicht überwindbar, wenn nicht die Amerikaner und die Völker Europas hinter Israel stünden.

Dieser Mythos besitzt eine reale Grundlage. Die ersten zionistischen Siedler in Palästina genossen den Schutz der britischen Kolonialmacht und konnten unter ihrem Schutzschirm schrittweise eigene Macht entwickeln. Später wurden es die europäischen Staaten, etwa Frankreich und England, die Israel bewaffneten. Dann trat Amerika als die weitaus wichtigste Schutzmacht für Israel auf den Plan, und Amerika hat diese Rolle bis heute nicht aufgegeben.

Verstellte Quellen der Selbstkritik
Doch der Blick auf die „fremden Hände“ verdeckt in palästinensischen Augen weitgehend die Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeiten. Wenn an allem, was geschieht, die Israeli und hinter ihnen die westlichen Mächte, besondes die USA „schuld sind“, fällt es schwer, je wird es unmöglich, zu erkennen, dass auch eigene Fehler, Fehlrechnungen, Unterlassungen, ja Untaten, vorliegen, die ebenfalls zur heutigen verhängisvollen Lage der Palästinenser beitrugen.

Trotz allen Niederlagen und Fehlschlägen wird so gut wie nie eine echte Selbstkritik laut. Zum gängigen Selbstbild gehört die Behauptung: „Wir tun was wir können, um uns zur Wehr zu setzen. Gegen „die Besetzung“ sind alle Kampfmethoden erlaubt, ja geboten. Wenn wir uns nicht zur Wehr setzten, würden die Israeli uns umso schneller und leichter liquidieren“. Dies schliesst aus, ja verhindert, dass die Taktik und Strategie, die angewandt wurden und werden, einer rationalen Kritik und Analyse unterzogen werden. Angesichts der langen Kette von Niederlagen und Misserfolgen in ihrem Ringen mit den Israeli und deren verbündeten Mächten, wäre Selbstkritik, die darauf ausginge, die Schwachstellen der verwendeten Strategie und Taktik zu erkennen und das eigene Vorgehen dementsprechend zu verändern, eigentlich zu erwarten und bestimmt eine Notwendigkeit.
Über die bisher fehlgeschlagenen Schritte, Massnahmen, Strategien und die Gründe ihrer Misserfolge, sowie über alternative Wege und Methoden, die man vorschlagen und versuchen könnte, liessen sich Bände schreiben. Hier mag es genügen, auf einen der zentralen Schwachpunkte hinzuweisen, der sich vielfältig auswirkt, aber nicht wirklich als Schwachpunkt erkannt zu sein scheint.

Unkenntnis der Aussenwelt
Im Gegensatz zu den Israeli, die ihre politische Umwelt sehr genau kennen und sie aus diesem Grunde immerwieder entscheidend beeinflussen können, scheinen die Palästinenser nur sich selbst und ihre eigene Welt zu kennen und zu verstehen. Weshalb es ihnen schwer fällt, ihre Anliegen wirksam nach aussen zu tragen, oder sich nützliche Verbündete zu schaffen, die in der Machtbalance wiegen. Man muss einräumen, dass es heute, nach Jahrzehnten der Wirkungslosigkeit in diesem Bereich, sehr schwierig sein dürfte, das Rad zurückzudrehen. Gerade in diesem Bereich besitzen die Israeli machtvolle Positionen, aus denen sie sich natürlich nicht verdrängen lassen wollen, und die sie daher nach Kräften weiter ausbauen und verteidigen. Man denke an ihr Bündnis mit den USA und an AIPAC, das wohl organisierte, schwerreiche und äusserst aktive jüdisch-amerikanische Lobby, das beständig und intensiv am Ausbau des israelischen Einflusses auf die amerikanische Nahostpolitik arbeitet.

Doch die starke Position der Israeli sollte ihre Gegenspieler nicht daran hindern, zuerst einmal kühl und umsichtig zu analysieren, worauf diese beruht, wie sie zustande kam und weiter ausgebaut wurde, wo ihre Schwächen liegen und wo ihre Stärken. Zu dieser Analyse gehörte auch die Frage, wieweit des Verhalten der Palästinenser selbst und mancher ihrer Verbündeten dazu beitrug oder Handhabe bot, um die politischen Positionen des Gegners zu stützen; - auch ob und wieweit dieses Verhalten für die palästinensische Seite Nutzen hervorbrachte, welcher den Schaden, den es verursachte, überwog. Alternative Strategien würden aus derartigen Analysen hervorgehen und möglicherweise bessere Resultate erbringen.

Was von den äusseren Verbündeten der Israeli gilt, gilt auch von der Wirkung, welche die Taten und Untaten der Palästinenser auf die Israeli selbst ausübten und weiter auszuüben drohen. Auch in diesem Bereich wäre eine Kosten-Nutzen Analyse notwendig, etwa in der Frage: wieweit trugen Anschläge auf israelische Zivilisten zur Festigung des Sicherheitsmythos in Israel bei und damit auch zur Ausnützung dieses Mythos durch jene Gruppen unter den Israeli, die heute regieren, um ihre Politik der „präventiven Landnahme“ ihrer eigenen Bevölkerungglaubhaft zu machen und sie als eine angebliche Sicherheits-Notwendigkeit darzustellen.

Eigenverklärung als Flucht vor der Realität
Die Palästinensische Unfähigkeit zur Selbstkritik geht auch auf die „positiven“ Selbstschilderungen zurück, welche als Gegenstück zu den Mythen der Fremdbestimmung auftreten. Zurückgreifend auf viel ältere Selbstbilder und Selbstideale steht der Klage über die Macht der Fremden unvermittelt und kontrapunktuell eine Selbsteinschätzung und an die eigene Person und Gemeinschaft gerichtete Selbstanforderung gegenüber, sich selbst als „Helden“ zu sehen und zu betragen. „Wir sind doch Helden; wollen solche sein, sehen uns als solche an, betragen uns daher als solche“.. Dies ist ein mythisches Motiv, das direkt aus der arabisch-beduinischen Tradition stammt und später in Verbindung getreten ist mit islamischen Selbstsichten und Selbstanforderungen aus der Zeit der erfolgreichen arabisch-islamischen Eroberungen. Diese liegen zwar sehr weit zurück, sind aber in der Form von Stammesstolz und Eigenanforderung bis heute erhalten.
Allzuleicht und unkritisch wird alles bewaffnete Handeln und Auftreten in diese Atmosphäre des Stammes- und Mannesstolzes aufgenommen und wird dadurch der sachlichen Kritik, und sogar der moralischen Kritik entzogen. Dabei kann die bittere Enttäuschung über die eigene Lage und die eigenen Möglichkeiten gegenüber den übermächtigen Fremden umschlagen in eine hyperbolische Selbstsicht des eigenen Heldentumes, - „umsomehr muss ich mich als Held bewähren, aufopfern, durchsetzen, ohne Rücksicht auf mein eigenes Blut und auf das aller Anderen!“ Oder noch einfacher und verzweifelter: „die Selbstmordbombe bleibt meine letzte Handlungs- und (heldische) Selbstaufopferungsoption!“ Was dabei aus dem Gesichtsfeld rückt, sind die sachlichen Belange: Land-, Bürgerrecht, Selbstbestimmung, die es eigentlich nach Möglichkeit zu bewahren gälte.

Eine islamistische Variante
Der „arabisch-nationalistischen“ Variante dieser kontrapunktuell schwankenden Doppelselbstsicht (dominierend in der PLO und deren radikalen Randgruppen) steht neuerdings als Konkurrenz eine islamistische gegenüber (wie sie von Hamas gepflegt wird). Sie ist jüngeren Alters und daher ( heute noch?) radikaler gestimmt als jene der etwas müde gewordenen PLO. Doch sie besteht aus vergleichbaren Elementen (auch:Heldentum gegen Fremdbestimmung), nur dass die „islamische“ Identität an Stelle der „nationalen“ als die wichtigste Identitätskomponente gesetzt wird, die es unter allen Umständen abzusichern und hochzuhalten gelte. Weil es sich dabei um ein religiöses Handlungsmotiv handelt, das an die Stelle des früheren politisch-nationalitären tritt, dürfte das auf seiner Einwirkung beruhende Handeln noch weniger der kritischen Einsicht einer realistischen Gewinn- und Verlustrechnung ausgesetzt sein als im Falle des Nationalismus.

Mythologie gegen Realismus
Beide Selbstbilder, das israelische wie das (heute in zwei einander feindliche Varianten gespaltene) palästinensische, wirken gegen Kompromisslösungen. Die heute schon weitgehend überholte und kaum mehr realistisch denkbare Zweistaatenlösung, wäre ein derartiger Kompromiss, zu dem beide Seiten das ihrige beitragen müssten. 1994, als der sogenannte Friedensprozess mit der Formel „Jericho, Gaza first“ seinen praktischen Anfang nahm, meinte die PLO, sie sei einen derartigen Kompromiss mit den Israeli unter amerikanischem Zuspruch und moralischer Garantie der amerikanischen Vermittler eingegangen. Doch es sollte sich herausstellen, dass die israelischen Regierungen nicht der gleichen Ansicht waren. Die (widerrechtliche) Ansiedlung israelischer Siedler unter dem Schutz der israelischen Besatzungsarmee dauerte an und sollte sogar nach der Ermordung Rabins ( vom 11. Nov. 1995) beschleunigt werden. Ihre grosse Konzession an den Friedensplan war in Augen der Palästinenser die endgültige Anerkennung Israels als des rechtmässigen Besitzers der im Krieg von 1948-9 eroberten Gebiete. Doch in israelischen Augen war dies längst „Israel“ (allerdings, wie sie heute sagen, „ein Land ohne feste Grenzen“). Die israelische forderte von der palästinensischen Seite „weitere Konzessionen“, und sie erblickte in den Verhandlungen über die Durchführung des „Friedensprozesses“, die nun über Jahre hin folgten, in erster Linie eine Gelegenheit, solche weiteren Konzessionen von den Palästinensern einzufordern.

Die oben geschilderten Selbstsichten traten in Funktion: „mehr Land“ musste den Palästinensern entrissen werden, um die Sicherheit der Israeli zu gewährleisten. Der Sicherheitsmythos besagte, nie befänden sich die Israeli in wirklicher Sicherheit vor ihren äusseren Feinden. In Wirklichkeit war dies nur ein – angesichts der bestehenden Mythologie glaubwürdig klingender - Vorwand, um immer mehr Land widerrechtlich in Besitz zu nehmen.

Auf der Gegenseite gewann Hamas zuerst die palästinensischen Wahlen und setzte sich dann im Gazastreifen mit Gewalt gegen die PLO durch, als diese versuchte, trotz der Wahlniederlage das Heft in der Hand zu behalten. Dies geschah teilweise gewiss, weil der PLO Korruption und Unfähigkeit vorgeworfen wurde; jedoch auch weil die Lenker von Hamas ihrem Mythos Gehör verschafften, nach welchem „der Islam“ so wie sie ihn auslegten, den Palästinensern endlich zu ihrem von Gott verbürgten Sieg verhelfen werde. So werde sich die bitter beklagte Fremdbestimmung in erhoffte und zuversichtlich erwartete heldenhaft-magische Selbsterlösung verwandeln.


Mythologie gegen Frieden
Es gehört zu den Eigenschaften mythischen Beschreibens, Empfindens und „Denkens“, dass die Tatsachen geringen Einfluss auf mythische Sichten nehmen. Diese entstehen ja, indem Wünsche, Absichten, Hoffnungen, Erklärungsversuche des Unerklärlichen Ausdruck suchen und finden. Umgekehrt aber beeinflussen mythische Sichten, in der Art der hier angesprochenen „Erzählungen“ in starkem Masse das politische Geschehen, besonders, wenn die Lenker dieses Geschehens selbst unter ihrem Einfluss stehen und darüber hinaus daran arbeiten, diesen Einfluss auf die von ihnen Gelenkten zu steigern.

Die Friedensaussichten zwischen Israel und Palästina sind aus diesem Grunde heute geringer als je geworden. Dass für beide Seiten annehmbare Lösungen der realen Probleme gefunden werden können, hat unter anderem der Vertragsentwurf von Genf aus dem Jahr 2003 vorgeführt, den Realisten, nicht Mythologen (die auf beiden Seiten unter dem durchaus mythologischen Namen von „Tauben“ gehen) mit Hilfe einiger schweizer Diplomaten ausgehandelt haben. Doch die Posaunen der Mythologen, allen voran der israelischen Ex-Generäle Ehud Barak und Ariel Sharon, sahen sich in der Lage, die Stimmen der Vernunft weitgehend zu übertönen. Die ideologischen Mythologen konnten auf beiden Seiten, eine jede bei ihrer Gemeinschaft, auf ihre über lange Zeiträume hin erarbeitete und daher tief verwurzelte, mythische Erzählung zurückgreifen. Sie verlieh ihnen ein Echo, das alle sachlichen Belange schlicht überging.

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Freitag, 26. März 2010

IRAK: Ein tief gespaltener Irak

Nach den Parlamentswahlen steht dem Land sein eigentlicher politischer Test erst bevor

Analyse von Birgit Cerha

Drei spannende Wochen lang haben die Iraker Stimmen ausgezählt. Das Ergebnis dieser zweiten Parlamentswahlen seit dem Sturz der Baath-Diktatur läßt vieles noch offen. Der Wettlauf der beiden stärksten Gruppierungen, der „Rechtsstaat“-Allianz Premier Malikis und der „Irakiya“ Ex-Premier Allawis, endete überraschend mit einem Sieg Allawis. Doch der Vorsprung ist so knapp, dass sich Maliki in seinen seit Tagen erhobenen Manipulationsvorwürfen bestärkt fühlt. Das Ergebnis zeigt auch eine unbehagliche Wahrheit: Der neue Irak ist tief gespalten, die Folge eines versäumten nationalen Versöhnungsprozesses. Ideologie, die Last einer grausigen Vergangenheit, persönliche Machtgier und Manipulationen durch äußere Mächte nähren stetig das Misstrauen der Bevölkerungsgruppen und ihrer politischen Vertreter gegeneinander. Die Toleranz demokratischer Gesinnung hat im Zweistromland noch nicht Fuß gefasst. Dass es bei der Auszählung zu systematischen Fälschungen gekommen sei, schließen unabhängige Wahlbeoachter aus. Doch werden die Unterlegenen ihre Niederlage in demokratischer Gesinnung akzeptieren? Dies ist der erste entscheidende Test der Nachwahl-Periode. Die Drohung Malikis vor erneuter Gewalt gibt Anlass zu beängstigenden Zweifel.

Der fast kometenhafte Aufstieg Allawis, des unter vielen Irakern als autoritäre Marionette der Amerikaner verhassten Ex-Premiers, ist die größte Überraschung dieser Wahl. Der langjährige Vertraute des US-Geheimdienstes CIA, Schiit und ehemaliger Baathist, verstand es mit einer nationalistischen, säkularen Plattform die überwältigende Mehrheit der durch den Sturz Saddam Husseins um Macht und Privilegien beraubten arabisch-sunnitischen Minderheit hinter sich zu scharen. Auch viele Schiiten, erboßt über die katastrophale Politik religiös orientierter Parteien und Malikis autoritäres Gehabe, vertrauen Allawi. Malikis verstärkte Anti-Baath-Kampagne erwies sich als Bumerang. Allawi profitierte davon und hat heute in den überwiegend sunnitischen Regionen nördlich von Bagdad den Großteil der Bevölkerung auf seiner Seite. Während Maliki viele Stimmen im überwiegend schiitischen Süd-Irak gewann. Doch auch Allawi konnte – keineswegs erstaunlich – unter den Schiiten im Süden des Landes Stimmen auf sich vereinen. Er kann sich damit glaubhafter als Maliki als ein nationaler irakischer Führer präsentieren.

Doch er besitzt nicht genug Mandate, um eine Regierung zu bilden. Der Kuhhandel um Koalitionspartner hat längst begonnen. Am meisten drängt sich eine Allianz zwischen den beiden stärksten Gruppierungen auf, die einander auch ideologisch so nahe stehen, dass sie die seit Jahren offenen konstitutionellen Fragen – wie etwa die Aufteilung des Ölreichtums oder die förderale Struktur des Landes – gemeinsam klären könnten – ein entscheidender Faktor, damit das Land aus seinem politischen Patt und somit schließlich zur Stabilität findet. Doch Allawi und Maliki entzweien tiefe persönliche Animositäten. Der Ex-Premier warf seinem Nachfolger wiederholt nicht nur Korruption, sondern auch autoritäres Verhalten vor. Auch bei den Kurden findet der ehemalige Baathist, der viele Anhänger unter den Kurden wenig freundlich gesinnten irakischen Nationalisten gewann, wenig Gegenliebe.

Maliki, Allawi doch nur knapp unterlegen, könnte doch noch eine Chance zur erneuten Machtübernahme wittern, wenn er eine Neuauflage des Bundes mit seinen religiös orientierten schiitischen Brüdern, die sich auf Initiative des Irans zur „Irakischen Nationalen Allianz“ (INA) erstrebt – eine Variante ganz im Sinne Teherans. Doch auch hier stehen tiefe Animositäten einem solchen Koalitonspakt im Wege. Innerhalb der INA hat die Partei des anti-amerikanischen Moktada Sadr derart an Macht gewonnen, dass sie gar in die Rolle eines Königsmacher schlüpfen kann. Viele Sadristen aber hassen Maliki, weil er ihre Milizen 2008 in Basra und Bagdad blutig niedergeschlagen hatte. Auch mit den Kurden hat es sich Maliki verscherzt. Schon gibt es Anzeichen, dass führende Mitglieder der „Rechtsstaat“-Allianz ihren Chef fallen lassen könnten, um selbst eine Regierung zu bilden.

Fest steht allerdings, dass nur eine Regierung, die Allawis arabisch-sunnitische Wähler, aber auch die Kurden integriert den Irak zur Stabilität führen kann. Dafür aber müssen die Politiker die demokratische Reife finden und ihre persönliche Animositäten und Machtgelüste zum Wohl des Landes überwinden.

Erschienen in der "Frankfurter Rundschau" am 27.03.2010
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IRAK: Knapper Sieg für Allawis Wahlbündnis

Ministerpräsident Maliki sieht das Ergebnis der Parlamentswahlen als „bei weitem nicht endgültig“

von Birgit Cerha
Sie lagen tagelang Kopf an Kopf. Dass das Wahlbündnis des Ex-Premiers Iyad Allawi nun doch bei den Parlamentswahlen am 7. März zwei Mandate mehr gewann als sein Hauptrivale, Ministerpräsident Nouri al Maliki überraschte viele ungeduldig wartende Iraker. Nach dem Freitag abend von der unabhängigen Wahlkommission verkündeten vorläufigen Endergebnis gewann Allawis „Irakiya“ 91, Malikis „Rechtsstaat“-Bündnis 89, die vom Iran unterstützte religiös orientierte „Irakische National-Allianz“ (INA) 70 Sitze und die Kurdistan-Allianz 43. Doch auch Allawi verfehlte bei weitem die für die Bildung einer Regierung nötige Mandatszahl von 163. Während Allawis Team schon eine Stunde vor Veröffentlichung der Ergebnisse ihren Sieg feierte, erschien ein bitter enttäuschter Maliki im staatlichen Fernsehen und verkündete, dass er das Resultat als „bei weitem nicht endgültig“ betrachte. Seit Tagen wiederholte Maliki seinen Standpunkt, er werde das Wahlergebnis nur anerkennen, wenn in einigen Wahlbezirken die Stimmen händisch neu ausgezählt würden. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, ließ er mehrmals Anhänger in den Straßen demonstrieren. Auch die Führer von zehn Provinzräten in Zentral- und Südirak, darunter auch Bagdad, die dem „Rechtsstaat“-Bündnis angehören, warnten düster vor einer „größeren Eskalation“, sollte Malikis Forderung nicht erfüllt werden. Was sie damit meinen, bleibt allerdings offen.

Die Wahlkommission lehnte wiederholt Malikis Verlangen ab, sieht keinerlei Anzeichen systematischer Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung und weist darauf hin, dass eine händische Nachzählung viele Wochen harter Arbeit erfordern würde. Dass dadurch verlängerte Machtvakuum könnten radikale Kräfte für Gewaltakte nutzen.



Auch der Chef der „UN-Assistance Mission for Iraq“, Ad Melkert, der die Iraker entscheidend bei der Organisation der Wahlen unterstützte, hält den Wahlausgang für „glaubwürdig“, gratuliert den Irakern zu ihrer „historischen Errungenschaft“ und ruft alle Politiker auf, die Ergebnisse zu akzeptieren. Doch Maliki drohte unterdessen an, sollte die Wahlkommission weiterhin eine Nachzählung ablehnen, werde er die höchsten Gerichte des Landes anrufen. Eine Neuzählung sei nötig „um die politische Stabilität zu wahren und eine Rückkehr zur Gewalt zu verhindern“.



Die politische Unsicherheit wird noch verschärft durch eine Entscheidung, die der Oberste Bundesgerichtshof Donnerstag traf. Das Gericht stellte ausdrücklich klar, dass die Definition „größter Block im Parlament“ (der mit der Bildung der nächsten Regierung beauftragt wird) sich auch auf eine nach den Wahlen zustande gekommene Formation beziehen kann. Damit bietet sich für Maliki die Möglichkeit eines erneuten Bundes mit INA, die ihn schon vor den Wahlen umworben hatte. Doch siegessicher hatte der Premier es vorgezogen, den Kampf allein zu gewinnen. Nun aber ließ er schon in den vergangenen Tagen Anzeichen eines Umdenkens erkennen.

Das Gesicht der neuen Regierung läßt sich noch nicht erahnen, Klar ist nur, dass nun ein hartes Feilschen begonnen hat.

Erschienen in der "Frankfurter Rundschau" am 27.03.2010
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Gadafis Stunde des "Triumphs"

Zahlreiche arabische Führer aber verweigern Libyens Diktator ihre Ehrenbezeugung – Nur schwache Hoffnung auf Solidarität im Konflikt mit der Schweiz

von Birgit Cerha Es soll der „Gipfel der Gifel“ werden, zu dem Libyens Diktator Muammar Gadafi seine 20 Amtsbrüder aus der gesamten arabischen Welt gerufen hat, die Besiegelung seines Ausbruchs aus jahrzehntelanger internationaler Isolation. Samstag und Sonntag werden die Chefs der Arabischen Liga in Gadafis Heimatstadt Sirte vor allem über Wege zur „Rettung Jerusalems“ beraten. Es ist der ersten Arabische Gipfel, für den Libyen den Gastgeber spielen darf.

Sirte ist bepflastert mit Konterfeis seines weißbärtigen Führers und mit Plakaten, die die arabische Einheit beschwören. „Wir müssen gemeinsam arbeiten“, und „Für eine Zukunft ohne Konflikte“. Mit solchen Slogans setzt Gadafi, der sich ein Politikerleben lang für arabische Einheit engagierte und zugleich mit fast allen arabischen Führern immer wieder zerstritt, den Akzent der Konferenz. Unter den außenpolitischen Themen, die ihm besonders am Herzen liegen, steht vorrangig der Konflikt mit der Schweiz und der EU. Die Tatsache, dass Bern nun Einlenken in der Frage des Visumsverbots für 188 Libyer, darunter deren Staatschef selbst, signalisiert, stärkt Gadafis Position, wenn er um eine ausdrückliche Solidaritätsbezeugung der Arabischen Liga in diesem Konflikt wirbt. Schon zuvor hatten sich die Außenminister voll hinter Libyen gestellt und Bern, sowie die EU eindringlich zur Aufhebung des Visumsverbots gedrängt, ohne freilich die Inhaftierung des schweizer Bürgers Max Goeldi zu erwähnen.

Doch Gadafis Triumph sind enge Grenzen gesetzt. Denn der Vorkämpfer arabischer Einheit vermag zahlreiche und noch dazu wichtige Führer der arabischen Welt nicht zu diesem ersten Gipfel in seinem Wüstenreich zu ziehen. Etwa 14 der 21 Staatschefs werden erscheinen. Ägyptens Präsident Mubarak entschuldigte sich wegen Rekonvaleszenz nach einer Operation, Omans und Marokkos Herrscher bleiben fern, aber auch jene des Libanons und vor allem Saudi-Arabiens. Beirut kann sich mit Gadafi nicht versöhnen, dem es für die mutmaßliche Ermordung des 1978 bei einer Reise nach Tripoli verschwundenen Schiitenführers Mussa Sadr verantwortlich macht. Und Saudi-Arabiens König Abdullah kann dem exzentrischen Libyer die unfassbare Szene nicht vergessen, die er beim letzten Gipfel in Doha veranstaltet hatte, als der das saudische Königreich als ein „Produkt Großbritanniens“ und „Diener der USA“ beschimpfte.

Vorerst ist auch noch unsicher, ob Palästinenserpräsident Abbas in Sirte erscheinen wird. Gadafi hatte Abbas zutiefst erzürnt, als er sich weigerte, ihn bei einem jüngsten Besuch in Tripoli zu empfangen, weil Abbas des Libyers Vermittlungsdienste im Streit mit Hamas zurückgewiesen hatte.

Einen neuen Konflikt konnte Katar noch im letzten Moment Freitag schlichten, nachdem auch der Irak, erboßt über ein demonstratives Treffen Gadafis mit baathistischer irakischer Opposition die Konferenz boykottieren wollte.

Damit sind auch bei diesem Gipfel arabische Versöhnungsversuche zwischen den zerstrittenen Palästinensergruppen in Frage gestellt. Zum Hauptthema der Konferenz haben die Veranstalter die „Rettung Jerusalems“ gesetzt. Als Antwort auf Israels Entschlossenheit, die Siedlungspolitik in Jerusalem unter allen Umständen fortzusetzen, will man darüber diskutiere, ob die Liga nicht die 2002 beschlossene „Arabische Friedensinitiative“, die Israel Anerkennung im Austausch für die Rückgabe der 1967 besetzten arabischen Gebiete und einer gerechten Lösung der Palästinenserfrage, wieder zurückziehen soll. Doch da weder Saudi-Arabiens König Abdullah, noch Mubarak am Konferenztisch sitzen, besitzt solcher Plan wenig Chance.

Hingegen beschlossen die Außenminister in ihrem Vorbereitungstreffen die Errichtung eines Hilfsfonds von 500 Mio. Dollar für bedürftige Palästinenser. Der Gipfel verspricht damit nur magere Ergebnisse und der zahlreiche Boykott schadet nicht nur Gadafis Glaubwürdigkeit, sondern auch jener der ohnedies zahn- und muskellosen Arabischen Liga.

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Donnerstag, 25. März 2010

SAUDI-ARABIENS verzweifelter Kampf gegen den Terror

Großrazzia gegen mutmaßliche Al-Kaida Zellen verstärken Zweifel am Erfolg eines hoch gepriesenen Rehabilitations-Systems

von Birgit Cerha

Im Königshaus Saudi-Arabiens, der Geburtsstätte Osama bin Ladens und seines Al-Kaida-Terrornetzwerkes, wächst wieder die Nervosität. Trotz massiver Sicherheitsaktionen und einem einzigartigen Rehabilitierungsprogramm für inhaftierte islamistische Terroristen ist es Riad nicht gelungen, die Terrorgefahr im Königreich zu bannen. Spektakuläre Razzien als Höhepunkt einer großangelegten monatelangen Sicherheitsoperation, bei der nach offiziellen Angaben 113 mit Al-Kaida verlinkte Extremisten verhaftet wurden, beweisen, wie groß Saudi-Arabiens Sicherheitsbehörden die Gefahr für die Stabilität der Monarchie immer noch einschätzen. Signifikant ist die Tatsache, dass unter den 66 festgenommenen Ausländern 51 Jemeniten sind. Und hier liegt eine der Wurzeln saudischer Ängste.

Seitdem der südliche Nachbarstaat aufgrund einer Serie interner Krisen immer mehr ins Chaos rutscht, sehen die saudischen Behörden die Terrorbedrohung wieder wachsen. Während massive Sicherheitsmaßnahmen der heimischen Al-Kaida beinahe das Genick gebrochen hatten, fanden saudische Extremisten zunehmend in dem durch eine Rebellion gegen die Zentralregierung in Sanaa unkontrollierbaren Nord-Jemen Zuflucht und verstärkte Schlagkraft, als sie sich im Vorjahr mit jemenitischen Islamisten zur „Al-Kaida in der Arabischen Halbinsel“ (AKAH) zusammenschlossen. Als Ziel nennt ihr stellvertretender Führer Said al-Shihri „die Amerikaner und der Kreuzzügler“, die „überall ihre Interessen haben“, und erteilt seinen Anhängern den Auftrag: „Attackiert sie und eliminiert so viele Feinde wie möglich“.

So bekannte sich AKAH im Dezember auch zu dem fehlgeschlagenen Anschlag auf eine US-Passagiermaschine in Detroit. Was die Saudis besonders beunruhigt, ist die Tatsache, dass es Terroristen jüngst wiederholt gelang, vom Nord-Jemen aus in ihr Territorium einzudringen.

Fieberhaft versuchen die Sicherheitskräfte, die poröse und teils unzugängliche Grenze im abzuriegeln.

Der jüngste Schlag gegen Extremisten beweist nach Ansicht von Experten, dass sich AKAH intensiv bemühe, ein Netzwerk in Saudi-Arabien aufzubauen. Ihre Hauptziele sind laut Innenminister Mansour al Turki die saudischen Ölanlagen, sowie Polizei und Geheimdienst des Königreiches. Eine geplante Anschlagserie sei, so heißt es offiziell, verhindert worden. In ihren Publikationen rief AKAH den saudischen Staat immer wieder als Feind aus. Die Kritik am Königshaus konzentriert sich auf dessen enges Bündnis zu den USA und auf den Herrschaftsstil der Al-Sauds. Wiewohl Saudi-Arabien nach den Grundsätzen des islamischen Rechts regiert wird, ist dessen Durchsetzung nach Überzeugung dieser Fanatiker viel zu lax. Die Jihadisten erstreben deshalb den Sturz der Monarchie und die Errichtung eines „Islamischen Kaliphats“.

Seit 2003 ist es den Behörden durch massive Sicherheitsmaßnahmen gelungen, zahlreiche Anschläge und Komplotte zu vereiteln. Zugleich läuft seit einigen Jahren in den Gefängnissen ein international beachtetes Rehabilitierungsprogramm. Islamische Geistliche und Psychologen versuchen extremistischer Ideologie, die in der im Königreich verbreiteten Lehre der Wahabiten (der puritanisch-fundamentalistischen Staatsreligion) ihre Wurzeln findet, entgegen zu wirken, indem sie Toleranz predigen, das Verbot jeglicher Gewaltanwendung auch gegen Nicht-Muslime und die einsitzenden wegen Terror verurteilten Extremisten lediglich als „ideologisch Irregeleitete“ – und nicht als gefährliche Jihadis - charakterisieren. Die staatlichen Medien veröffentlichen regelmäßig Reuebekenntnisse ehemaliger Angehörigerer von Terrorzellen. In Sondergefängnissen wurden Beratungszentren für ehemalige Jihadis, aber auch deren Familien

eingerichtet. Seit Jahren laufen auch Programme zur Reintegration in die Gesellschaft, bei denen reumütige Gefangene Arbeitsplätze, Wohnungen und sogar Autos, sowie finanzielle Unterstützung erhalten . eine Großzügigkeit, die zunehmend als „Verwöhnen“ kritisiert wird. Insgesamt verschlingt das Rehabilitations-Programm gigantische Summen und verfehlt damit die Vorbildwirkung für andere Staaten, wie etwa Afghanistan.

Die saudischen Behörden sind aber vom Erfolg des Projektes überzeugt. Rund 700 von 2.000 verhafteten Militanten, darunter zahlreiche von den Amerikanern aus dem Gefangenenlager Guantanamo repatriierte Saudis, wurden inzwischen wieder freigelassen. Doch als der „rehabilitierte“ Said al-Shehri, Guantanamo-Gefangener Nr. 372, im Vorjahr auf einem Al-Kaida-Video zur Ermordung „jedes Christen, den wir in unseren Ländern finden, und zur Zerstörung westlicher Interessen“ aufrief, geriet diese „religiöse Re-Indoktrination“ ins internationale Schussfeld. Elf der 120 von Guantanamo entlassenen und vom Rehabilitationszentrum betreute Extremisten dürften sich unterdessen wieder dem Jihad angeschlossen haben. Die Umschulung versagt nach Angaben der Saudis insbesondere bei jenen Gefangenen, die schwere Folterqualen erlitten hatten. „Wir haben ein Problem der Rache im Nahen Osten“, bemerkt der zuständige saudische General Mansur al-Turki. Doch die Re-Indoktrination sei bei 80 Prozent der „Schüler“ erfolgreich und eine solche Rate übertreffe andere Rehabilitations-Programme.

Die Tatsache aber, dass Saudi-Arabien nun neue Gefahr aus dem Jemen droht und dass der weitaus höchste Prozentsatz ausländischer Jihadis, die etwa im Irak, aber auch in Afghanistan blutige Gewalt verbreiten, aus Saudi-Arabien stammt, beweist, dass auch Riad mit seinen Methoden die Ursachen der Gewalt noch längst nicht behoben hat.

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Mittwoch, 24. März 2010

IRAK/KURDEN: Verlieren die Kurden ihre Schlüsselrolle in Bagdad?

Überraschende Ergebnisse der Parlamentswahlen im Irak drohen den Konflikt um die Ölstadt Kirkuk dramatisch zu verschärfen

von Birgit Cerha

Während die sich nach fast drei Wochen abzeichnenden Endergebnisse der Parlamentswahlen in Bagdad mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten und dem Irak eine unsichere Zukunft verheißen, steht eines fest: Den Kurden, jahrzehntelang unterdrückt und brutal verfolgt, entschwinden mehr und mehr die historischen Chancen, die sich durch den von den USA geführten Krieg zum Sturz von Diktator Saddam Hussein geöffnet hatten. Sie könnten gar die Rolle als „Königsmacher“ einbüßen, die es ihnen in der Ära nach Saddam ermöglicht hatten, de facto den Regierungschef zu küren.
Die Wahlergebnisse versetzen der kurdischen Moral einen schweren Schlag. Während die Kurdische Allianz aus den beiden in den drei autonomen Provinzen des Nord-Irak dominierenden Parteien KDP (Demokratische Partei Kurdistans) und PUK (Patriotische Union Kurdistans) ihre vorherrschende Stellung vor allem auch gegenüber ihrem kurdischen Herausforderer „Goran“ behaupten konnten, erlitten sie in der heiß umstrittenen Ölprovinz Kirkuk eine schockierende Niederlage. Wider Erwarten konnten sie dort ihre führende Stellung nicht behaupten, liegen Kopf-an-Kopf mit der Liste „Irakiyya“ des säkularen schiitischen Ex-Premiers Iyad Allawi, der mit einer nationalistischen Plattform die arabisch-sunnitische und turkmenische Minderheit Kirkuks hinter sich zu scharen vermochte.

„Wir haben das Gleichgewicht in Kirkuk wieder hergestellt, frohlockt ein Sprecher des Allawi-Lagers. Kein Zweifel, die turkmenische und arabische Bevölkerung Kirkuks wird künftig weit lauter ihre Stimme erheben können, wenn es um eine Lösung des explosiven Konflikts um die Ölstadt geht. Die Positionen haben sich verhärtet und dies verheißt Irak nichts Gutes.

Die Kurden betrachten Kirkuk als das „Herz Kurdistans“ und haben im Kampf gegen Bagdad um die Kontrolle der Stadt mit ihren etwa eine Million Bewohnern in den vergangenen Jahrzehnten Tausende Menschenleben geopfert. Um den Anspruch der Zentralregierung auf die Ölstadt zu untermauern, hatte Saddam eine schon lange zuvor begonnene Arabisierungspolitik der Region dramatisch verstärkt und laut „Human Rights Watch“ fast 200.000 Kurden, sowie später auch Tausende Turkmenen verjagt und durch Araber ersetzt. Kirkuk liegt in einem zwischen Bagdad und den Kurden umstrittenen etwa 450 km langen Gebietsstreifen südlich der autonomen Region, der von Kurden, Arabern, Turkmenen, kurdischen Yeziden und Christen bewohnt ist. Die Regionalregierung Kurdistans (KRG) beharrt entschieden darauf, dass ein Großteil dieser Gebiete, insbesondere aber Kirkuk, das auf etwa 13 Prozent der nachgewiesenen irakischen Ölreserven sitzt, in die Kurdistan-Region integriert werden muss.

Die Kurden hatten gehofft, zumindest acht der zwölf für Kirkuk vorgesehenen Parlamentssitze zu erobern, um endlich ihre Ansprüche gegenüber den Arabern in Bagdad durchzusetzen, eine immer wieder aufgeschobene, nun für Oktober geplante Volkszählung in Kirkuk und schließlich eine Volksabstimmung über den Anschluss an Kurdistan, wie dies Verfassungsartikel 140 vorsieht, zu organisieren. Turkmenen und Araber der Stadt aber wollen davon nichts wissen. Sie beschuldigen die KRG, seit 2003 massive Zuwanderung durch Kurden in die Stadt gefördert zu haben, darunter auch Kurden, die keineswegs ihre familiären Wurzeln in Kirkuk nachweisen könnten. Tatsächlich fehlte jegliche unabhängige Kontrolle der Wiederansiedlung.

Die Kurdenführer tragen zweifellos einen Teil der Schuld an diesem Konflikt. Sie verstanden es nicht, in den vergangenen Jahren, nachdem sie, teilweise gemeinsam mit den Amerikanern, die Sicherheitskontrolle über Kirkuk und Teile der „umstrittenen Gebiete“ übernommen hatten, das Vertrauen der nicht-kurdischen Bevölkerung zu gewinnen, ein Mangel, den auch die sich im Vorjahr von der PUK abgespaltene Erneuerungsbewegung „Goran“ deutlich aufzeigt. Rivalitäten zwischen PUK und KDP und vielfach ausbleibende Hilfe für entwurzelte kurdische Heimkehrer haben die Kurdische Allianz in der Provinz Kirkuk wertvolle Stimmen – zugunsten von Goran – gekostet.

Wiewohl Goran zwar Korruption, Nepotismus und politische Ineffizienz von KDP und PUK heftig kritisiert, sind sich die drei Parteien doch voll über die „kurdische Identität“ Kirkuks einig.

In der Hoffnung, wieder ihre Rolle als Königsmacher in Bagdad zu spielen hat der Präsident der Region Kurdistan, KDP-Chef Massoud Barzani längst die Bedingungen für eine erneute Beteiligung an einer Koalition festgelegt. Höchsten Vorrang hat dabei die Durchsetzung von Artikel 140, Kompensation für die Vertriebenen und Rückgabe ihrer Besitzrechte

In Kirkuk prallen die gegensätzlichen Positionen derart aneinander, verstärkt durch Einflüsse von außen, wie insbesondere der Türken, die sich als „Schutzmacht“ der Turkmenen engagieren und arabischer Staaten, dass sich das Parlament im Vorjahr monatelang nicht auf eine neues Wahlgesetz einigen konnte und Provinzwahlen in den „umstrittenen Gebieten“ bisher überhaupt nicht stattfinden konnten.

Zwar ist das Werben führender Politiker um Koalitionspartner – darunter auch die Kurden – in vollem Gang. So eilte etwa Allawi in die Hauptstadt Kurdistans, Erbil. Doch ein Treffen mit Barzani zeigte nach informierten Kreisen bisher nur unvereinbare Positionen. Allawi, in Kirkuk heute so stark wie die Kurdische Allianz, wird keinen Anlaß sehen, den Kurden in der Frage des Status der Stadt entgegen zu kommen. Er setzt sich für einen „Sonderstatus“ der Stadt ein, die voll unter Bagdads Kontrolle bleiben sollte, aber einer lokalen Regierung, in der Kurden, Araber und Turkmenen gleichermaßen vertreten sind, zusätzliche Machtbefugnisse garantiert. Die Kurden lehnen diese Lösung entschieden ab. Doch heute wissen sie ihren engen amerikanischen Verbündeten nicht mehr voll hinter sich. US-Präsident Obama, so heißt es, soll Artikel 140 als unrealistisch aufgegeben haben und ebenfalls für eine Art „Sonderstatus“ optieren. Dass Premier Maliki, sollte er erneut eine Regierung zustande bringen, den Kurden mehr entgegenkommen würde, erscheint angesichts des wachsenden arabischen Nationalismus im Land und schweren Konflikten zwischen ihm und den Kurden in seiner vergangenen Amtsperiode höchst unwahrscheinlich.

Anderseits aber, so meinen unabhängige Beobachter, würde eine neue Regierung ohne Teilnahme der Kurden den Weg des Iraks zur Stabilität gefährlich blockieren. „Die Situation in Kirkuk ist sehr gefährlich“, meint der stellvertretende Polizeichef der Stadt Turhan Abdul Rahman. „Alle politischen Parteien sind bewaffnet und die US-Truppen bilden das einzige Gegengewicht.“ Vorerst können etwa 5000 amerikanische Soldaten die für relative Ruhe sorgen. Doch wie lange?

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Afghanistan und Pakistan heute

(einleitende Zusammenfassung eines geplanten Vortragszyklus)
von Dr. Arnold Hottinger


Die Taleban sind ursprünglich, in den Jahren 1994 bis 1996 von den Amerikanern, den Pakistanern und den Saudis gemeinsam ins Leben gerufen worden. Doch heute stellen sie in zwei Gruppen geteilt eine gefährliche Kraft für alle drei Staaten dar, und sie werden von ihnen bekämpft. Wir versuchen, die komplexe Kombination von Kräften und Entwicklungen aufzuzeigen, die zu der Machtentfaltung beider Gruppen geführt haben. Eine Einschätzung der heutigen Lage und der Erfolgschancen der Amerikaner sowie der Pakistani in dem gegenwärtigen Ringen, soll daraus hervorgehen.
Es gibt heute afghanische und pakistanische Taleban. Sie haben eine gemeinsme Ideologie aber unterschiedliche Ziele, weil die einen auf Sturz der afghanischen Regierung ausgehen, die anderen auf Erschütterung der pakistanischen. Auch der Kampf gegen sie wird von den beiden prmär betroffenen Staaten, den USA und Pakistan, auf unterschiedliche Weise geführt. Pakistan versucht, der pakistanischen Taleban soweit Herr zu werden, dass die Mordaktionen innerhalb Pakistans – meist durch Selbstmordanschläge - aufhören. Doch gleichzeitig gibt es Kräfte in der pakistanischen Armee, die sich für die Zukunft eine Zusammenarbeit mit den afghanischen Taleban offen halten möchten, in der Hoffnung diese könnte ihnen zur Einflussnahme auf die Politik des nördlichen Nachbarlandes verhelfen und zugleich befürchtete indische Einflüsse auf Afghanistan drosseln.Die amerikanischen und verbündeten Nato Truppen versuchen, die afghanischen Taleban zu besiegen oder zum Ueberlaufen auf ihre Seite zu bewegen, mit dem Ziel eine auf eigener Kraft beruhende, womöglich demokratische Regierung in Kabul unter der Präsidentschaft Karzais aufzurichten und abzusichern. Gleichzeitig liefern sie Waffen und Hilfsgelder an Pakistan, um die dortige Armee in ihrem Kampf gegen die Taleban zu unterstützen.

Da diese Hilfen für Pakistan lebensnotwendig sind, ist die Armee darauf angewiesen, ihren Willen, sich für die Zukunft eine Zusammenarbeit mit den afghanischen Taleban offen zu halten, zunächst einmal nach Kräften zu verbergen. Den Amerikanern ist die zweideutige Haltung Pakistans bekannt. Sie nehmen sie hin, weil sie auf die Hilfe der pakistanischen Armee angewiesen sind.

Die weiten Grenzgebiete mit etwa 15 Millionen bewaffneten Stammesleuten paschtunischer Bevölkerung, in denen sich wahrscheinlich auch die letzen Reste der Qa’ida Führung unter Osama Ben Laden und Zawahiri aufhalten, stehen nur nominell unter pakistanischer Herrschaft. In Wirklichkeit ist ihre Strammesbevölkerung seit der englischen Zeit bewaffnet und regiert sich selbst nach den pashtunischen Stammesgesetzen. Die amerikanischen Truppen sind ungenügend, um auch nur Afghanistan gegen die afghanischen Taleban dauerhaft abzusichern. Sie sind daher gezwungen, die Bekämpfung der Taleban auf der pakistanischen Seite der Grenze und die Unterwerfung der Stämme, bei denen sie Unterschlupf finden, der pakistanischen Armee zu überlassen und diese dabei mit Geld und Waffen zu unterstützen.

Es besteht so ein zweideutiges Verhältnis zwischen den verbündeten Amerikanern und Pakistanis: sie sind beide aufeinander angewiesen und können nicht aufeinander verzichten. Doch sie verfolgen beide unterschiedliche Endziele in Afghanistan.
Die Lage ist zusätzlich flüssig, weil sowohl die Amerikaner wie die Pakistaner neben den kriegerischen auch diplomatisch-politische Mittel gegen die Taleban einsetzen. Beide versuchen, Teile der Kämpfer, die auf Seiten der Taleban stehen, für ihre politischen Zwecke zu gewinnen. Die Amerikaner möchten Kämpfer der afghanischen Taleban dazu bewegen, auf die Seite der Karzai Regierung überzulaufen. Bisher ohne grossen Erfolg. Doch sie hoffen, dass mehr solche Ueberläufer in Erscheinung treten, falls es ihnen gelingt, den Taleban einige drastische Niederlagen beizubringen.

Die pakistanische Armee hat mehrfach versucht, sich mit den pakistanischen Taleban zu verständigen. In der Vergangenheit bestand eine gewisse Zusammenarbeit. Zur Zeit ist sie in Frage gestellt, weil die pakistanischen Taleban hoffen mit Bombenanschlägen tief im Inneren Pakistans, auch in Peshawar, Lahore und Karachi, den pakistanischen Staat zu erschüttern und das heutige Regime zu Fall zu bringen. Doch die pakistanische Armee ist sich sicher, dass ihnen dies nicht gelingen wird. Sie weiss ihrerseits, dass sie schwerlich alle Stammesgebiete an der afghanischen Mark permanent unter ihrer Kontrolle zu halten vermag. Sie hofft in Zukunft, wie die Amerikaner auf der afghanischen Seite der Grenze, Teile der heutigen Taleban auf ihre Seite zu ziehen, nachdem sie ihnen einige schmerzliche militärische Niederlagen beigebracht haben wird.

Die Pakistaner haben jüngst ihren Willen gezeigt, aus Kontakten der Amerikaner mit Vertretern der afganischenTaleban nicht ausgeschlossen zu werden. Sie nahmen Vertreter der afghanischen Taleban, die sich in Pakistan aufhielten und von dort aus Gespräche mit den Amerikanern begonnen hatten, gefangen und weigerten sich, sie den Amerikanern auszuliefern, Dies war der Fall des Mullah Beradar, der sich zur Zeit in pakistanischer Gefangenschaft befindet. Beradar gilt als der wichtigste diplomatische Vertreter der afghanischen Taleban. Ob er auf Auftrag des obersten Chefs der afghanischen Taleban, des Mullah Omar, handelte, oder gegen dessen Willen, ist ungewiss. Es gibt widersprüchliche Berichte darüber, und die Geheimdienste beider Seiten, das heisst ISI und CIA, geben natürlich keinerlei Auskunft.

Wie es zu dieser komplexen und schwer zu handhabenden Gesamtlage gekommen ist, kann man nur verstehen, wenn man die Entwicklungen und Verwicklungen kennt, die sich seit der Entstehung Pakistans im Jahr 1948 zwischen Pakistan und Afghanistan abgespielt haben, wie auch seit der Bildung des Pufferstaates Aghanistan durch die Engländer im Verlauf des 19. Jahrhunderts - und zusätzlich die Anliegen der amerikanischen Politik in Afghanistan und Pakistan seit dem Kampf gegen die russischen Invasionstruppen in Afghanistan einbezieht, der 1979 begann und 1989 endete, sowie die Irren und Wirren der späteren amerikanischen „Präventivpolitik“ seit dem Grossanschlag vom 11. September 2001 in New York und Washington, welche - ohne echte Notwendigkeit - verheerende Kriege in Afghanistan und im Irak entfesselte.

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Dienstag, 16. März 2010

IRAK: Iraks neue politische Landschaft

Während die Iraker tief beunruhigt auf die Ergebnisse der Parlamentswahlen warten, zeichnet sich eine klare Absage an religiös-fundamentalistische Gruppen ab

von Birgit Cerha

Am Tigris hat die Stunde der Astrologen geschlagen. Während die Iraker auch zehn Tage nach den Parlamentswahlen am 7. März immer noch über die Ergebnisse rätseln, kommt ihnen ein prominenter Fernseh-Astrologe zu Hilfe und weissagt nach intensivem Blick in die Gestirne, was die Wahlorganisatoren bisher nicht vermochten. Denn sie haben bisher kaum mehr als 60 Prozent der Stimmen ausgezählt. Unter der Bevölkerung wachsen angesichts dieses unverständlich langwierigen Zählprozesses der ersten allgemeinen Wahlen seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein, in denen die Iraker die alleinige Verantwortung tragen, Unbehagen und Nervosität. Müssen sie deshalb so lange auf die Ergebnisse warten, weil sie massiv manipuliert würden, fragen sich immer mehr besorgte Bürger. Und tatsächlich mehren sich die Berichte, die befürchten lassen, dass die Wahlen nicht internationalen Standards entsprechen. So sollen nach einer Beschwerde mehrerer Nicht-Regierungs-Organisationen etwa irakische Sicherheitskräfte bei den Wahllokalen nicht nur für Ruhe gesorgt, sondern auf Wähler Druck ausgeübt haben, ihre Stimmen bestimmten Listen zu geben. Tausende Bürger, insbesondere auch in der zwischen Kurden, Arabern und Turkmenen umstrittenen Ölstadt Krikuk, fanden ihre Namen nicht auf den Wählerlisten. Und der gefährlichste Rivale Premierminister Malikis, Ex-Premier Iyad Allawi, beschwerte sich noch vor Beginn der Auszählung heftig über Manipulationen. So hätten auch bis zu 250.000 Soldaten aufgrund von Verfahrensfehlern nicht wählen können.

Internationale Beobachter halten die Anschuldigungen für übertrieben, sie bergen dennoch höchst gefährlichen Sprengstoff. Denn weit wichtiger als das Ergebnis ist die Glaubwürdigkeit dieser Wahlen. Wenn die unterlegenen Kandidaten die Resultate nicht akzeptieren, wird die neue Regierung nicht die Legitimität finden, die nötig ist, um den Irak zur Stabilität zu führen und damit einen reibungslosen Abzug der US-Truppen wie geplant zu ermöglichen.

Nach bisherigen Ergebnissen zeichnet sich ein klares Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Malikis „Rechtsstaat“-Koalition und der nationalen Liste „Irakiyya“ des säkularen Schiiten Allawi ab. Doch das Juwel in der Krone ist noch nicht erobert: Bagdad, wiewohl Maliki in der Hauptstadt einen Vorsprung ausbauen dürfte.

Dennoch lassen sich bereits einige klare Trends erkennen. Wie zu erwarten dürften die Iraker religös orientierte, fundamentalistischen Gruppen weitgehend eine Absage erteilt haben. Insbesondere die bisher größte im Parlament vertretene arabisch-sunnitische Allianz, die „Tawafuk“ verlor ihre Hochburgen in Salaheddin und Diyala wurde von den Wählern vermutlich zur Bedeutungslosigkeit degradiert. Die die pro-iranische Schiitenliste „Irakische Nationale Allianz“ (INA), deren stärkste Partei, der „Höchste islamische Rat im Irak“ (SIIC), bei den Regionalwahlen im Januar 2009 im Süden des Landes schwere Niederlagen hinnehmen musste, hat diesmal aber wieder etwas besser abgeschnitten und ein anderer INA-Partner, der Rebellengeistliche Moqtada Sadr wird seine Position innerhalb der Allianz wesentlich stärken können.

Südlich des autonomen Kurdistan lassen sich drei Hauptgruppierungen erkennen: Malikis „Rechtsstaat“, „Irakiyya“ und INA. Während Maliki in Bagdad und in weiten Teilen des Süd-Irak gut abschneidet, dürfte er nördlich der Hauptstadt kaum Stimmen gewinnen, insbesondere in solch wichtigen sunnitischen Hochburgen wie Anbar und Mosul wird er kaum die Zwei-Prozent-Marke erreichen, was das tiefe Misstrauen erkennen lässt, dass ihm die arabischen Sunniten entgegenbringen. Demgegenüber kann Allawi mit einer breiter gestreuten Unterstützung rechnen. Während er mit seiner nationalen Allianz eine große Zahl von Sunniten anzieht, dürfte er sich selbst in seinen schwächsten Regionen auf zehn Prozent der Stimmen stützen können. Dies ist umso bemerkenswerter, als er – im Gegensatz zu Maliki – weder den Staatsapparat, noch eine Miliz zur Wahlwerbung einsetzen konnte.

Dennoch dürfte jetzt schon feststehen, dass der „Rechtsstaat“ nördlich von Bagdad und „Irakiyya“ südlich zu schwach sind, ein Faktum freilich, dass Maliki nicht anerkennt. Sein Anspruch auf das Amt des Premiers sei „nicht verhandelbar“, stellt ein Sprecher bereits klar, während sich sowohl INA, als auch Allawi als Hauptziel gesetzt hatten, eine zweite Amtsperiode des Premiers, der sich durch seinen autoritären und erratischen Regierungsstil in den vergangenen vier Jahren viele Feinde gemacht hat, zu verhindern. Dabei streben sowohl Maliki, als auch Allawi eine „Regierung der nationalen Partnerschaft“ an. Selbst wenn Maliki mit seiner Allianz als stimmenstärkste Gruppierung ins Parlament einzieht, ist es höchst fraglich, ob er Koalitionspartner finden wird, die ihn als Regierungschef akzeptieren. Eine Schlüsselrolle wird dabei wohl wieder den Kurden zukommen, die – ungeachtet ihrer beträchtlichen Konflikte, die sie mit dem Premier in der Vergangenheit ausgetragen hatten, Maliki dem nationalistischeren Allawi vorziehen, der vor allem auch in den zwischen Kurden und Arabern umstrittenen Gebieten des Nord-Iraks, insbesondere der Ölstadt Kirkuk, einen großen Teil der Sunniten hinter sich scharen konnte und damit seine Position gegenüber kurdischen Ansprüchen verhärten dürfte.

Die eigentliche politische Schlacht steht den Irakern nun erst bevor. Viele fürchten, sie könnte Monate währen und Al-Kaida könnte der Versuchung kaum widerstehen, ein langes Machtvakuum ohne Regierung zur blutigen Destabilisiserung des Landes zu missbrauchen.

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Montag, 8. März 2010

IRAK: Der Triumph der Vernunft

Die Iraker entschieden sich für den demokratischen Weg – Doch nun beginnt die eigentliche Kraftprobe

von Birgit Cerha
38 Tote während schicksalhafter Wahlen würde in jedem anderen Land der Welt als schwerer Schlag für die Demokratie gewertet. In dem durch sieben Jahre Krieg, blutiger Rebellion und Bürgerkrieg gequälten Irak gelten heute andere Maßstäbe. Ungeachtet der Trauer über die „Märtyrer“ der Demokratie überwiegen Gefühle des Triumphes über die bewundernswerte Widerstandskraft irakischer Bürger, die sich Sonntag bei den zweiten Parlamentswahlen seit dem Sturz der Diktatur Saddam Hussein 2003 nicht vom Weg zu den Wahlurnen abschrecken ließen. Tatsächlich ein „Triumph der Vernunft“, wie der UN-Sonderbeauftragte für den Irak, Ad Melkert, meint.
Weit wichtiger als das Stimmenergebnis für die eine oder andere politische Allianz – das erst in einigen Tagen feststehen wird – ist die Wahlbeteiligung. Die Tatsache, dass sich nach ersten offiziellen Schätzungen etwa 60 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen gewagt hatten, lässt sich als Bekenntnis der irakischen Mehrheit zum demokratischen Weg nach jahrzehntelanger blutiger Diktatur werten, als eine Absage an Gewalt, die schließlich den blutigen Widerstand isolieren und völlig an den Rand des politischen Geschehens drängen könnte. Zugleich, das lassen erste Schätzungen erahnen, dürften die Iraker aber auch der Verwicklung von Religion in die Politik, die sich in den vergangenen Jahren als so fatal erwiesen hatte, eine klare Absage erteilen. Die Iraker zeigten Sonntag, dass sie, die seit Generationen als politisch unmündige Bürger missbraucht worden waren, eine Entwicklung zu politischer Reife begonnen haben. Ob sie auch ihre Entschlossenheit zu nationaler Versöhnung – eine weitere Säule für einen politisch stabilen Staat – bekundeten, müssen erst die Wahlergebnisse zeigen. Der Wahlkampf der vergangenen Wochen, in dem Premier Maliki die Ängste vor einer Wiederkehr der gestürzten Baath-Partei geschürt und radikale Säuberungen in staatlichen Institutionen geschworen hatte, könnte sich als böses Omen erweisen.

Vorerst lässt sich aber erkennen, dass sich die durch den Sturz Saddams von der Macht gestürzte und ihrer Privilegien beraubte arabisch-sunnitische Minderheit auch durch Malikis Ent-Baathifizierungs-Kampagne nicht – wie bei den ersten Wahlen 2005 – selbst aus dem politischen Prozess ausschloss, sondern vielmehr die Zukunft des Landes mitgestalten will. Damit wächst die Hoffnung, dass ein repräsentatives Parlament in Bagdad nun auch eine Regierung bilden kann, in der alle Bevölkerungsgruppen angemessen vertreten sind und so der Gewalt der Boden entzogen werden kann.

Maliki soll nach Angaben aus Regierungskreisen vor allem im überwiegend schiitischen Süd-Irak große Stimmengewinne erzielt haben. Sein stärkster Rivale, Ex-Präsident Allawi, ein säkularer Schiit, dürfte mit seiner Allianz „Irakiya“, der auch die größte Sunniten-Partei – die „Irakische Front des nationalen Dialogs“ - angehört, vor allem in sunnitischen Gebieten starken Rückhalt finden. Doch keine der Wahlallianzen wird wohl die nötige Mehrheit auf sich vereinen, um eine Regierung zu bilden. Auch wenn Maliki als stärkster Führer aus den Wahlen hervorgeht, ist seine zweite Amtszeit als Premier keineswegs gewiss. Denn er hat sich durch autoritäres Verhalten, durch den großzügigen und skrupellosen Einsatz von Staatsapparat und Staatsgeldern für seine Interessen in politischen Kreisen viele Feinde gemacht. Eine vorerst noch offene Frage ist auch, ob sich die Kurden, die seit 2003 eine Schlüsselrolle in Bagdad spielten, durch interne Rivalitäten selbst der Rolle als Königmacher beraubten. Die vor etwa eineinhalb Jahren als Opposition zu den beiden alten, als Allianz in der autonomen Kurdenregion dominierenden Parteien – „Demokratische Partei Kurdistans“ (KDP) und „Patriotische Union Kurdistans“ (PUK) – gegründete kurdische „Goran“-Partei, trat mit eigener Liste an und könnte damit die KDP-PUK-Allianz in Bagdad entscheidend geschwächt haben.

Vorerst herrscht im Irak Ruhe vor dem Sturm. Ein Orkan könnte sich rasch zusammenbrauen, wenn sich der stets latente Verdacht von Wahlmanipulation und –betrug erhärtet, wenn die Unterlegenen Ergebnisse nicht anerkennen. Das politische Klima in Bagdad ist schlecht und zutiefst beunruhigend, meint etwa auch Allawi in böser Vorahnung und der sunnitische Vizepräsident Hashemi befürchtet gar, Maliki werde im Fall einer Wahlniederlage seine Macht durch einen Militärputsch zu sichern suchen. „Doch das Volk wird schließlich siegen“, bemerkt Allawi vielsagend.

Das nun bevorstehende Gefeilsche zwischen den politischen Allianzen könnte sich Monate hinziehen. Ob die Gewalt den Irak in dieser Zeit, in der auch die Amerikaner ihre Truppen auf 50.000 Mann halbieren werden, wieder in seinen Strudel reißt, wird sich als schicksalhafter Test für die Zukunft erweisen.

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Sonntag, 7. März 2010

IRAK: Iraker trotzen der Gewalt und wählen

Extremisten konnten bei den Parlamentswahlen die Hoffnung auf demokratische Veränderung nicht zerstören

von Birgit Cerha

Als Sonntag Abend im Irak die Wahllokale schlossen, stand rasch eine bemerkenswerte Entwicklung fest: Nach drei Jahrzehnten brutalster Diktatur und darauf folgender fast siebenjähriger Gewalt zeigt sich ein großer Teil der irakischen Bevölkerung entschlossen, Terror und Extremismus zu trotzen und das gequälte Land fest auf den Weg der Demokratie zu lenken.

Noch vor Öffnung der Wahllokale für die zweiten Parlamentswahlen seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein hatte eine Serie von Granat- und Sprengstoffattacken insbesondere in arabisch-sunnitischen Regionen begonnen. Insbesondere in Bagdad kamen in den ersten Morgenstunden mindestens 38 Menschen durch Terror ums Leben, durch den Extremisten das demokratische Experiment vollends zu vereiteln suchten. Mindestens 110 Personen wurden verletzt. Während viele Bürger zunächst ihre Häuser nicht zu verlassen wagten. Folgten sie ab Mittag in beträchtlichen Zahlen den erneuten Aufrufen politischer und religiöser Führer, ihre Stimme abzugeben. Die Erklärungen einer alten, in ihre schwarze Abaya verhüllten Frau, die über die arabische Fernsehstation Al-Jezira verbreitet wurde, sie lasse sich nicht einschüchtern, sie werde unter allen Umständen ihre Stimme abgeben, erscheint symptomatisch für die weitverbreitete Stimmung.

Ungeachtet der Gewalt und eines riesigen Sicherheitsaufgebots, beschrieben unabhängige Beobachter aus mehreren Landesteilen eine beinahe feierlich-fröhliche Atmosphäre, die ein älterer Mann in Bagdad mit dem Gefühl erklärte: „Wir haben die Tage der Repression hinter uns gelassen und uns voll für den demokratischen Weg entschieden. Wir können reden und unsere Meinung frei äußern.“

Erste Berichte von unabhängigen irakischen und westlichen Wahlbeobachtern aus verschiedenen Landesteilen lassen einen möglicherweise signifikanten Trend erkennen An den Orten, wo Terroristen die Bevölkerung gewaltsam einzuschüchtern versucht hatten, wie vor allem in Bagdad, warteten viele Bürger zunächst ab und drängten sich schließlich in den Nachmittagsstunden zu den Wahlurnen. Westliche Beobachter gewannen den Eindruck, dass der Terror sogar nach einigem Zögern die Menschen anspornte, ihre Stimmen abzugeben. Hauptmotivation schien für die meisten die Hoffnung auf „Veränderung“ zu sein, wiewohl dieser Begriff für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Bedeutung haben mag.

Aus arabisch-sunnitischen Regionen berichteten Beobachter ebenfalls eine rege Wahlteilnahme, die von entscheidender Bedeutung für die Repräsentativität des nächsten Parlaments und der aus ihm hervorgehenden Regierung ist und damit auch für die Chance auf Stabilität. Die Zersplitterung der schiitischen Parteien dürfte insbesondere im überwiegend schiitischen Süd-Irak ebenfalls viele Wähler angespornt haben, von ihrem demokratischen Recht Gebrauch zu machen. Insgesamt dürfte die Wahlbeteiligung, so schätzen Beobachter, nicht unter den Erwartungen von 40 bis 60 Prozent liegen. Mit ersten vorläufigen Ergebnissen ist Dienstag zu rechnen.

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Freitag, 5. März 2010

IRAK: Im Irak steht die regionale Vorherrschaft auf dem Spiel

Warum die Nachbarn die Parlamentswahlen mit Hochspannung verfolgen: Werden pro-westliche oder anti-amerikanische Kräfte dominieren?

von Birgit Cerha

Für UNO-Vertreter in Bagdad besteht kein Zweifel: „Es sind die wichtigsten Wahlen in der Geschichte des Iraks. Wenn die Iraker kommenden Sonntag bei den zweiten Parlamentswahlen seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 ihre Stimmen abgeben, dann entscheiden sie über weit mehr als die Zusammensetzung ihres Parlaments und ihrer politischen Führung für die kommenden vier Jahre. Ihre Stimmen werden eine wichtige Rolle in dem bitteren Kampf um regionale Vorherrschaft zwischen den USA und der Islamischen Republik Iran spielen. Die stetig eskalierende Machtprobe zwischen Teheran und Washington über Irans Atomprogramm könnte zunehmend auf irakischem Boden ausgetragen werden. Wer dabei in Bagdad den Ton angibt, kann dieses Kräftespiel entscheidend mit beeinflussen.

So verwundert es nicht, dass Iraks Nachbarn diese Wahlen mit weit größerem Interesse verfolgen als die durch Terror, Korruption ihrer Führer, durch Armut und immer noch äußerst mangelhafte Infrastruktur zermürbten und politikmüden Iraker selbst. Und der direkte wie indirekte Einfluss von außen lässt sich nicht übersehen. Für die Amerikaner besitzen die Wahlen entscheidende Bedeutung, um unter Wahrung ihres Gesichts als verantwortungsbewusste Supermacht wie geplant alle Truppen bis Ende 2011 abzuziehen und ein Land zu hinterlassen, das nicht nur den Weg von einer der brutalsten Diktaturen des vorigen Jahrhunderts zu demokratischer Stabilität gefunden hat, sondern sich auch in Zukunft als verlässlicher strategischer Partner zur Stärkung in der gesamten Region erweisen wird.

Konkret bedeutet dies nun für Washington, dass die Wahlen ein die gesamte Bevölkerung des Iraks repräsentierendes, von säkularen Kräften dominiertes Parlament hervorbringen, in dem insbesondere auch die von der Macht gestürzten arabischen Sunniten vertreten sind, ja vielleicht sogar ehemals führende Mitglieder der Baath-Partei Saddam Husseins, deren radikale Anhänger bis heute blutigen Widerstand schüren. Teheran verfolgt genau das gegenteilige Ziel und beide Staaten beschuldigen einander – zurecht – der aktiven Einmischung in irakische Politik.

Während US-Vertreter – vergeblich – versuchten, den von einer Bagdader Kommission verfügten Ausschluss von fast 500 Kandidaten wegen angeblicher Verbindung zur Baath rückgängig zu machen, wirft Teheran offen den USA vor, sie wollten „ihren alten irakischen Verbündeten aus der Saddam-Ära“, die Baath, wieder an die Macht hieven. Um dies zu verhindern, half Tehern einem neuen Bündnis religiös orientierter schiitischer Gruppierungen, der „Irakischen nationalen Allianz“ auf die Beine. Zugleich halten sich Gerüchte über geheime iranische Aktivitäten, von Geldspenden, über Stimmenkäufe bis Infiltration iranischer Bürger mit gefälschten irakischen Dokumenten, die am Wahltag ihre Stimme in Teherans Interesse abgeben sollen. Denn der Iran hat insbesondere im irakischen Süden durch massive Manipulationen starke Animositäten geweckt, die seinen irakischen Verbündeten beträchtlichen Schaden zugefügt haben.

Während Teheran naturgemäß großes Interesse an der Bildung einer mit ihm verbündeten religiös orientierten, von Schiiten dominierten Regierung in Bagdad hegt, besitzt jedoch die anti-amerikanische Orientierung der künftigen Führer des Nachbarstaates für die Iraner noch weit größere Priorität. Einen Siegeszug des pro-westlichen säkularen schiitischen Ex-Premiers Iyad Allawi zu verhindern, ist deshalb für die Iraner von größter Bedeutung.

Auch die arabischen Nachbarn blicken besorgt auf den Irak in der festen Überzeugung, dass sich – so die angesehene „Asharq al-Awsat“„der regionalpolitische Konflikt künftig im und um den Irak ausweiten wird“. Zudem irritiert die arabischen Autokraten der Region die Aussicht auf einen möglichen nachhaltigen Erfolg des demokratischen Experiments im Zweistromland, der einen auch sie gefährdenden Bazillus stärken würde. Die von arabischen Sunniten regierten Nachbarn, allen voran Saudi-Arabien, dürften sich unterdessen allerdings mit der unvermeidlichen Tatsache abgefunden haben, dass eine irakische Regierung auch in Zukunft von Schiiten beherrscht wird. Es geht ihnen nun primär darum, das pro-iranische Kräfte nicht die Oberhand behalten. Deshalb empfing auch Saudi-Arabiens König Abdullah jüngst Allawi, eine Begegnung die weites Echo in der gesamten arabischen Welt fand.

Auch Irans Verbündeter Syrien, vor allem aber die Türkei versuchen ebenfalls eifrig – auf indirektem Wege – ihre Interessen zu steuern. „Wie kann irgendjemand vor diesem Hintergrund von unparteiischen und fairen Wahlen sprechen“, bemerkt der unabhängige politische Analyst Abdul Jalil al Jaba in Bagdad. Und Khalefa Mohammed al Shammary, einflussreicher sunnitischer Scheich, beklagt sich bitter, dass seine Heimat zum Schlachtfeld amerikanisch-iranischer Rivalitäten geworden sei. „Wir suchen nun Führer, die uns aus diesem düsteren Schatten ziehen. Der Irak muß voll in irakischen Händen sein. Gelingt dies nicht, steht uns eine finstere Zukunft bevor.“

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Mittwoch, 3. März 2010

IRAK: Iraks politische Landschaft

Ein Überblick über die wichtigsten politischen Gruppierungen und Kandidaten, die sich bei den Wahlen am 7. März um einen Sitz im Parlament bewerben

von Birgit Cerha

Mehr als 6.000 Kandidaten und rund 300 politische Bewegungen präsentieren sich den Irakern bei den zweiten Parlamentswahlen seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein am 7. März. Während die Vielfalt des Angebots die Bürger, die jahrzehntelang keine politischen Vertreter wählen konnten, in höchste Verwirrung stürzen muss, werten so manche unabhängige Beobachter diesen eifrigen politischen Aktivismus als Beweis für ein wachsendes demokratisches Bewusstsein.

Objektive und verlässliche Meinungsumfragen gibt es bisher im Zweistromland nicht. So bleiben Analysten auf Vermutungen angewiesen und die lassen darauf schließen, dass keine der größeren politischen Allianzen eine klare Mehrheit erhalten dürfte. Damit müssen die Iraker mit monatelangem Feilschen um die Bildung einer neuen Regierung rechnen. Je länger das Machtvakuum währte, desto größer die Gefahr wachsender Instabilität.

„Koalition des Rechtsstaates“
Diese Allianz wurde vergangenen Herbst vom schiitischen Premierminister Nuri al Maliki mit dem deklarierten Ziel gebildet, sich den Wählern als irakisch-nationalistische Gruppierung zu präsentieren, die religiöse und stammesbedingte Grenzen sprengt. Dominierende Partei ist Malikis Dawa-Partei, die starke islamistische Wurzeln hat, wiewohl sich Maliki selbst unterdessen als säkular zu präsentieren sucht und einen starken, vereinten, zentralistischen Irak mit wesentlich verbesserten öffentlichen Dienstleistungen verspricht. Maliki gewann zwar arabisch-sunnitische Stammesführer ebenso als Mitglieder, wie schiitische Kurden, Christen und einige Unabhängige, doch die Koalition wird so stark von Schiiten dominiert, dass sich viele Sunniten durch sie nicht repräsentiert fühlen dürften. Bei den Provinzwahlen vor einem Jahr gewann sie außerhalb der schiitischen Provinzen des Süd-Iraks nur wenige Stimmen. Maliki selbst hat sich durch sein aufbrausendes Temperament und seinen polarisierenden Charakter enge, mächtige Mitstreiter zu Feinden gemacht und die schiitische Mehrheit des Iraks noch tiefer gespalten.



„Irakische Nationale Allianz“ (INA)
INA gilt als eine der zwei größten Rivalen der „Koalition des Rechtsstaates“. Sie vereint fast ausschließlich schiitische Gruppierungen, darunter den „Höchsten Rat für einen islamischen Irak“ (IISC), Mitglied von Malikis bisheriger Koalitionsregierung, Anhänger des anti-amerikanischen Schiitengeistlichen Moqtada el Sadr, dessen Unterstützung 2006 entscheidend Malikis Aufstieg ins höchste Regierungsamt ermöglicht hatte, die in Basra stationierte Fadila-Partei und neben einigen wenigen sunnitischen Politikern auch den Ex-Premier und Führer einer von der Dawa abgespaltenen kleinen Partei, Ibrahim Jafari, sowie vor allem den heute eng mit dem Iran verbündeten Ahmed Chalabi, der im amerikanischen Exil als enger Vertrauter des Pentagon eine entscheidende Rolle bei der US-Kriegsplanung 2003 gespielt hatte. Heute gilt Chalabi als einer der wichtigsten Verbündeten des Irans, der mit Hilfe der INA seinen Einfluß im Nachbarstaat zu sichern hofft. IISC und Sadr hoffen, dass sie am Sonntag viele Stimmen, die sie bei den Provinzwahlen an Maliki verloren hatten, wieder auf sich vereinen können. In Bagdad halten sich Vermutungen, dass Maliki, sollte er nicht genug Stimmen für eine Regierungsbildung erhalten, eine Koalition mit INA bilden würde.


„Kurdische Allianz“
Eine Koalition der beiden im semi-autonomen Kurdistan regierenden Parteien, der „Demokratischen Partei Kurdistans“ unter Regionalpräsident Massoud Barzani und der „Patriotischen Union Kurdistans“ (PUK) unter Iraks Präsidenten Jalal Talabani. Die beiden, säkular orientierten Parteien und einst engste Verbündete der Amerikaner, erfahren eine schmerzliche Herausforderung durch eine von der PUK abgespaltene Gruppierung, die sich für Reformen einsetzt, bei den regionalen Parlamentswahlen im Vorjahr ein Viertel der Sitze eroberte und auch am 7. März als unabhängige Partei kandidiert. Dennoch dürfte die „Kurdische Allianz“ genügend Stimmen erhalten, um wieder, wie die Rolle des, „Königmachers“ zu spielen.


„Al-Iraqiyya“ (Irakische Nationalbewegung)
Die Siegeschancen dieser Allianz, der unter Führung des säkularen schiitischen Ex-Premiers Iyad Allawi säkulare schiitische und sunnitische Persönlichkeiten angehören, wurden durch die Entscheidung einer Kommission unter Vorsitz Chalabis geschmälert, den Führer der größten Sunniten-Partei, Saleh al-Mutlaq von den Wahlen auszuschließen.

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IRAK: Im Irak dominiert die Politik der Angst

Eskalierende Gewalt vor schicksalhaften Wahlen, deren Kampagne die Kluft zwischen den Bevölekrungsgruppen wieder bedrohlich vergrößert

von Birgit Cerha

Während sich 78.000 irakische und internationale Beobachter von 30 internationalen Organisationen und mehr als 300 irakischen Gruppen aufmachen, um die Parlamentswahlen am kommenden Sonntag bei unzähligen Wahllokalen im ganzen Land zu verfolgen, eskalieren die Feinde dieses demokratischen Prozesses ihren blutigen Widerstand. Drei Selbstmordattentate in Baquba, der Hauptstadt der Provinz Diyala, östliche von Bagdad, rissen vor dem Hauptgebäude der Provinzregierung, einer Polizeistation und einem Spital mehr als 30 Menschen in den Tod. Militante arabische Sunniten, die kurz vor den Wahlen eine Atmosphäre der Angst verbreiten wollen, gelten als Hauptverdächtige. In Diyala dominierte von 2003 an fünf Jahre lang die schiitische Minderheit, vermutlich mit iranischer Hilfe, über eine knappe Mehrheit arabischer Sunniten die Lokalpolitik. Die Sunniten machten durch blutigen Widerstand die Provinz jahrelang zu einer der gefährlichsten des Iraks. Die Situation änderte sich radikal nach den Provinzwahlen im Januar 2009, als Sunniten die im Provinzrat an die Macht gekommen waren, doch die Spannungen stiegen erneut, nachdem die von Schiiten dominierte Regierung in Bagdad Haftbefehle gegen einige Mitglieder der Lokalregierung wegen angeblicher Verbindungen zum gewalttätigen Widerstand erlassen hatten. Polizei und Militär in Baquba werden weiterhin von Schiiten dominiert.

Die Bluttaten steigern wieder aufkeimende Ängste, der Irak könnte nach einer Periode relativer Ruhe wieder in eine Phase brutaler Gewalt insbesondere zwischen Sunniten und Schiiten abrutschen. Ein heftiger Wahlkampf, in dem das politische Überleben Premier Malikis auf dem Spiel steht, reißt alte Wunden immer weiter auf.

Dabei hatte es noch vor wenigen Wochen den Anschein gehabt, der schiitische Islamist Maliki wachse in die Rolle eines Staatsmanns hinein, für den nationale Anliegen allerhöchste Priorität besitzen. Seine Bestätigung für eine zweite Amtszeit schien fast gewiss, nachdem seine politische Allianz „Rechtsstaat“ bei den Provinzwahlen aufkosten der bis dahin stärksten islamistischen, auch in der Regierung vertretenen Partei, des „Höchsten Rates für eine islamischen Irak“ (SIIC) große Stimmengewinne erzielt hatte. Maliki nahm für sich einen starken Rückgang der Gewalt im Lande in Anspruch. Doch er erlitt unterdessen durch mehrere massive Bombenattentate schwere Rückschläge in seinem Image als Garant von Sicherheit und Stabilität. Zunehmend machen Schiiten auch ihn für die immer noch nicht funktionierende öffentliche Versorgung mit sauberem Wasser und Strom und die katastrophale Infrastruktur verantwortlich.

Auch Malikis Versuch, sich über die zerstrittenen Fraktionen zu stellen scheiterte weitgehend, weil es ihm nicht gelang, die wichtigsten sunnitischen Bewegungen in seine Allianz zu integrieren. Demgegenüber droht ihm zunehmende Gefahr von Ex-Präsident Allawi, einem laizistischen Schiiten, der vor allem die stärkste sunnitische Partei Saleh al Mutlaqs für seine Allianz „Iraqiyya“ gewinnen und sich damit große Siegeschancen für kommenden Sonntag sichern konnte.

Derart in die Enge getrieben verlor Maliki nach Ansicht unabhängiger Beobachter in Bagdad offensichtlich die Nerven und kehrte Nationalismus und staatsmännischem Gehabe den Rücken. Ganz bewusst schürt er nun uralte Ängste, insbesondere unter Ex-Diktator Saddam Hussein so gequälten Schiiten, vor einer Rückkehr der gestürzten Baath-Partei. Ein Ausschluß von fast 500 Kandidaten zielte vor allem auf prominente Sunniten, allen voran Mutlaq, dem nun auch noch wegen angeblicher Verbindungen zu sunnitischen Rebellen ein Prozeß droht. Zugleich versucht Maliki einen anderen gefährlichen Rivalen, den unter den armen schiitischen Massen insbesondere Bagdads hochpopulären Geistlichen Moqtada el Sadr, mit Hilfe des Staatsapparates auszuschalten. Sadr hatte für Freitag seine Rückkehr nach jahrelangem Exil angekündigt, um in der Mosche von Kufa zu der großen Schar seiner Anhänger zu sprechen. Nun muß er Verhaftung fürchten, denn Maliki erneuerte einen 2004 vom US-Administrator verhängten Haftbefehl wegen des Mordes an dem Schiitengeistlichen Majid al-Khoei 2003. Zwar leugnen Regierungskreise unterdessen eine solche Maßnahme, doch die Unsicherheit bleibt. Mit dem Rückzug seiner Milizionäre aus dem gewalttätigen Widerstand hatte Sadr entscheidenden Anteil an der Abnahme der Gewalt in den vergangenen Jahren.

Während zwar der nun von den Wahlen ausgeschlossene Mutlaq eine Boykottdrohung für seine Partei zurückgenommen hatte, erscheinen Allawis Siegeschancen unterdessen wesentlich geschmälert, da möglicherweise viele Sunniten aufgrund der sie empörenden Manipulationen Malikis den Wahlen fernbleiben könnten. Nur eine starke Beteiligung dieser durch den Sturz Saddams von der Macht gedrängten Minderheit, die die ersten Wahlen 2005 boykottiert hatte, könnte aber ein Parlament hervorbringen, in dem keine Bevölkerungsgruppe mehr ausgeschlossen ist und der Irak sein demokratisches Experiment so erfolgreich weiterführen würde, dass die USA wie geplant bis zum August ihre Truppen auf 50.000 Mann halbieren und eineinhalb Jahre später vollends abziehen könnten.

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Dienstag, 2. März 2010

IRAK: Iraks Wunden bluten wieder


Schicksalhafte Parlamentswahlen reißen die tiefe Kluft in der Gesellschaft weit auf – Welchen Weg wird das Land einschlagen: säkular oder islamisch, pro-iranisch oder pro-westlich?


von Birgit Cerha

Seit Jahren stehen die Sicherheitskräfte in der nord-irakischen, zwischen Kurden und Arabern heiß umstrittenen Ölstadt Kirkuk in höchstem Alarm und können nicht verhindern, dass immer wieder Sprengsätze unschuldige Menschen in den Tod reißen. Nun aber quälen die Polizei der Stadt Sorgen ganz anderer Art. Eindringlich appelliert sie an die – männlichen – Autofahrer, ihre Augen künftig nicht mehr vom Verkehrsgeschehen abzuwenden. Denn in Stundenintervallen trudeln Meldungen von Unfällen ein, die sich entlang der Stadtmauer ereigneten, an der unzählige Konterfeis einer attraktiven Kandidatin für die Parlamentwahlen am 7. März prangen.

Mit Berichten solcher Trivialitäten versuchen lokale Medien im Vorfeld der schicksalhaften Wahlen die angespannte Atmosphäre im Irak zu lockern. Plakate, Fotos von Männern in traditionellem Gewand mit der rot-weiß gewürfelten Kefiya um den Kopf geschlagen, Kandidaten in westlichem Anzug mit Krawatte, Frauen, die schamhaft ihre Haare verhüllen und andere, die stolz – und das in dieser traditionalistischen Gesellschaft! - ihre wallende Pracht präsentieren, prägen die Straßenbilder.
Der Unterschied zu den ersten freien Parlamentswahlen nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2005 springt ins Gesicht: Damals verzichteten die Kandidaten auf ihre Fotos, um sich nicht als Zielscheibe des gewalttätigen Widerstandes darzubieten. Kein Zweifel: Der Irak ist auf dem Weg zur Demokratie vorangeschritten.


Fernsehsender zeigen in kurzen Abständen Menschenscharen, die sich mit einem Kuvert in der vorgestreckten Hand zum Schlitz der Wahlurne drängen. „Ihr könnt das Land verändern“, so die Botschaft. TV-Umfragen unter Bürgern lassen jedoch eine Mischung erkennen aus Ratlosigkeit und politischer Passivität, Ärger über die bisherige Unfähigkeit der Parlamentarier, das Land aus Chaos und Not zu reißen und aufgeklärter Entschlossenheit, der Demokratie dennoch eine Chance zu geben. Doch es bedarf schon beinahe einer Wissenschaft, sich in dem unüberschaubaren Angebot von rund 6.000 Kandidaten und mehr als 80 Koalitionen oder „Listen“ zurechtzufinden, die sich um 325 Parlamentssitze bewerben. Tröstend angesichts dieses Wirrwarrs erzählen sich Iraker einen alten Witz: „Wenn zwei Männer zusammenkommen, bilden sich drei Fraktionen. Im Irak will jeder König sein.“ Der Nachholbedarf nach drei Jahrzehnten brutalster Diktatur ist gigantisch.

Und dennoch erscheint der Erfolg des demokratischen Experiments auch diesmal höchst fraglich. Bis vor wenigen Wochen hatte es noch den Anschein, als lieferten die Iraker ihren amerikanischen Befreiern ein Musterbeispiel wachsender demokratischer Reife, das US-Präsident Obama die Möglichkeit bieten würde, wie geplant bis zum August die Zahl der US-Truppen von 98.000 auf 50.000 zu reduzieren und bis Ende 2011 ganz abzuziehen - Stabilität, Demokratie und Bündnistreue garantiert. Entscheidende Voraussetzung dafür: ein das ganze Volk repräsentierendes Parlament, das aus diesen Wahlen hervorgehen soll. Denn 2005 hatte die von ihrer privilegierten Stellung im Staat gestürzte arabisch-sunnitische Minderheit die Wahlen boykottiert, sich damit selbst aus dem politischen Prozess ausgeschlossen und den blutigen, bis zum Bürgerkrieg eskalierenden Widerstand gespeist. Eine volle politische Einbindung der Sunniten soll endlich einen nationalen Versöhnungsprozess einleiten und das Ende der Gewalt besiegeln.



Doch mit einem Schlag ist alles infrage gestellt, haben machthungrige Politiker noch gar nicht verheilte Wunden neu infiziert. Der völlig unerwartete Ausschluss von mehr als 500 Kandidaten – viele davon Sunniten – durch die „Kommission für Rechenschaft und Gerechtigkeit“ (früher „Kommission zur Ent-Baathifizierung“), wegen angeblicher „Nähe“ zur gestürzten Baath-Partei hat die Gemüter aufgeheizt und all die quälenden Fragen von der immer noch so unzulänglichen Infrastruktur, über 50-prozentiger Arbeitslosigkeit, bis zur Aufteilung des Ölreichtums und der föderalen Struktur des Staates aus den Diskussionen verdrängt. Vor allem wirft er ein zutiefst irritierendes Licht auf führende Politiker, allen voran Premier Maliki. Im Grunde geht es um hemmungsloses Machtspiel und die Frage, welche Richtung der neue Irak nun endgültig einschlägt: säkular oder islamisch, pro-iranisch oder pro-westlich?

„Human Rights Watch“ alarmiert mehrere Aspekte dieser Entwicklung: die „geheime Vorgangsweise und die fragwürdige Legitimität der Kommission“ und der enorme Schaden, den der Ausschluss für die Glaubwürdigkeit des gesamten Wahlprozesses angerichtet hat. Drahtzieher dieser fatalen Entscheidung ist der zwielichtige Schiit Ahmed Chalabi, der einst mit fragwürdigen „Beweisen“ der US-Regierung Motivationen für den Krieg gegen Saddam geliefert hatte, später von den Amerikanern fallen gelassen wurde und sich darauf hin in die offenen Arme des Irans warf. Heute ist dieser ehrgeizige Meister der Manipulation nicht nur Chef der „Kommission“ sondern auch Kandidat der „Irakischen Nationalen Allianz“, zu der hohe iranische Führer schiitische Gruppierungen (neben jener Chalabis die größte in Bagdad mitregierende Schiitenpartei ISCI – Höchster islamischer Rat des Iraks -, die Partei des radikalen Schiitengeistlichen Moktada Sadrs und die von Malikis Dawaa abgespaltene Gruppierung Ex-Premiers Jaafaris) zur Bildung einer islamischen Front zusammengedrängt hatten, mit dem Ziel den Irak wieder voll auf einen islamistischen Kurs unter iranischem „Schutz“ zu lenken. Während sich Maliki dieser Allianz nicht anschließen will, erstrebt Chalabi nichts weniger als das höchste Regierungsamt.

Dramatisch gefährdet erschien dieses Ziel durch die wachsende Popularität der Liste „Al-Irakia“ prominenter säkularer Iraker unter Führung des schiitischen Ex-Premiers Iyad Allawi und eines der populärsten sunnitischen Politiker, Saleh al Mutlak. Dieser gilt denn auch als Hauptziel Chalabis. Nicht nur verfügte die Kommission seinen Ausschluss aus den Wahlen, sondern droht ihm nun auch einen Prozess wegen angeblicher Verwicklung in Terroranschläge der Baath. Mutlak weist die Vorwürfe energisch zurück, zog aber seine Drohung eines Wahlboykotts seiner Partei zurück. Doch der Schaden ist angerichtet. Viele geschockte Sunniten könnten nun den Wahlen fernbleiben und damit den Siegeszug von „Al-Irakia“ vereiteln.

Allawi klagt über „schwere Einschüchterungen und Bedrohungen“. Besonders irritiert weite Kreise die Haltung des durch die Allawi-Koalition um seine Wiederwahl fürchtenden Malikis, der energisch – selbst gegenüber hohen US-Vertretern – die Entscheidung der „Kommission“ verteidigte und durch seine aggressive Parteinahme für die vom Iran unterstützte Koalition in den Augen des politischen Establishments an Glaubwürdigkeit und Popularität eingebüßt hat.

Damit dürfte der Siegeszug dieses 2006 aus der politischen Obskurität an die Spitze der Regierung gehievten Islamisten ein Ende finden. Bei den Provinzwahlen vor einem Jahr hatte es Maliki verstanden, einen radikalen Wandel des politischen Klimas im Irak für sich zu nutzen. Er stellte sich erfolgreich auf die tiefe Verdrossenheit der Bevölkerung über die islamistischen Parteien, allen voran ISCI ein, die durch den Einsatz ihrer Milizen die Gewalt geschürt hatten und – wiewohl in Kontrolle regionaler Verwaltungen - die Not der Bevölkerung nicht zu lindern vermochten. Der Wahlausgang bewies einen radikalen Sympathiewandel von religiös orientierten Gruppierungen zu säkularen, nationalistischen. Maliki vollzog den Wandel mit und präsentierte sich über den religiösen Gruppierungen stehender Garant von Sicherheit und Stabilität.


„Entledigt euch der Religion“, lautet auch jetzt ein beliebter Slogan, während der höchste schiitische Geistliche, Großayatollah Sistani, durch seine Weigerung, eine Wahlempfehlung abzugeben, bei gleichzeitiger Aufforderung zur Wahlbeteiligung säkulare Tendenzen fördert.

„Der Irak ist unser Vater und unsere Mutter.“ Mit solch hochtrabenden Worten versucht Maliki vor hunderten von ihm extra nach Bagdad geladenen sunnitischen Stammesführer die Wähler von seiner national-irakischen Linie zu überzeugen. Für seine neugebildete Liste „Rechtsstaat“ gewann er aber nur kleine Gruppen von Sunniten, denn eine Serie katastrophaler Terroranschläge im August, Oktober und Januar haben dem von ihm gepflegten Image als Garant für Sicherheit schweren Schaden zugefügt hatten. Offen macht er nun dafür nicht Al-Kaida, sondern die Baath verantwortlich und verstrickt sich in den letzten Tagen vor der Wahl immer fataler in Widersprüche. Einerseits entschlossen, den „Ent-Baathifizierungs-Prozess“ intensiv voranzutreiben, wirbt er um sunnitische Stimmen, indem er plötzlich die erneute Einstellung von 20.000 Offizieren der 2003 aufgelösten irakischen Armee verkündet. „Nichts als Wahltrick“, meinen einflussreiche Sunniten. Denn der Schaden ist durch die Strategie angerichtet, durch Schüren des Hasses auf die Baath unter den von Saddam besonders gequälten Schiiten Malikis mächtigen schiitischen Gegnern Anhänger abzuluchsen.

Schon versetzt ein merkliches Aufflammen anti-baathistischer Gefühle, aufgestachelt auch durch Ankündigungen der „Kommission“, man werde Hunderte Beamte des Geheimdienstes, der Armee und Polizei „säubern“, die Sunniten in neue Ängste. „Wir glauben, es gibt noch weitere Tausende. Solche Maßnahmen werden die Sicherheit im Irak entscheidend stärken“, erklärt drohend Chalabis Stellvertreter Ali Faisal al Lami. Sollen auf diese Weise in Wahrheit Irans Wünsche nach Säuberung pro-amerikanischer Offiziere verwirklicht werden?

Mit solchen Manövern drängen Iraks derzeitige Machthaber die Sunniten erneut an den Rand. Ihre Beteiligung an den Wahlen wird darüber entscheiden, ob diese von der Macht gestürzte Minderheit endlich für sich eine Rolle im neuen Irak erkennt und wahrnimmt. Nur dann werden die Wahlsieger, wird eine neue aller Voraussicht nach aus mühseligem Tauziehen hervorgegangene Koalitionsregierung, vielleicht wieder unter Maliki, auch die Legitimität für sich in Anspruch nehmen können, die nötig ist, um endlich die für die Zukunft des Landes so grundlegenden offenen Fragen zu lösen.

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